Leerstand, Verfall und der Abriss bezahlbarer Wohnungen zugunsten hochpreisiger Neubauten verschärfen die Spannungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Senat und Bezirke bleiben weitgehend passiv. BMV-Geschäftsführer Sebastian Bartels ist Vertrauensperson der Volksinitiative „Bauwende sozial & ökologisch“. Sie kritisiert die Abrisspraxis und hat eine Anhörung beim Senat erwirkt – ein entscheidender Schritt.
Für Wohnungssuchende sind Wohnhäuser, in denen seit Langem kein Licht mehr brennt, ein bitterer Anblick. Mehr als 40.000 Wohnungen in Berlin bleiben ungenutzt – oft weit länger als die erlaubten drei Monate. Die Gebäude verfallen, auch jene, die noch bewohnt sind – bis die Mieter:innen Abrisskündigungen erhalten. Leerstand und Abriss führen auf dem ohnehin angespannten Wohnungsmarkt zu noch mehr Spannungen. Die Initiative „Bauwende für Berlin – ökologisch und sozial“, ins Leben gerufen von der Berliner Initiative Klimaneustart und unterstützt vom Berliner Mieterverein (BMV), fordert eine Abkehr vom Abriss hin zur Sanierung bestehender Gebäude. Ziel ist es, Klimaschutz und den Erhalt bezahlbarer Wohnungen zu verbinden.
Bis Oktober 2024 sammelte die Initiative knapp 35.000 Unterschriften, die zur Einberufung einer Anhörung im Abgeordnetenhaus führten. Mit der Unterschriftensammlung stieß die Initiative eine breite öffentliche Diskussion an, sie baute auch erheblichen politischen Druck für eine sozial-ökologische Bauwende auf.
Forderungen der Volksinitiative
Bei der Anhörung am 17. Februar 2025 präsentierten die Vertrauenspersonen Gerrit Naber von Klimaneustart, die Architektinnen Theresa Keilhacker, Elisabeth Broermann und Friederike Thonke sowie BMV-Geschäftsführer Sebastian Bartels die Kernforderungen der Initiative. Zentraler Punkt ist die verpflichtende Prüfung von Nutzungspotenzialen vor jedem Abriss. Zudem fordert die Initiative ein digitales Wohn- und Mietenkatasters, das Leerstand und energetische Zustände von Gebäuden erfasst. Weitere Forderungen betreffen wirksame Sanktionen gegen Leerstand und missbräuchliche Vermietung.
Die Initiative kritisiert den zunehmend verbreiteten Abriss bezahlbarer Wohnungen zugunsten hochpreisiger Neubauwohnungen. Dabei bleiben ökologische und soziale Aspekte in den Abrissgutachten unberücksichtigt. Oft werden Mieter:innen mit Geld, Schikanen oder Druck zum Auszug bewegt. Bartels fordert daher strengere Auflagen für Neubauvorhaben sowie die verpflichtende Prüfung von Umbaupotenzialen und Nutzungsmöglichkeiten bestehender Gebäude.
Abriss: Ein wiederkehrendes Problem
Die Folgen von Wohnraumabriss landen regelmäßig beim BMV. Fälle von Abrisskündigungen häufen sich in den letzten Jahren. Gerichte stellen oft fest, dass die Eigentümer:innen entweder marode Gebäude gekauft oder den Verfall selbst beschleunigt haben. Solche Beispiele sind in Berlin keine Ausnahme mehr.
Ein digitales Bestandsregister und CO2-Budget für Neubauten
Nach Ansicht der Initiative sollten Leerstände, Abrissgenehmigungen und energetische Gebäudezustände künftig durch ein digitales Wohn- und Mietenkataster erfasst werden. Während die Bundesregierung in dieser Frage noch zögert, drängt die Initiative darauf, dass Berlin vorangeht. Auch die Einführung eines CO2-Budgets für Neubauten und Sanierungen steht auf der Agenda, um den CO2-Ausstoß in der Baupolitik auf ein festgelegtes Maß zu begrenzen.
Politische Reaktionen
Die Anhörung rief gemischte Reaktionen hervor. Abgeordnete der Linken und Grünen unterstützten die Forderungen der Initiative und plädierten für mehr Sanierung und weniger Abriss. Vertreter:innen der CDU und FDP betonten hingegen, dass der Neubau von Wohnungen Vorrang haben müsse, um dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden.
Bausenator Christian Gaebler (SPD) lobte das Engagement der Initiative und verwies auf bereits umgesetzte Maßnahmen. Bei einem möglichen Abrissverbot sieht er jedoch rechtliche Hürden und stellte fest, dass die Voraussetzungen für ein digitales Bestandsregister auf Bundesebene noch geschaffen werden müssten.
Das geforderte Wohnungsregister schob Gaebler auf eine kommende EU-Verordnung. Ob Berlin hier eigenständig handeln könnte, etwa durch eine IT-Taskforce, ließ er offen. Die niedrigen Quoten im sozialen Wohnungsbau rechtfertigte der Senator mit den Bemühungen, landeseigener Wohnungsunternehmen Sozialwohnungen zu bauen. Bartels kritisierte die Ausführungen als ausweichend. „Senator Gaebler argumentierte teils sogar an den Problemen vorbei“, so der BMV-Geschäftsführer. Theresa Keilhacker nannte ihn einen „Abrisssenator“.
Kritik und Gegenbeispiele von der Linksfraktion
Katalin Gennburg, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, verwies auf konkrete Beispiele, bei denen die Politik entgegen den Forderungen der Initiative handelt, wie die geplante Bebauung des Tempelhofer Feldes oder der umstrittene Bau eines Aquariums in der Rummelsburger Bucht. Auch Julian Schwarze von den Grünen betonte, dass man die Herausforderungen der heutigen Zeit nicht mit den Rezepten von gestern lösen könne. Die Debatte über die Stadtentwicklung setze viel zu oft noch an alten, scheinbar einfachen Lösungen an, „aber die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, gehen in eine ganz andere Richtung“, sagte Schwarze.
Ein konkreter Vorschlag für den Dialog
Julian Schwarze (Grüne) regte an, einen „Runden Tisch Bauwende“ einzurichten – ähnlich dem Modell des Runden Tisches Liegenschaften. Dieser wurde 2012 von der Initiative StadtNeudenken gegründet und dient als Plattform für zivilgesellschaftliche Partizipation in der Berliner Liegenschaftspolitik. Der Runde Tisch tagt bis heute regelmäßig im Berliner Abgeordnetenhaus.
Wie geht es weiter?
Im Umfeld der Anhörung im Abgeordnetenhaus formiert sich ein breites gesellschaftliches Bündnis, das die Anliegen der Volksinitiative weiter ausbauen möchte. Unter dem Namen „Unsere Stadt – Klimagerecht Bauen und bezahlbar Wohnen“ will das Bündnis auch Themen wie die Energiewende, den Schutz vor Flächenversiegelung und den Erhalt von Stadtgrün adressieren. Ziel ist es, den Berliner:innen eine starke Stimme zu verleihen, die auf eine soziale Stadtentwicklung und bezahlbare Wohnungen angewiesen sind. Das Bündnis drängt auf konkrete Fortschritte in der nachhaltigen Stadtentwicklung und die Schaffung tragfähiger Lösungen. Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und eine lebenswerte Stadt müssen vorangetrieben werden.
Zur Vertiefung empfehlen wir den Gastbeitrag von Sebastian Bartels im Tagesspiegel vom 15. Februar 2025.
12.03.2025