Wenn der Vermieter einer ihm gesetzlich auferlegten Handlungspflicht nicht hinreichend nachkommt, durch die im Sinne des § 5 AGG eine bisher benachteiligte Gruppe gezielt gefördert werden soll, ist eine im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG durch Unterlassen ausgelöste unmittelbare Benachteiligung gegeben. Die Benachteiligung liegt dabei in der Vorenthaltung eines gesetzlich eingeräumten Vorteils, dessen Ziel es ist, bestehende Nachteile zu beseitigen oder zu verhindern. Eine davon betroffene Person wird weniger günstig behandelt, als es das Gesetz zur Herstellung gleicher Chancen für erforderlich hält.
LG Berlin II vom 30.9.2024 – 66 S 24/24 –,
mitgeteilt von der ZK 66 des LG Berlin
Der Ehemann des Mieters war auf den Rollstuhl angewiesen. Im vorliegenden Verfahren klagte er auf Entschädigung nach § 21 Abs. 2 Satz 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).
Das Wohnungsunternehmen hatte es nämlich unterlassen, dem Mieter die von diesem verlangte Zustimmung zum Bau einer Rollstuhlrampe zur Hauseingangstür zu erteilen. Das Wohnungsunternehmen war jedoch – wie im vorangegangenen Klageverfahren rechtskräftig festgestellt wurde – verpflichtet, den beanspruchten barrierefreien Zugang zur Wohnung zu gestatten. Die gemäß § 554 Abs. 1 BGB geschuldete Zustimmung zu dem Vorhaben wurde durch die inzwischen rechtskräftige Verurteilung aus dem Vorprozess ersetzt.
Das Landgericht sprach dem Kläger eine Entschädigung nach dem AGG in Höhe von 11000 Euro zu und begründete wie folgt:
Die Pflicht zur Zustimmung nach § 554 BGB stelle eine positive Maßnahme im Sinne des § 5 AGG dar, weil sie eine Handlungspflicht des Vermieters darstelle. Sie bedeute eine Ausnahme von dem Grundsatz, wonach der Mieter grundsätzlich keinen Anspruch darauf hat, dass der Vermieter nach Abschluss des Mietvertrags den Umfang des Gebrauchsrechts erweitert (wie es z.B. bei der Genehmigung eines Umbaus der Mietsache durch den Mieter der Fall sein könnte). Nach § 554 BGB bestehe demgegenüber ein gesetzlicher Anspruch des behinderten Mieters auf Erteilung einer Erlaubnis zur baulichen Veränderung der Mietsache. § 554 BGB umfasse auch Veränderungen außerhalb der Wohnung, wie sie z.B. im Treppenhaus notwendig sein können, damit ein Nutzer mit Behinderung die Wohnung ohne fremde Hilfe erreichen könne.
Dem Kläger sei durch das Verhalten der Vermieterin der ihm durch § 554 BGB eingeräumte Vorteil vorenthalten worden. Anders als anderen Mietern, die nicht von einer Behinderung betroffen sind, würde dem Kläger der ihm zustehende barrierefreie Zugang zur Wohnung rechtswidrig versagt.
Die Vermieterin habe vorliegend ihre Pflichten aus dem Mietverhältnis verletzt, indem sie ihre Erlaubnis zum Bau einer Rampe nicht erteilte, obwohl dem Ehemann des Klägers nach § 554 BGB ein Anspruch hierauf zustand. Die Vorschrift sei eine positive Norm im Sinne des § 5 AGG, die dazu diene, Nachteile im Zusammenhang mit einer Behinderung zu beseitigen. Eine entsprechend unmittelbare Benachteiligung liege unabhängig davon vor, ob die Vermieterin aufgrund eines Rechtsirrtums zu einer anderen Auffassung gelangt sei. Das Risiko einer rechtswidrig zu engen Auffassung von eigenen Pflichten sei jedem Rechtsunterworfenen selbst auferlegt. Der Fall liege im Kern nicht anders, als der Fehler eines Vermieters, der z.B. den Ersatz eines Mietausfallschadens nach unberechtigter Verweigerung einer vom Mieter angefragten Untervermietungserlaubnis schuldet, wenn er die maßgebliche Rechtslage falsch einschätzt.
Vorliegend habe die Benachteiligung zwei Jahre lang angehalten: Mit Schreiben vom 28.11.2020 habe der Ehemann des Klägers von der Vermieterin erstmals die Zustimmung zum Bau einer Rampe begehrt; erst Ende November 2022 wurde die Zustimmung durch die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils erteilt.
Der Anspruch auf Entschädigung scheitere auch nicht daran, dass der Kläger selbst nicht Partei des Mietvertrages sei. Der Schutzbereich des § 554 BGB kenne eine derart formale Grenzziehung gerade nicht. Ziel des Gesetzgebers war es, nicht nur auf eine Behinderung des Mieters abzustellen, sondern Umbauten auch zuzulassen, wenn etwa in der Wohnung lebende Angehörige oder der Lebensgefährte des Mieters behindert seien.
Ein sachlicher Grund gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 AGG, der die Benachteiligung des Klägers rechtfertigen könnte, sei nicht gegeben. Die von einer Rampe ausgehenden Gefahren und Risiken und auch eine erhöhte Verkehrssicherungspflicht stellten keine sachlichen Gründe für die Verweigerung der Zustimmung dar.
Der Kläger habe auch die zweimonatige gesetzliche Ausschlussfrist des § 21 Abs. 5 AGG gewahrt. Denn das Verhalten der Vermieterin sei als eine Dauerhandlung aufzufassen mit der Folge, dass der begründete Anspruch des Klägers auf Zustimmung zu den Baumaßnahmen nicht verjähren könne, solange die Zustimmung nicht erfolgt ist.
Die Dauerhandlung der Vermieterin wirkte bis zur Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des am 11.11.2022 verkündeten rechtskräftigen Urteils im Zustimmungsverfahren fort. Denn erst mit Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des rechtskräftigen Urteils sei die Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung nach § 894 S. 2 ZPO eingetreten. Der Kläger habe die zweimonatige Ausschlussfrist daher gewahrt, indem er seinen Anspruch mit anwaltlichen Schreiben vom 6.12.2022 geltend gemacht habe.
Für die Bemessung des nach § 21 Abs. 2 Satz 3 AGG angemessenen konkreten Geldbetrages komme es darauf an, wie intensiv das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzt wurde. Es bestehe ein weites Ermessen des Gerichts, wobei sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien.
Die Höhe der Entschädigung erscheine auch angesichts der besonders hartnäckigen Verweigerungshaltung der Vermieterin gerechtfertigt. Die erste Reaktion der Vermieterin auf die Anfrage des Ehemanns des Klägers vom 28.11.2020 erfolgte erst mit Schreiben vom 17.5.2021, also nach fast sechs Monaten. Bis dahin waren noch zwei weitere Erinnerungsschreiben vom 29.1.2021 und 26.4.2021 erforderlich geworden, bevor überhaupt eine Reaktion der Vermieterin erfolgte. Im Schreiben vom 17.5.2021 und einem weiteren vom 2.6.2021 lehnte die Vermieterin den Bau einer Rampe ab, ohne sich im Mindesten erkennbar inhaltlich mit dem Anliegen auseinandergesetzt zu haben.
Im Schreiben vom 2.6.2021 wurde darüber hinaus – ohne jede substantiierte Darlegung und offensichtlich ohne jede Prüfung vor Ort – behauptet, dass kein Platz für eine Rampe vorhanden sei. Selbst nach Vorlage eines Sachverständigengutachtens, das ausreichenden Platz bescheinigte, hielt die Vermieterin weiter an diesem Argument fest. Ihre Stellungnahmen erweckten so zusehends den Eindruck, dass sie sich nicht mit den spezifischen Gegebenheiten des Falles auseinandersetzte (und auseinandersetzen wollte), sondern lediglich ergebnishaft zur Ablehnung des Anliegens gelangen wollte.
Damit habe die Vermieterin sich volle zwei Jahre lang ignorant gegenüber den Folgen ihrer Weigerung verhalten und sich zu keiner Zeit der naheliegenden Tatsache geöffnet, dass der Kläger während des gesamten Verfahrens nicht eigenständig seine Wohnung verlassen oder in sie hineingelangen konnte. Anstelle eines lösungsorientierten Handelns legte sie eine hartnäckige rechtswidrige Haltung an den Tag.
Angesichts des Umstandes, dass die Vermieterin über mehr als 74.000 Wohnungen verfügt, sei die hier zuerkannte Entschädigung in Höhe von 11.000 Euro auch geeignet und erforderlich, um eine Genugtuungsfunktion zugunsten des Klägers und eine abschreckende Wirkung gegenüber der Vermieterin zu erzielen. Die festgesetzte Entschädigung entspreche als ein durchaus erheblicher Zahlbetrag aus Sicht des Klägers der Schwere und Erheblichkeit der auf seiner Seite eingetretenen Einbußen an Selbstbestimmtheit und Lebensqualität. Gemessen an den wirtschaftlichen Verhältnissen der Vermieterin, die ein besonders großes Immobilienunternehmen sei, erweise sich die Höhe der Entschädigung zwar als fühlbar, aber nicht als eine Belastung, die etwa außer Verhältnis zum verursachten Schaden stünde, oder die existenziell wirtschaftlichen Interessen der Vermieterin tangieren könnte.
Urteilstext
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte, die die Vermieterin des von ihm (mit dem vertraglichen Mieter) genutzten Wohnraums ist, auf Schadensersatz wegen einer rechtswidrigen Diskriminierung nach den Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) in Anspruch. Der Ersatzanspruch sei begründet durch die über zwei Jahre bis zum Ende eines vorausgegangenen Berufungsverfahrens (LG Berlin 66 S 75/22) aufrechterhaltenen Weigerung der Beklagten, dem begehrten Bau einer Rampe für den vom Kläger benötigten barrierefreien Zugang zum Wohnhaus zuzustimmen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen; ein Entschädigungsanspruch bestehe nicht, weil in der Weigerung der Beklagten, die Zustimmung zum Bau einer Rampe zu erteilen, weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 AGG liege. Darüber hinaus sei ein etwaiger Entschädigungsanspruch nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 21 Abs. 5 AGG geltend gemacht worden.
Anstelle des Tatbestandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Bezug genommen. Ergänzungen sind auch nach Maßgabe der §§ 313a Abs. 1 Satz1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht veranlasst.
II.
1. Die Berufung des Klägers ist zulässig; insbesondere ist sie statthaft sowie form- und fristgerecht im Sinne der §§ 517, 519 ZPO eingereicht und begründet worden, § 520 ZPO.
2. Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung aus §§ 21 Abs. 2 S. 3, 19 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 AGG.
Die Beklagte hat den Kläger bei der Durchführung eines massengeschäftsähnlichen Rechtsverhältnisses nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 Alt 2 AGG benachteiligt. Die Benachteiligung erfolgte aufgrund der in der Person des Klägers vorliegenden Behinderung, mithin in einem von § 1 AGG erfassten Lebensbereich. Sachliche Gründe für eine Ungleichbehandlung waren nicht gegeben.
a) Gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG ist eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen, unzulässig. Benachteiligung in diesem Sinne ist jede unterschiedliche Behandlung, die mit einem Nachteil verbunden ist; eine Benachteiligungsabsicht ist nicht erforderlich. Nach § 1 AGG sind u.a. in Fällen einer Behinderung Benachteiligungen zu verhindern oder zu beseitigen. Nach § 2 Nr. 8 AGG ist der Anwendungsbereich eröffnet bei Benachteiligungen in Bezug auf den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum. Nach § 3 Abs. 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Die unmittelbare Benachteiligung kann auch in einem Unterlassen liegen.
Diese Voraussetzungen sind auf Seiten des Klägers erfüllt.
aa) Zutreffend hat das Amtsgericht ausgeführt, dass es sich beim streitgegenständlichen Mietverhältnis um ein massenähnliches Rechtsgeschäft im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 AGG handelt. Darunter ist ein Geschäft zu verstehen, bei dem das Ansehen der Person nach Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und das zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommt. Nach § 19 Abs. 5 AGG kann dies bei Vermietung von Wohnraum zu einem nicht nur vorübergehenden Gebrauch (nur) angenommen werden, wenn der Vermieter insgesamt mehr als 50 Wohnungen vermietet. Das ist vorliegend unstreitig der Fall.
bb) Es liegt eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG vor. Der in diesem Punkt abweichenden Auffassung des Amtsgerichts schließt sich das Berufungsgericht nicht an.
Eine im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG durch Unterlassen ausgelöste unmittelbare Benachteiligung (s. o.) ist insbesondere gegeben, wenn der Vermieter einer gesetzlich auferlegten Handlungspflicht nicht hinreichend nachkommt, durch die im Sinne des § 5 AGG eine bisher benachteiligte Gruppe gezielt gefördert werden soll. Die Benachteiligung liegt dabei in der Vorenthaltung eines gesetzlich eingeräumten Vorteils, dessen Ziel es ist, bestehende Nachteile zu beseitigen oder zu verhindern. Eine davon betroffene Person wird weniger günstig behandelt, als es das Gesetz zur Herstellung gleicher Chancen für erforderlich hält. Die gesetzlich vorgesehene Förderung hat für die absichtsvoll konstituierte positive Maßnahme im Sinne des § 5 AGG einen individuell drittschützenden Charakter. Sie stellt sich deshalb nicht als neutrale oder indifferente „allgemeine“ Haltung des Gesetzgebers dar, sondern führt zugunsten einer in den Schutzbereich der Vorschrift fallenden Personen zum Vorliegen einer unmittelbaren Benachteiligung durch Unterlassen (vgl. VG Berlin, Urteil vom 12.11.2020 – VG 5 K 11.19, BeckRS 2020, 33008, Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 03.03.2011 – 5 C 16/10, NJW 2011, 2452, Rn. 17; EuGH Urteil vom 11.04.2013 – C-335/11, NZA 2013, 553, Rn. 72).
Die Beklagte hat es unterlassen, dem Ehemann des Klägers, der Vertragspartner der Beklagten ist, die von diesem (zum unmittelbaren Vorteil des Klägers) verlangte Zustimmung zum Bau einer Rampe zu erteilen. Die Beklagte war jedoch – wie im vorangegangenen Klageverfahren schon in der erstinstanzlichen Entscheidung und sodann auch im Berufungsurteil festgestellt wurde – verpflichtet, den beanspruchten barrierefreien Zugang zur Wohnung zu gestatten (AG Kreuzberg, Urteil vom 10.03.2022, 16 C 179/21, LG Berlin, Urteil vom 11.11.2022, 66 S 75/22). Die ihrerseits gemäß § 554 Abs. 1 BGB geschuldete Zustimmung zu dem Vorhaben wurde durch die inzwischen rechtskräftige Verurteilung aus dem Vorprozess ersetzt.
Die Pflicht zur Zustimmung stellt eine positive Maßnahme im Sinne des § 5 AGG dar; weil sie eine Handlungspflicht des Vermieters darstellt. Sie bedeutet eine Ausnahme von dem Grundsatz, wonach der Mieter grundsätzlich keinen Anspruch darauf hat, dass der Vermieter nach Abschluss des Mietvertrags den Umfang des Gebrauchsrechts erweitert (wie es z.B. bei der Genehmigung eines Umbaus der Mietsache durch den Mieter der Fall sein könnte). Nach § 554 BGB besteht demgegenüber ein gesetzlicher Anspruch des Mieters auf Erteilung einer Erlaubnis zur baulichen Veränderung der Mietsache (Börstinghaus in: Blank/Börstinghaus/Siegmund, Miete, 7. Auflage 2023, § 554, Rn. 3). Die Norm umfasst auch Veränderungen außerhalb der Wohnung, wie sie z. B. im Treppenhaus notwendig sein können, damit ein Nutzer mit Behinderung die Wohnung ohne fremde Hilfe erreichen kann (BT-Drs. 14/5663, S. 78).
Gemäß der Entscheidung des Landgerichts in dem bereits erwähnten früheren Berufungsverfahren (66 S 72/22) musste die Beklagte die Erlaubnis zum Bau der Rampe erteilen. Der von ihr vertretenen Auffassung, dass im Rahmen der nach § 554 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung lediglich ein Recht auf Zustimmung zur Montage eines Treppenliftes bestanden habe, sind sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht nicht gefolgt. Das entsprechend beschränkte Angebot der Beklagten, die Zustimmung zum Bau eines Treppenlifts anstelle einer Rampe zu erteilen, war also nicht geeignet, das Regelungsziel des § 554 BGB angemessen und sachgerecht zu verwirklichen.
Auch der Umstand, dass das Landgericht im Rahmen der Interessenabwägung eine Zug um Zug zu leistende (und angebotene) Sicherheitsleistung als sachgerecht angesehen hat, ändert nichts an dem im Kern begründeten Anspruch des Mieters (= Ehemann des hiesigen Klägers), der sich auf die Erlaubnis zum Bau der Rampe richtete. Die darauf bezogene Zustimmung der Beklagten musste erst durch das Berufungsurteil ersetzt werden; bis zuletzt hatte die Beklagte am Antrag auf (vollständige) Klageabweisung festgehalten.
Dem Kläger ist durch dieses Vorgehen der Beklagten der ihm durch § 554 BGB eingeräumte Vorteil vorenthalten worden. Anders als anderen Mietern, die nicht von einer Behinderung betroffen sind, wurde dem Kläger der ihm zustehende barrierefreie Zugang zur Wohnung rechtswidrig versagt.
Die Beklagte hält dem entgegen, dass allein die abweichende Rechtsauffassung der Beklagten bezüglich des barrierefreien Zugangs nach § 554 BGB als Benachteiligung im Sinne des AGG bewertet werde; eine andere Rechtsauffassung bedeute jedoch nicht ohne weiteres, dass diese aus dem Merkmal einer Behinderung resultiere. Aus diesem Grund könne auch nicht zwingend auf eine Benachteiligung geschlossen werden.
Dies sieht das Berufungsgericht – wie auch die bereits zitierten Verwaltungsgerichte und der EuGH – anders (vgl. VG Berlin, Urteil vom 12.11.2020 – VG 5 K 11.19, BeckRS 2020, 33008, Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 03.03.2011 – 5 C 16/10, NJW 2011, 2452, Rn. 17; EuGH Urteil vom 11.04.2013 – C-335/11, NZA 2013, 553, Rn. 72). Die Beklagte hat vorliegend ihre Pflichten aus dem Mietverhältnis verletzt, indem sie ihre Erlaubnis zum Bau einer Rampe nicht erteilte, obwohl dem Ehemann des Klägers nach § 554 BGB ein Anspruch hierauf zustand. Die Vorschrift ist eine positive Norm im Sinne des § 5 AGG, die dazu dient, Nachteile im Zusammenhang mit einer Behinderung zu beseitigen. Das für die Sachentscheidung maßgebliche Kriterium ist rechtlich untrennbar mit der Behinderung verbunden. Eine entsprechend unmittelbare Benachteiligung liegt deshalb unabhängig davon vor, ob die Beklagte aufgrund eines Rechtsirrtums zu einer anderen Auffassung gelangt ist. Das Risiko einer rechtswidrig zu engen Auffassung von eigenen Pflichten ist jedem Rechtsunterworfenen selbst auferlegt. Der Fall liegt im Kern nicht anders, als der Fehler eines Vermieters, der z.B. den Ersatz eines Mietausfallschadens nach unberechtigter Verweigerung einer vom Mieter angefragten Untervermietungserlaubnis schuldet, wenn er die maßgebliche Rechtslage falsch einschätzt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 11.06. 2014 – VIII ZR 349/13, NJW 2014, 2717).
Nichts anderes folgt aus der übrigen bereits zitierten Rechtsprechung. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte etwa im Rahmen von § 25 LfBG den Versuch des dortigen Beklagten zu bewerten, im Rahmen einer beamtenrechtlichen Beurteilung bei den Leistungen von schwerbehinderten Beamtinnen und Beamten eine mögliche Minderung der Arbeits- und Verwendungsfähigkeit zu berücksichtigen. Das Verwaltungsgericht bewertete die konkrete Vorgehensweise als (objektiv) in sich unschlüssig und nicht geeignet, das Regelungsziel von § 25 Abs. 3 LfbG zu verwirklichen. Die unmittelbare Benachteiligung des Klägers liegt dann bereits darin, dass ihm der durch § 25 Abs. 3 LfbG gesetzlich eingeräumte Vorteil vorenthalten wurde. Dieselbe fehlende Eignung zur Erreichung des gesetzlichen Regelungsziels (hier von § 554 BGB) prägte (wie bereits ausgeführt) auch den Vorschlag der Beklagten, (nur) einem Treppenlift zustimmen zu wollen.
Der Einwand der Beklagten, ein Unterlassen angemessener Vorkehrungen könne allenfalls im Bereich des Arbeitsrechts, nicht aber in sonstigen zivilrechtlichen Beziehungen eine unmittelbare Benachteiligung begründen, überzeugt das Gericht nicht. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass das AGG zwischen arbeitsrechtlichen Angelegenheiten und sonstigen zivilrechtlichen Beziehungen unterscheidet. In beiden Bereichen konstatiert das AGG jedoch ein Benachteiligungsverbot (§ 7 und § 19 AGG) und lässt (nur) unter bestimmten Voraussetzungen eine unterschiedliche Behandlung zu (§§ 8,10, 20 AGG). § 5 AGG, der eine Handlungspflicht begründet, gehört zu den allgemeinen Regelungen des Gesetzes, die für beide Regelungsbereiche Anwendung finden.
Der Anspruch auf Schadensersatz scheitert auch nicht daran, dass der Kläger selbst nicht Partei des Mietvertrages ist. Der Schutzbereich des § 554 BGB kennt eine derart formale Grenzziehung gerade nicht. Ziel des Gesetzgebers war es, „nicht nur auf eine Behinderung des Mieters abzustellen, sondern Umbauten auch zuzulassen, wenn etwa in der Wohnung lebende Angehörige oder der Lebensgefährte des Mieters behindert sind. Damit sind auch diejenigen Personen von der Regelung erfasst, die der Mieter berechtigterweise in seine Wohnung aufgenommen hat, ohne dass sie selbst Mietvertragspartei sind.“ (BT-Drs. 14/5663, S. 78). Auch der Kläger kann daher wegen des ihn und seine Behinderung betreffenden Verstoßes gegen § 554 BGB Schadensersatz aus §§ 21 Abs. 2 S. 3, 19 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 AGG beanspruchen.
b) Die Beklagte versucht zwar darzulegen, ihren Mitarbeitern sei nicht bewusst gewesen, dass ihre Maßnahmen bzw. ihr Handeln zu einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung führen könnten; darauf kommt es aber für die Feststellung des Anspruchs dem Grunde nach nicht an. Für das Tatbestandsmerkmal einer unmittelbaren Benachteiligung ist ein Verschulden des Benachteiligenden und somit insbesondere eine irgendwie geartete Absicht nicht erforderlich (vgl. Schrader/Schubert in: Däubler/Beck, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 5. Auflage 2022, § 21, Rn. 65; EuGH Urteil vom 22.04.1997 – Rs. C-180/95, NJW 1997, 1839; EuGH 08.11.1990 – Rs. C-177/88). Dieser Aspekt ist allenfalls im Rahmen der Haftungsausfüllung bei der Ermittlung der Entschädigungshöhe zu berücksichtigen.
c) Ein sachlicher Grund gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 AGG, der die Benachteiligung des Klägers rechtfertigen könnte, ist nicht gegeben.
Sachliche Gründe sind nachvollziehbare und nicht offensichtlich willkürliche Ziele, die mit der Ungleichbehandlung verfolgt werden. Ein Ziel ist dann rechtmäßig, wenn es nicht seinerseits diskriminierend und im Übrigen legal ist (MüKoBGB/Thüsing, 9. Auflage 2021, AGG § 3 Rn. 41).
§ 20 Abs. 1 S. 2 AGG nennt Regelbeispiele, die der Auslegung und Konkretisierung des Begriffs des „sachlichen Grundes“ dienen. Danach kann eine unterschiedliche Behandlung z.B. zulässig sein, wenn sie der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient.
aa) Die von einer Rampe ausgehenden Gefahren und Risiken und auch eine erhöhte Verkehrssicherungspflicht stellen keine sachlichen Gründe für die Verweigerung der Zustimmung dar.
Zwar steht der Beklagten bei der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Gefahr und des Ausmaßes eines potenziellen Schadens ein gewisser Einschätzungsspielraum zur Verfügung (MüKoBGB/Thüsing, 9. Auflage 2021, AGG § 20 Rn. 31-36). Auch bei Massengeschäften sollen zwar grundsätzlich Verkehrssicherungspflichten durchgesetzt werden, um Gefahren und Schäden von den am Schuldverhältnis Beteiligten, von Dritten und auch von der Allgemeinheit abzuwenden (MüKoBGB/Thüsing, 9. Auflage 2021, AGG § 20 Rn. 31-36). Die Anerkennung einer solchen Ausnahme darf aber nicht dazu führen, dass gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen im Wege einer vorgeschobenen Rechtfertigung abgelehnt werden; der entsprechende Einwand verlangt also, dass vermeintlich drohende Schäden mit einer gesteigerten Erheblichkeit im Raume stehen (vgl. MüKoBGB/Thüsing, 9. Auflage 2021, AGG § 20 Rn. 31-36).
Die von der Beklagten in der Berufungserwiderung vorgetragenen „erheblichen Weiterungen hinsichtlich der Verkehrssicherheit“, für die die Beklagte als Grundstückseigentümerin einzustehen habe, sind schon deshalb untauglich, weil sie nicht substantiiert dargelegt worden sind.
Hinsichtlich der von der Beklagten vorgebrachten erhöhten Verletzungsgefahr haben das Amts- und Landgericht im Zustimmungsverfahren zutreffend ausgeführt, dass allein mögliche Verletzungsrisiken, die im Zuge eines Bauvorhabens abstrakt geschaffen werden, nicht ausreichen, um das Vorhaben für unzumutbar zu erklären. Überzeugend wurde im Zustimmungsverfahren entschieden, dass konkret keine nennenswerten Gefahren und somit auch keine wesentlichen Verkehrssicherungspflichten durch den Bau der Rampe geschaffen werden.
Entsprechend stellen diese auch keinen sachlichen Grund für die Ablehnung dar, weil sie objektiv in keinem Verhältnis zum unabweisbaren Bedürfnis des Klägers am Bau der Rampe stehen.
bb) Soweit die Beklagte dem Kläger vorwirft, dieser habe stets den Bau einer Rampe begehrt und nicht allgemein die Herstellung eines barrierefreien Zugangs zum Haus, stellt auch dies keinen sachlichen Grund für eine Ablehnung dar. Aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung des § 554 BGB muss der Mieter mit einer konkreten Maßnahme auf den Vermieter zukommen, um überhaupt den Anwendungsbereich der Norm zu eröffnen. Unterbleiben solche Informationen, überwiegt das Interesse des Vermieters an der Beibehaltung des ursprünglichen Zustands (Blank/Börstinghaus/Siegmund/Börstinghaus, 7. Auflage 2023, BGB § 554 Rn. 25). Der insoweit also notwendigen Konkretisierung des Begehrens durch den Kläger standen berechtigte und gewichtige Interessen des Vermieters bezogen auf das konkret geforderte Vorhaben nicht gegenüber, sodass die Beklagte die Zustimmung auch nicht zu einer anderen, gleich tauglichen baulichen Veränderung hätte erteilen können. Im Zustimmungsverfahren wurde zutreffend entschieden, dass insbesondere der Treppenlift in der Abwägung keine gleich taugliche Alternative zur Rampe darstellt.
cc) Auch der Umstand, dass die Beklagte die Zustimmung von der Erbringung einer Sicherheitsleistung abhängig machen durfte, stellt – entgegen der vom Amtsgericht vertretenen Auffassung – keinen sachlichen Grund für die Benachteiligung des Klägers dar.
Die Vereinbarung der Sicherheitsleistung dient der Sicherung des Rückbaurisikos. Sie betrifft damit lediglich das „wie“ der Maßnahme, nicht aber das „ob“. Dementsprechend stellt sie keinen rechtserheblichen Einwand dem Grunde nach dar, sondern betrifft allein die inhaltlichen Modalitäten der Ausgestaltung der Maßnahme. Selbst wenn die Beklagte ihre Zustimmung nicht ohne Sicherheitsleistung erteilen musste, hätte es ihr offen gestanden, mit einer derartigen Maßgabe zuzustimmen. Auch dies hat sie aber nie getan. Bis zuletzt hat die Beklagte hartnäckig die vollständige und einschränkungslose Klageabweisung des Anspruchs auf Zustimmung zum Bau der Rampe verfolgt und prozessual beantragt.
d) Der Kläger hat die gesetzliche Ausschlussfrist des § 21 Abs. 5 AGG gewahrt. Nach dieser Norm muss der Entschädigungsanspruch innerhalb einer Frist von zwei Monaten geltend gemacht werden.
Abweichend vom Amtsgericht ist das Verhalten der Beklagten als eine Dauerhandlung aufzufassen mit der Folge, dass der begründete Anspruch des Klägers auf Zustimmung zu den Baumaßnahmen nicht verjähren kann, solange die Zustimmung nicht erfolgt ist.
Dauerverhalten ist ein Tun oder Unterlassen, das den Betroffenen ununterbrochen verletzt, solange der durch das Verhalten hervorgerufene Zustand andauert (MüKoBGB/Grothe, 8. Auflage 2018, BGB § 199 Rn. 13). Nur bei abgeschlossenen Verletzungshandlungen, bei denen der Eingriff lediglich noch fortwirkt, steht dieser Umstand einem Verjährungsbeginn nicht entgegen (so z.B. BGH, Urteil vom 23.02.1973 – V ZR 109/71).
Der Hinweis des Amtsgerichts auf das Urteil des OLG Hamm vom 12.01.2011 (20 U 102/10) verfängt insoweit nicht. Der dort beurteilte Sachverhalt ist mit dem hier vorliegendem nicht zu vergleichen. Das OLG Hamm stellt zutreffend fest, dass der Rücktritt des Versicherungsgebers von einem Krankenversicherungsvertrag, der sich als Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellte, kein Dauerverhalten, sondern eine einmalige Benachteiligungshandlung darstellt.
Vorliegend geht es jedoch nicht um eine einmalige Ablehnung, die zur Beendigung des Vertragsverhältnisses geführt hätte, sondern um die anhaltende Weigerung der Beklagten in einem laufenden Dauerschuldverhältnis, die Zustimmung zum Bau einer Rampe zu erteilen; eine Zustimmung, auf die seitens des Mieters ein Anspruch aus § 554 BGB besteht. Diese fortgesetzte Verletzung der mietvertraglichen Pflichten seitens der Beklagten und die wiederholt fehlgeschlagenen Versuche, die Beklagte zur Einhaltung ihrer mietvertraglichen Pflichten zu bewegen, begründen eine Dauerhandlung.
Der vorliegende Sachverhalt ähnelt insoweit dem andauernden vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache durch den Mieter. Für diesen hat der BGH (ebenfalls) entschieden, dass das Verhalten des Mieters ein Dauerverhalten darstelle mit der Folge, dass der Anspruch des Vermieters auf Unterlassen nach § 541 BGB während des laufenden Mietverhältnisses nicht verjähren kann (BGH Urteil vom 19.12.2018 – XII ZR 5/18, NJW 2019, 1062).
Die Dauerhandlung der Beklagten wirkte bis zur Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des am 11.11.2022 verkündeten rechtskräftigen Urteils im Zustimmungsverfahren 66 S 75/22 fort. Denn erst mit Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des rechtskräftigen Urteils trat die Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung nach § 894 S. 2 ZPO ein. Der Kläger hat die zweimonatige Ausschlussfrist daher gewahrt, indem er seinen Anspruch mit anwaltlichen Schreiben vom 06.12.2022, also innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des landgerichtlichen Urteils an die Beklagte geltend gemacht hat.
3. § 21 Abs. 2 Satz 3 AGG hat zur Folge, dass jeder Verstoß gegen das in § 21 Abs. 1 Satz 1 AGG genannte Benachteiligungsverbot zu einem Nichtvermögensschaden führt. Einer gesonderten Feststellung des Eintritts eines immateriellen Schadens als solchem bedarf es nicht. Für die Bemessung des nach § 21 Abs. 2 Satz 3 AGG angemessenen konkreten Geldbetrages kommt es darauf an, wie intensiv das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzt wurde. Es besteht ein weites Ermessen des Gerichts, wobei sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Zu diesen Umständen zählen etwa die Schwere und Art der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Benachteiligenden, etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalls. Ferner ist der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, so dass die Höhe auch danach zu bemessen ist, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist. Der Vermieter soll von künftigen Diskriminierungen abgehalten werden, wobei die Entschädigung in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss (Deinert in: Däubler/Beck, AGG, 5. Auflage 2022, § 21, Rn. 66 ff.).
Nach diesen Maßgaben hält das Gericht vorliegend eine Entschädigung in Höhe von 11.000,- € für angemessen. Die Benachteiligung durch die Beklagte hatte beim Kläger gravierende Folgen. Denn ohne Rampe war es dem Kläger nicht möglich, eigenständig in sein Wohnhaus zu gelangen oder dieses zu verlassen. Er bedurfte hierzu ausnahmslos der Hilfe Dritter, weil es ihm allein nicht möglich war, die vorhandenen sechs Treppenstufen zu überwinden. Der Kläger war dadurch in seiner Bewegungs- und Handlungsfreiheit stark eingeschränkt. Wenn er alleine zu Hause war, konnte er das Haus nicht spontan verlassen, um beispielsweise Besorgungen zu machen. Wenn er von der Arbeit oder einem anderen Anlass nach Hause zurückkehrte, musste er sicherstellen, dass sein Ehemann oder ein Dritter anwesend war und ihm helfen würde, ins Haus zu gelangen. Der Kläger musste täglich jeden Außenaufenthalt planen und sich absprechen, um sicherzustellen, dass er das Haus bei Bedarf verlassen bzw. hineingelangen konnte. Jederzeit denkbare spontane bzw. unvorhergesehene Anlässe, das Wohnhaus zu verlassen oder ohne Hilfestellung andere Personen aufzusuchen, waren für den Kläger unabwendbar nicht zu bewältigen. Diese Auswirkungen der Benachteiligung manifestierten sich also täglich, und zwar im persönlichen Kernbereich der Existenz des Klägers. Die grundlegende Vereitelung einer in diesem Bereich autonomen Lebensführung ist als existenzielle Beeinträchtigung des persönlichen Lebens anzuerkennen.
Dieser Zustand hielt zwei Jahre lang an: Mit Schreiben vom 28.11.2020 hat der Ehemann des Klägers von der Beklagten erstmals die Zustimmung zum Bau einer Rampe begehrt; erst Ende November 2022 wurde die Zustimmung durch die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils erteilt.
Die Höhe der tenorierten Entschädigung erscheint auch angesichts der besonders hartnäckigen Verweigerungshaltung der Beklagten gerechtfertigt. Die erste Reaktion der Beklagten auf die Anfrage des Ehemanns des Klägers vom 28.11.2020 erfolgte erst mit Schreiben vom 17.05.2021, also nach fast sechs Monaten. Bis dahin waren noch zwei weitere Erinnerungsschreiben vom 29.01.2021 und 26.04.2021 erforderlich geworden, bevor überhaupt eine Reaktion der Beklagten erfolgte. Im Schreiben vom 17.05.2021 und einem weiteren vom 02.06.2021 lehnte die Beklagte den Bau einer Rampe ab, ohne sich im Mindesten erkennbar inhaltlich mit dem Anliegen auseinandergesetzt zu haben. Die von der Beklagten formulierte Begründung wird dem Begehren des Klägers nicht ansatzweise gerecht. So heißt es darin pauschal, dass die Wohnungen des Objekts teilweise nicht barrierefrei seien (die Wohnung des Klägers ist allerdings sehr wohl barrierefrei), weshalb eine Rampe (gemeint ist wohl: „ohnehin“) nicht zu einem (insgesamt) barrierefreien Wohnen führen würde. Auch gäbe es keine Anfragen von anderen Mietern, die etwa eine Barrierefreiheit wünschten. Das vom Gesetz privilegierte Anliegen des Klägers wird durch solche abwechselnden und völlig sachfremden Erwägungen in die Nähe irgendwelcher anderen Nutzer gerückt, die möglicherweise (z.B. als mit Rollern spielende Kinder, als ältere Menschen mit Gehstock, als Familien mit Kinderwagen oder Mieter mit Fahrrad) ebenfalls ein Interesse am Vorhandensein einer Rampe beurkunden könnten, dies aber nach Darstellung der Beklagten nicht tun. Da solche Personen gerade keinen gesetzlichen Anspruch auf Zustimmung zu baulichen Veränderungen zur Barrierereduzierung haben, ist die Reaktion der Beklagten grob unsachlich und verfehlt ausgefallen.
Im Schreiben vom 02.06.2021 wird darüber hinaus – ohne jede substantiierte Darlegung und offensichtlich ohne jede Prüfung vor Ort – behauptet, dass kein Platz für eine Rampe vorhanden sei. Selbst nach Vorlage eines Sachverständigengutachtens, das ausreichenden Platz bescheinigt, hielt die Beklagte weiter an diesem Argument fest. Ihre Stellungnahmen erweckten so zusehends den Eindruck, dass sich die Beklagte nicht mit den spezifischen Gegebenheiten des Falles auseinandersetzte (und auseinandersetzen wollte), sondern lediglich ergebnishaft zur Ablehnung des Anliegens gelangen wollte.
Erstmals nach der Klageandrohung vom 12.08.2021 unterbreitete die Beklagte wenigstens den (ungenügenden) Vorschlag, statt der Rampe einen Lift zu bauen. Im anschließenden Gerichtsverfahren und auch nach verlorener erster Instanz kam es der Beklagten nicht in den Sinn, dem gerichtlichen Ausspruch gemäß einem Bau der Rampe wenigstens mit der Maßgabe einer Sicherheit zuzustimmen. Die Beklagte hat nie versucht, die Sache problemorientiert anzugehen. Bis zuletzt brachte sie – auch im hier geführten Verfahren (z.B. zu den Gefahren einer Rampe) – pauschale Ausflüchte vor, die nicht ansatzweise zu überzeugen vermögen (und die sich bereits in zwei Instanzen mit ausführlicher Begründung als erfolglos erwiesen hatten).
Damit hat die Beklagte sich volle zwei Jahre lang ignorant gegenüber den Folgen ihrer Weigerung verhalten und sich zu keiner Zeit der naheliegenden Tatsache geöffnet, dass der Kläger während des gesamten Verfahrens nicht eigenständig seine Wohnung verlassen oder in sie hineingelangen konnte. Anstelle eines lösungsorientierten Handelns legte sie eine hartnäckige rechtswidrige Haltung an den Tag.
Bei der Höhe der Entschädigung ist weiter zu berücksichtigen, dass die Beklagte dem Kläger ersichtlich keinerlei Form der Wiedergutmachung – und sei es auch nur in Form eines Ausdrucks des Bedauerns – geleistet hat.
Angesichts des Umstandes, dass die Beklagte über mehr als 74.000 Wohnungen verfügt, ist die hier zuerkannte Höhe der Entschädigung auch geeignet und erforderlich, um eine Genugtuungsfunktion zugunsten des Klägers und eine abschreckende Wirkung gegenüber der Beklagten zu erzielen. Die festgesetzte Entschädigung entspricht als ein durchaus erheblicher Zahlbetrag aus Sicht des Klägers der Schwere und Erheblichkeit der auf seiner Seite eingetretenen Einbußen an Selbstbestimmtheit und Lebensqualität. Gemessen an den wirtschaftlichen Verhältnissen der Beklagten, die ein besonders großes Immobilienunternehmen ist, erweist sich die Höhe der Entschädigung zwar als fühlbar, aber nicht als eine Belastung, die etwa außer Verhältnis zum verursachten Schaden stünde, oder die existenziell wirtschaftlichen Interessen der Beklagten tangieren könnte.
4. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10 ZPO.
5. Die Wiedereröffnung der Verhandlung war nicht geboten. Die Voraussetzungen des § 156 ZPO liegen nicht vor. Die von der Beklagten behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht nachvollziehbar.
Die Behauptung der Beklagten, die Berufungsbegründung erst am 03.07.2024 erhalten zu haben, ist weder über das gewünschte Ergebnis hinaus substantiiert vorgetragen, noch in geeigneter Weise (etwa durch Auszüge aus dem beA-Eingang) belegt. Angesichts des Umstandes, dass bei Gericht keine Fehlermeldung vorliegt, sondern der elektronische Postausgang an die Beklagte sich dahingehend bestätigt findet, dass mit der Terminsverfügung auch die Berufungsbegründung dem Prozessbevollmächtigten am 03.06.2024 zugegangen ist, erscheint der pauschale Hinweis, wonach die Berufungsbegründung am 03.06.2024 nicht in dem elektronischen Eingang aufzufinden gewesen sei, ungenügend.
Hierauf kommt es vorliegend aber auch nicht entscheidend an. Selbst wenn der Beklagtenvertreter die Berufungsbegründung erst am 03.07.2024 erhalten haben sollte, ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht gegeben. Denn die Beklagte hatte Gelegenheit, auf die Berufungsbegründung schriftlich zu erwidern. Sie hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und das Gericht hat die Berufungserwiderung im Rahmen seiner Entscheidung auch berücksichtigt. Die rechtlichen Fragestellungen waren der Beklagten im Übrigen aus der ersten Instanz bereits bekannt. Im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung am 15.07.2024 hat sie zudem umfassend von der weiteren Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihre Rechtsauffassung darzulegen und mit dem Gericht und der Klägerseite zu diskutieren.
6.Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO erforderlich machen würden, liegen nicht vor. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung liegen keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vor. Grundsätzliche Bedeutung ist (nur) dann gegeben, wenn die Rechtssache eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, d.h. die allgemein von Bedeutung ist. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage nicht bereits dann, wenn der BGH sie noch nicht entschieden hat. Vielmehr muss ihre Beantwortung zweifelhaft sein, weil sie vom BGH noch nicht entschieden ist und in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt wird oder wenn sie in der Literatur in gewissem Umfang umstritten ist (Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 543 ZPO, Rn. 13). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
28.01.2025