a) Der erforderliche hinreichend substantiierte Sachvortrag des Mieters zu einer gesundheitlichen Härte im Sinne von § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB kann insbesondere – muss aber nicht stets – durch Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests untermauert werden.
b) Vielmehr kann im Einzelfall auch eine (ausführliche) Stellungnahme eines – bezogen auf das geltend gemachte Beschwerdebild – medizinisch qualifizierten Behandlers geeignet sein, den Sachvortrag des Mieters zu untermauern, auch wenn diese nicht von einem Facharzt erstellt worden ist. Dabei kommt es auf die konkreten Umstände, insbesondere den konkreten Inhalt des (ausführlichen) Attests an.
BGH vom 16.4.2025 – VIII ZR 270/22 –
Langfassung im Internet: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 13 Seiten]
Der Mieter widersprach im Räumungsprozess der Eigenbedarfskündigung unter Vorlage einer „Stellungnahme über Psychotherapie“ seines sich als Psychoanalytiker bezeichnenden Behandlers. In der Stellungnahme, in deren Briefkopf die Tätigkeitsfelder des Behandlers unter anderem als „Psychoanalyse“ und „Psychotherapie (Heilpraktiker-Gesetz)“ bezeichnet waren, hieß es im Wesentlichen, seit Mitte Oktober 2020 fänden regelmäßig einmal wöchentlich psychotherapeutische Sitzungen mit dem Patienten statt. Er leide an einer akuten Depression und emotionaler Instabilität verbunden mit Existenzängsten, die ihn zeitweise arbeitsunfähig machten. Ein Umzug führe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes.
Das Landgericht entschied in der Berufungsinstanz, dass aus dem pauschalen Vortrag, der Mieter leide an einer akuten Depression, sich nicht ergebe, dass er nicht umziehen könne. Die eingereichte Stellungnahme des „Psychoanalytikers“ sei weder ein fachärztliches Attest noch sei sie unabhängig von dessen beruflicher Qualifikation hinreichend aussagekräftig.
Der BGH hielt diese rechtliche Beurteilung für nicht zutreffend.
Mache der Mieter für den Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels durch hinreichend substantiierten Prozessvortrag ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend, hätten sich die Gerichte nach der ständigen Rechtsprechung des BGH beim Fehlen eigener Sachkunde regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon zu verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden seien, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen würden und mit welcher Wahrscheinlichkeit diese eintreten könnten.
Nach der Rechtsprechung des BGH genüge der Mieter als medizinischer Laie seiner Darlegungs- beziehungsweise Substantiierungslast (auf jeden Fall dann), wenn er unter Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests geltend mache, ihm sei ein Umzug wegen einer schweren Erkrankung nicht zuzumuten. Vom Mieter als medizinischen Laien sei über die Vorlage eines solchen (ausführlichen) fachärztlichen Attests hinaus nicht zu verlangen, noch weitere meist nur durch einen Gutachter zu liefernde Angaben zu den gesundheitlichen Folgen, insbesondere zu deren Schwere und zu der Ernsthaftigkeit zu befürchtender gesundheitlicher Nachteile zu tätigen.
Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts habe der BGH damit jedoch nicht zum Ausdruck gebracht, dass für die Erfüllung der Substantiierungspflicht des Mieters stets die Vorlage eines fachärztlichen Attests erforderlich sei.
Im Einzelfall könne auch eine (ausführliche) Stellungnahme eines bezogen auf das geltend gemachte Beschwerdebild medizinisch qualifizierten Behandlers geeignet sein, den Sachvortrag des Mieters zu untermauern, auch wenn diese nicht von einem Facharzt erstellt worden sei. Dabei komme es auf die konkreten Umstände, insbesondere den konkreten Inhalt des (ausführlichen) Attests an.
Deshalb durfte das Berufungsgericht von einer inhaltlichen Würdigung der zur Unterstützung des Sachvortrags des Mieters vorgelegten „Stellungnahmen zur Psychotherapie“ nicht deshalb absehen, weil es sich nicht um ein fachärztliches Attest gehandelt habe.
Der BGH hob das Urteil des Berufungsgerichts insoweit auf und verwies die nicht zur Endentscheidung reife Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück, damit dieses die aufgrund der gebotenen Gesamtwürdigung des Sachvortrags des Mieters erforderlichen Feststellungen treffen könne.
03.09.2025




