Die Nachbarschaften im Lasker- und Rudolfkiez stehen unter Druck. Seit Monaten brodelt es in Friedrichshain: Zahlreiche Bauvorhaben, die aus Sicht vieler Anwohner:innen wenig bis gar keinen Bezug zu den lokalen Bedürfnissen haben, werden gegen den erklärten Willen des Bezirks vorangetrieben – mit aktiver Unterstützung des schwarz-roten Senats.
Besonders im Fokus stehen die Projekte „Ocean Berlin“ (vormals Coral World) in der Laskerstraße, der geplante Hochhausturm der Atrium Development Group an der Rudolfstraße, das AEG-Hochhaus „The Hub“ an der Warschauer Straße und das Trockland-Projekt „Lynx“ in der Laskerstraße.
Eine aktuelle Auswertung der Initiative „Wem gehört der Laskerkiez“ – Teil des Bündnisses „Berlin gegen Gentrifizierung“ – zeigt, wie sehr die Unzufriedenheit in den Kiezen inzwischen gewachsen ist. Nicht ohne Grund: Denn die „massive Unterstützung der Gentrifizierung durch die Stadtentwicklungspolitik“ ist offenkundig. Die Initiative kritisiert insbesondere das Vorgehen der SPD-geführten Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, die dem Bezirk bei mehreren Projekten die Zuständigkeit entzogen hat – obwohl die Planungshoheit bei den Bezirken liegt.
Luxus statt Lebensraum
Das wohl umstrittenste Vorhaben ist der bis zu 167 Meter hohe Turm an der Rudolfstraße 18/19 (Investor: Atrium Development Group) samt umliegender Sockelgebäude. Der Hochhausturm wäre nach dem Estrel Tower das zweithöchste Gebäude Berlins – und entstünde in unmittelbarer Nähe zur Warschauer Brücke. Zwar wirbt das Projekt mit dem Versprechen, „auch Sozialwohnungen“ zu schaffen. Tatsächlich soll deren Anteil jedoch bei nur rund 24 Prozent der Fläche liegen – ausschließlich im Sockelbereich des Gebäudes. Das vermitteln zumindest die Anwohner:innen, die an der Veranstaltung zum Bauvorhaben beteiligt waren. Im Hochhausturm selbst entstehen ein Hotel und zahlreiche Luxuswohnungen. Aktuellere Angaben aus der Senatsverwaltung Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen lagen bis Redaktionsschluss nicht vor.
Brisant: Am 28. April 2025 entzog die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen dem Bezirk offiziell die Zuständigkeit. Zur Begründung hieß es, es liege ein „Gesamtinteresse des Wohnungsbaus“ vor. Der Bezirk sieht darin einen massiven Eingriff in seine Planungshoheit.
Auch das Projekt „The Hub“ der Anschutz Entertainment Group an der Warschauer Straße stößt auf Widerstand. Das geplante 120-Meter-Bürohochhaus soll als architektonisches Gegenstück zum bestehenden Amazon-Tower auf der Ostseite der Warschauer Brücke entstehen. Vorgesehen ist eine starke Konzentration von Büro- und Mobilitätsfunktionen („Mobility Hub“) – jedoch kaum Wohnraum.
Das Baukollegium des Landes Berlin äußerte sich bereits kritisch: Ein solcher Turm sei „nicht der richtige Weg, mit der komplexen Situation vor Ort umzugehen“. Das geht aus dem Protokoll der 110. Sitzung des Gremiums hervor. Der Bezirk warnt vor zusätzlicher Belastung für Infrastruktur, Verkehr und Nachbarschaft. Auch hier steht ein Entzug der Planungshoheit des Bezirks zu befürchten. Ein öffentlicher Diskurs über die sozialen und städtebaulichen Folgen findet praktisch nicht statt.
Beim Projekt „Lynx“ (Investor: Trockland) in der Laskerstraße handelt es sich um einen Büro- und Hotelkomplex direkt neben dem Gelände der ehemaligen „Zukunft am Ostkreuz“ – einst ein wichtiger Ort für Nachbarschaft, Kultur und Begegnung.
Der Bezirk hatte das Vorhaben bereits abgelehnt, doch die Senatsverwaltung setzte es trotzdem auf die Agenda. Für viele ist das ein weiteres Beispiel dafür, wie lokale Mitbestimmung ausgehöhlt wird.
Und schließlich wächst an der Rummelsburger Bucht das Großprojekt „Ocean Berlin“ (Investorenkonsortium um Entwickler Coral World) heran. Vorgesehen sind dort unter anderem ein Hotel sowie ein Meerespark mit großformatigen Glasaquarien. Das Vorhaben weckt Erinnerungen an den einst geplatzten AquaDom in Berlin-Mitte.
Der Widerstand der Kiezbewohner:innen richtet sich vor allem gegen die zunehmende Verdrängung, die durch Projekte entsteht, von denen die ansässige Bevölkerung kaum profitiert. Für das Projekt mussten ein Obdachlosencamp und ein Wagenplatz weichen. Zudem wurde eine Häuserzeile abgerissen – und damit erneut günstiger Wohnraum vernichtet. Unterstützung kommt von Tierschutzorganisationen, die „Ocean Berlin“ als weiteren Beitrag zur Ausbeutung von Tieren kritisieren.
Beteiligung? Nur zum Schein
Besonders empört sind viele Bewohner:innen über die Art, wie die angeblichen „Beteiligungsverfahren“ tatsächlich ablaufen. Bei mehreren Infoveranstaltungen der Atrium Development Group kam es zu lautstarken Protesten. Die Initiative „Wem gehört der Laskerkiez“ erinnert an die Beteiligungsveranstaltung zur geplanten Bebauung des Grundstücks Rudolfstraße. Schon der Veranstaltungsort – das 15. Obergeschoss des Narva-Turms – war symbolisch: weit oben, abgeschottet und von Sicherheitskräften bewacht.
Teilnehmende berichten von einer Atmosphäre der Kontrolle und Einschüchterung. Zwischenrufe, kritische Fragen und Unmutsbekundungen sanktionierten die Veranstaltenden mit „gelben und roten Karten“. Eine Frau wurde gewaltsam von Sicherheitskräften aus dem Raum geführt.
Erst nach massiven Protesten lenkten die Veranstaltenden ein und ließen eine offene Fragerunde zu. Dort wurde schnell klar, wie tief die Gräben zwischen Verwaltung, Investor:innen und der Nachbarschaft inzwischen sind.
Am Ende räumte selbst der Investor ein: Im geplanten Turm entsteht keine einzige Sozialwohnung.
Politisches Vertrauen verspielt
Für viele Mieter:innen im Lasker- und Rudolfkiez ist das Maß voll. Die Nachbarschaft fühlt sich übergangen und instrumentalisiert – der Unmut richtet sich längst nicht mehr nur gegen einzelne Projekte, sondern gegen eine Stadtentwicklungspolitik, die sich von den Interessen der Menschen im Kiez entfernt hat. Und gegen eine Stadtentwicklung, die nicht nur eine echte Beteiligung verhindert, sondern auch die Planungshoheit der Bezirke aushöhlt.
„Hier wird entschieden, ohne dass wir gefragt werden. Und wenn wir gefragt werden, ist alles längst beschlossen“, sagt eine Anwohnerin, die seit über 20 Jahren im Kiez lebt.
Aus Sicht des Berliner Mietervereins sind die aktuellen Entwicklungen alarmierend: Wenn öffentliche Beteiligung zur bloßen Formalie verkommt, wenn Hochhaus- und Hotelprojekte den Bau bezahlbarer Wohnungen verdrängen und wenn Stadtplanung zunehmend zum Instrument von Investor:inneninteressen wird, dann fördertschürt die Politik nicht nur Verdrängung und Gentrifizierung – sie verliert Vertrauen, Zusammenhalt und Glaubwürdigkeit.
Stadtentwicklung braucht soziale Richtung
Die Proteste im Laskerkiez und im Rudolfkiez stehen beispielhaft für viele Berliner Stadtteile, in denen Menschen erleben müssen, wie Investor:innen die Versprechen von „Bezahlbarkeit“ und „Gemeinwohlorientierung“ in teure Bürotürme, Hotelketten und exklusive Eigentumswohnungen übersetzen.
Die Initiative „Wem gehört der Laskerkiez?“ zeigt eindrücklich, wie lebendig und wehrhaft Nachbarschaften sein können. Hunderte Anwohner:innen haben in den vergangenen Monaten demonstriert, diskutiert und sich organisiert.
Am Ende geht es – wie so oft im vergangenen Jahrzehnt – um die zentrale Frage: Wem gehört diese Stadt? Und für wen wird sie weiterentwickelt und gebaut?
fs
Die Initiative “Wem gehört der Laskerkiez” ist Teil des Bündnisses Berlin gegen Gentrifizierung – gemeinsam mit:
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18.11.2025




