1. Stirbt der Mieter während eines vorübergehenden Aufenthaltes im Ausland, steht dies einer Anwendung des § 563 BGB nicht entgegen.
2. Die Wohnung, in deren Mietverhältnis das Kind des verstorbenen Mieters gemäß § 563 Abs. 2 BGB eintritt, muss nicht den alleinigen Lebensmittelpunkt des Kindes bilden.
LG Berlin II vom 4.3.2024 – 64 S 32/23 –,
mitgeteilt von RA Manfred Lenz
Es ging unter anderem um die Frage, ob die Tochter in das Mietverhältnis ihres verstorbenen Vaters eingetreten war. Das Landgericht bejahte dies und stellte fest, dass die Tochter gemäß § 563 Abs. 2 S. 1 BGB in das Mietverhältnis eingetreten sei.
Denn nach der Überzeugung des Gerichts habe die Tochter zum Zeitpunkt des Todes ihres Vaters mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt in der streitgegenständlichen Wohnung gelebt. Dabei sei zu beachten, dass insoweit keine überspannten Anforderungen zu stellen seien, namentlich das Kind nicht wie ein übriger Angehöriger den Haushalt zusammen mit dem verstorbenen Mieter geführt haben müsse. Stattdessen reiche es aus, dass es lediglich in dessen Haushalt gelebt habe (BGH vom 10.12.2014 – VIII ZR 25/14 –).
Ferner sei es unschädlich, wenn der Mieter oder dessen Kind temporär abwesend sei oder eine weitere Wohnung gemietet habe.
Der Annahme dieses Eintritts in das Mietverhältnis stehe auch nicht entgegen, dass sich der Vater zum Zeitpunkt seines Todes in Afrika aufgehalten habe, da – wie ausgeführt – eine vorübergehende Abwesenheit des versterbenden Mieters einer Anwendung des § 563 BGB nicht entgegenstehe.
Zudem habe die Vernehmung eines Zeugen den Vortrag der Tochter bestätigt, zum Zeitpunkt des Todes habe sie zumindest auch in der streitgegenständlichen Wohnung gelebt. Der Zeuge habe ausgesagt, dass die Tochter mit ihren Kindern zunächst zeitweise in die G.-Straße in eine andere Wohnung eingezogen war, bevor sie spätestens ab dem August 2021 von dem Zeugen wieder in der streitgegenständlichen Wohnung in der B.-Straße angetroffen wurde, wo sie ein Schlafzimmer in der Dreiraumwohnung bewohnte.
Weitere Zeugen hätten eine parallele Nutzung sowohl der streitgegenständlichen als auch der Wohnung in der G.-Straße durch die Tochter geschildert. So sollte die zusätzliche Anmietung der G.-Straße nach Schilderung des verstorbenen Vaters gegenüber einem Zeugen zusätzlichen Platz zum Leben für die Kinder der Tochter ermöglichen.
Dies bestätige – so das Landgericht – die Behauptung der Tochter, in der streitgegenständlichen Wohnung zum Zeitpunkt des Todes ihres Vaters – zumindest auch – gelebt zu haben. Dass sie eine weitere Wohnung in der G.-Straße zugleich mit ihren Kindern bewohnt habe, stehe dem nicht entgegen. Die Wohnung, in deren Mietverhältnis das Kind des verstorbenen Mieters eintrete, müsse nicht den alleinigen Lebensmittelpunkt des Kindes bilden.
Urteilstext
Gründe:
I.
Hinsichtlich der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO zunächst auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
Gegen das ihr am 16.01.2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 14.02.2023 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung mit am 17.04.2023 eingegangenem Schriftsatz begründet.
Sie hält die ausgesprochenen Kündigungen für unwirksam, da sie an einem etwaigen Zahlungsrückstand kein Verschulden treffe, da die Kläger sie nicht über den schon zu Lebzeiten ihres Vaters angefallene Mietrückstand informiert hatten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 13.01.2023 – Az. 221 C 52/22 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil und vertiefen ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A. sowie H. und R.
…
II.
1. Die zulässige Berufung ist begründet, da die Kläger keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der geräumten Wohnung gegen die Beklagte haben.
Insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch weder aus § 546 Abs. 1 BGB noch aus § 985 BGB, da zwischen den Klägern einerseits und der Beklagten andererseits ein Mietverhältnis i.S.d. § 535 BGB über die streitgegenständliche Wohnung gemäß § 563 Abs. 2 S. 1 BGB zustande gekommen ist, das durch die Kündigungen vom 14.04.2022 und diejenige in der Klageschrift vom 13.06.2022 nicht wirksam beendet wurde.
a) Zwischen den Parteien besteht gemäß § 563 Abs. 2 S. 1 BGB ein Mietverhältnis nach dem Tod des vormaligen Mieters G. am 05.09.2021 durch Eintritt der Beklagten als Tochter des Verstorbenen in das Mietverhältnis. Denn nach der Überzeugung des Gerichts hat die Beklagte zum Zeitpunkt des Todes ihres Vaters mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt in der streitgegenständlichen Wohnung gelebt. Dabei ist zu beachten, dass insoweit keine überspannten Anforderungen zu stellen sind, namentlich das Kind nicht wie ein übriger Angehöriger den Haushalt zusammen mit dem verstorbenen Mieter geführt haben muss. Stattdessen reicht es aus, dass es lediglich in dessen Haushalt gelebt hat (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 – VIII ZR 25/14 -, juris-Rn. 30). Ferner ist es unschädlich, wenn der Mieter oder dessen Kind temporär abwesend ist oder eine weitere Wohnung gemietet hat (Erst-recht-Schluss zu Siegmund , in: Blank/Börstinghaus/Siegmund, 7. Aufl. 2023, § 563 BGB Rn. 19).
Von dem entsprechenden, klägerseits bestrittenen Vortrag der Beklagten ist das Gericht nach der Beweisaufnahme überzeugt.
Der Annahme dieses Eintritts in das Mietverhältnis steht zunächst nicht entgegen, dass sich Herr A. zum Zeitpunkt seines Todes in Afrika aufhielt, da – wie ausgeführt – eine vorübergehende Abwesenheit des versterbenden Mieters einer Anwendung des § 563 BGB nicht entgegensteht.
Zudem hat die Vernehmung des beklagtenseits benannten Zeugen M. den Vortrag der Beklagten bestätigt, zum Zeitpunkt des Todes am 05.09.2021 habe sie zumindest auch in der streitgegenständlichen Wohnung gelebt. Der Zeuge sagte aus, dass die Beklagte mit ihren Kindern zunächst zeitweise in die G.-Straße in eine andere Wohnung eingezogen war, bevor sie spätestens ab dem August 2021 von dem Zeugen wieder in der streitgegenständlichen Wohnung in der B.-Straße angetroffen wurde, wo sie ein Schlafzimmer in der Dreiraumwohnung bewohnte.
Die gegenbeweislich angebotenen und ebenfalls vernommenen Zeugen Frau und Herr W. haben die gegenteilige Behauptung der Kläger hingegen nicht bestätigt, sondern vielmehr durch ihre Aussagen den Eindruck des Gerichts vom Zutreffen des Beklagtenvortrags noch gefestigt. Danach schilderten die beiden Zeugen eine parallele Nutzung sowohl der streitgegenständlichen als auch der Wohnung in der G.-Straße durch die Beklagte. So sollte die zusätzliche Anmietung der G.-Straße nach Schilderung des verstorbenen Herrn A. gegenüber dem Zeugen W. zusätzlichen Platz zum Leben für die Kinder der Beklagten ermöglichen. Post für den Vater der Beklagten, die in der streitgegenständlichen Wohnung eingetroffen war, habe die Beklagte den Zeugen vorbeigebracht, die sich bei dessen längerer Ortsabwesenheit um dessen Angelegenheiten gekümmert hätten.
Dies bestätigt die Behauptung der Beklagten, in der streitgegenständlichen Wohnung zum Zeitpunkt des Todes ihres Vaters – zumindest auch – gelebt zu haben. Dass sie eine weitere Wohnung in der G.-Straße zugleich mit ihren Kindern bewohnt hat, steht dem nicht entgegen. Die Wohnung, in deren Mietverhältnis das Kind des verstorbenen Mieters eintritt, muss nicht den alleinigen Lebensmittelpunkt des Kindes bilden.
b) Die auf Zahlungsverzug gestützten Kündigungen der Kläger haben das Mietverhältnis weder gemäß § 543 BGB noch gemäß § 573 BGB beendet.
aa) Eine fristlose Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB scheidet hier sowohl am 14.04.2022 als auch mit der Klageschrift vom 13.06.2022 aus, da zu diesen beiden Kündigungszeitpunkten die Beklagte weder für zwei aufeinanderfolgende Termin mit der Entrichtung eines zumindest nicht unerheblichen Teils der Miete (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 lit. a) BGB) noch mit einem Betrag in Verzug war, der die Miete für zwei Monate erreicht (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 lit. b) BGB), nämlich nur mit einem Betrag in Höhe von 1.094,05 € am 14.04.2022 und in Höhe von 1.024,83 € am 13.06.2022.
bb) Eine fristgemäße Kündigung gemäß § 573 BGB scheitert am hinreichenden Verschulden der Beklagten an dem aufgelaufenen Zahlungsrückstand.
Die ordentlichen Kündigungen vom 14.04.2022 und vom 13.06.2022 sind mangels schuldhaft verursachtem Zahlungsverzug nicht wirksam. Zwar bestand ein i.S.d. § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB kündigungsrelevanter Zahlungsrückstand zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung vom 14.04.2022 von 1.094,05 € und von 1.024,83 € am 13.06.2022. An deren Zustandekommen trifft die Beklagte jedoch nur ein geringes Verschulden, das insgesamt in einem hinreichend „milden Licht“ (s. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2012 – VIII ZR 107/12 -, juris-Rn. 31) zu sehen ist und für eine Begründetheit der Kündigungen nicht ausreicht.
Denn die Kläger hatten der Beklagten erst mit der Kündigung vom 14.04.2022 konkrete Auskunft erteilt über angebliche Zahlungsrückstände in Höhe von – dabei auch noch unzutreffend angegeben mit – 1.449,46 €. Stattdessen standen zu diesem Zeitpunkt nur 1.094,05 € aus. Davon entfielen 645,39 € auf die Nichtzahlung auf die Miete für den Monat Mai 2021 durch den Vater der Beklagten. Die Beklagte hatte von den Klägern zunächst keine Mitteilung über von ihrem Vater „geerbte“ Mietrückstände erhalten.
Die Beklagte legt plausibel und glaubhaft dar, dass sie versucht habe, sich mit der Hausverwaltung der Kläger in Verbindung zu setzen. Sie sei dazu persönlich in dem Büro der Hausverwaltung erschienen, um Kontakt aufzunehmen. Die Kläger bestreiten das unzulässigerweise mit Nichtwissen. Die Hausverwaltung gehört zur Sphäre der klagenden Vermieter. Sie müssen daher Informationen von den Personen einholen, die unter ihrer Verantwortung tätig werden. Die Nennung der E-Mail-Adresse der für das Haus in der B.-Straße zuständigen Rechtsanwältin H. durch die Beklagte ist zudem ein deutliches Indiz dafür, dass sie tatsächlich vor Ort war und mit jemanden aus der Hausverwaltung Kontakt hatte. Den Einwand, woher ihr diese E-Mail-Adresse sonst bekannt sein sollte, entkräften die Kläger nicht. Sonstige Indizien, die gleichwohl für ein Verschulden der Beklagten sprechen, sind auch nicht ersichtlich. Die Kläger legen nach Bestreiten durch die Beklagte nicht dar, inwiefern sie angeblich versucht haben wollen, diese telefonisch zu erreichen, weder wann noch unter welcher Nummer. Die vom Amtsgericht zugrunde gelegte Erwägung, die Beklagte hätte sich durch Einblick in die Kontounterlagen ihres Vaters einen Überblick über etwaige Mietrückstände verschaffen können, ist unzulässig. Keine der Parteien hat diese Überlegung vorgetragen. Ein Konto wurde nie in Bezug genommen. Dass die Beklagte auf Konten ihres Vaters in irgendeiner Form Zugriff hat, wird nicht von den Parteien vorgetragen und erschließt sich auch nicht aus allgemeinen Erwägungen. Ausgedruckte Kontoauszüge werden heute nicht mehr zugestellt. Woher die Beklagte Zugangsdaten für ein etwaiges online-geführtes Konto ihres Vaters haben soll, ist nicht ersichtlich.
Die Beklagte durfte daher zunächst davon ausgehen, keine Mietschulden geerbt zu haben. Das Verschulden der Beklagten ist daher insoweit allenfalls als gering einzustufen.
Auch am Fortbestehen von Mietzahlungsrückständen bis zur Kündigung am 13.06.2022 und darüber hinaus in sinkenden Restbeträgen bis zur endgültig ausgleichenden Zahlung der Beklagten vom 27.10.2022 trägt sie keine hinreichende Schuld. Denn es gelang auch den Klägern erst mit der Replik vom 30.09.2022 mittels der Anlage K8 einen vollständigen, fehlerfreien und rechnerisch nachvollziehbaren Mietkontenauszug vorzulegen, der der Beklagten erstmals die Kenntnis über die tatsächlich bestehenden Außenstände verschaffte, die sie daraufhin binnen Monatsfrist ausglich.
Die Beurteilung des Verschuldens der Beklagten als nur gering wird noch dadurch verstärkt, dass offenbar alle Seiten Schwierigkeiten damit haben, die von der klägerseits beauftragten Hausverwaltung erstellten Mietkontoauszüge fehlerfrei zu erfassen. Während die Beklagtenseite darin übersah, dass die zwischen Jahresendsaldo 2021 von -841,89 € und Kündigung am 14.04.2022 wiederum unter anderem fällige Miete für den Monat April 2022 ebenfalls einzuberechnen ist, ist die Klägerseite nicht nur bis Schluss der mündlichen Verhandlung im erstinstanzlichen Verfahren davon ausgegangen, dass die Beklagte weiterhin einen Außenstand von 34,61 Euro schuldete, obwohl es sich dabei mittlerweile um ein Guthaben der Beklagten handelte. Die Klägerseite hat auch in der Kündigung vom 14.04.2022 den Mietrückstand unzutreffend und dabei deutlich zu hoch mit 1.449,46 € angegeben, obwohl sich dies nicht durch die Angaben in der Anlage K9 unterlegen lässt, sondern nur ein Rückstand zum 14.04.2022 von 1.094,05 € bestand. Wenn also schon die Kläger nicht fehlerfrei mit ihrem eigenen Zahlenwerk operieren können, so kann dies auch nicht von der Beklagten erwartet werden.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich § 91 Abs. 1 ZPO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO
4. Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der Gründe des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegt.
02.06.2025