Leitsätze:
1. Beruft sich der Mieter auf eine Mietpreisüberhöhung nach § 5 WiStG, hat er den Kausalzusammenhang zwischen Mangellage und Vereinbarung der überhöhten Miete darzulegen. Ein solcher Kausalzusammenhang fehlt, wenn der Mieter unabhängig von der Lage auf dem Wohnungsmarkt bereit ist, eine verhältnismäßig hohe Miete zu bezahlen, etwa weil er aus persönlichen Gründen – beispielsweise wegen einer von ihm bevorzugten Wohnlage – nur eine bestimmte und keine vergleichbare andere Wohnung beziehen will.
2. Beruft sich der Mieter auf eine sittenwidrige Mietzinsvereinbarung nach § 138 BGB, hat er unter anderem die Ausnutzung einer Zwangslage durch den Vermieter darzulegen.
LG Berlin, Urteil vom 28.9.04 – 64 S 230/04 –
Mitgeteilt von RA Andreas Volkmann
Urteilstext
Aus den Gründen:
… Die Berufung der Beklagten, mit der diese die vollständige Abweisung der Klage anstreben, hat in der Sache Erfolg. Der Klägerin steht der erstinstanzlich (teilweise) zuerkannte Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Miete der Monate Juni bis Dezember 1997 in Höhe von insgesamt 1.883,44 Euro gegen die Beklagten gemäß § 812 Abs. 1 BGB nicht zu. Die Zahlungen erfolgten stets mit Rechtsgrund, da die Vereinbarung zur Miethöhe wirksam war.
Die Vereinbarung im Mietvertrag verstößt nicht gegen § 5 WiStG. Dabei kann die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete offen bleiben. Selbst bei objektiver Überschreitung der ortsüblichen Vergleichsmiete um mehr als 20 Prozent bestände kein Rückzahlungsanspruch der Klägerin. Denn die Klägerin hat nicht dargetan, dass die Beklagten bei Vertragsschluss ein geringes Angebot an vergleichbaren Wohnungen ausgenutzt hätten. Nach der Rechtsprechung des BGH (GE 2004, 540) ist das Tatbestandsmerkmal der „Ausnutzung eines geringen Angebots“ (§ 5 Abs. 2 WiStG) nur erfüllt, wenn die Mangellage auf dem Wohnungsmarkt für die Vereinbarung der Miete im Einzelfall ursächlich war. Dazu hat der Mieter darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, welche Bemühungen bei der Wohnungssuche er bisher unternommen hat, weshalb diese erfolglos geblieben sind und dass er mangels einer Ausweichmöglichkeit nunmehr auf den Abschluss des für ihn ungünstigen Mietvertrages angewiesen war. Der BGH führt in dieser Entscheidung u.a. aus:
„… b) Soweit die Ordnungswidrigkeitenbestimmung des § 5 WiStG über § 134 BGB in das Zivilrecht hineinwirkt, geht es nicht – jedenfalls nicht vorrangig – um die Verhinderung von Wettbewerbsstörungen (vgl. dazu Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl., § 5 WiStG Rdnr. 1; Schmidt-Futterer/Blank a.a.O., Rdnr. 1), sondern um den Schutz des Mieters. Durch die Sanktion der (Teil-)Nichtigkeit der Vereinbarung über die Höhe der Miete sollen der Mieter davor geschützt und der Vermieter davon abgehalten werden, auf Grund einer unausgewogenen Lage auf dem Mietwohnungsmarkt eine unangemessen hohe Miete zu versprechen beziehungsweise zu fordern. Zwischen der Mangellage und der Vereinbarung der überhöhten Miete muss daher ein Kausalzusammenhang bestehen; daran fehlt es unter anderem dann, wenn der Mieter unabhängig von der Lage auf dem Wohnungsmarkt bereit ist, eine verhältnismäßig hohe Miete zu bezahlen, etwa deshalb, weil er aus persönlichen Gründen – beispielsweise wegen einer von ihm bevorzugten Wohnlage – nur eine bestimmte und keine vergleichbare andere Wohnung beziehen will. Dasselbe gilt, wenn der Mieter die Wohnung mietet, ohne sich zuvor über ähnliche Objekte und die Höhe der üblichen Miete erkundigt zu haben. In allen diesen Fällen bedarf der Mieter nicht des Schutzes, den das Gesetz demjenigen Wohnungssuchenden gewähren will, der sich auf die unangemessen hohe Miete nur deshalb einlässt, weil er sonst auf dem unausgewogenen Wohnungsmarkt keine seinen berechtigten Erwartungen entsprechende Wohnung zu finden vermag.
c) Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Wortlaut des § 5 Abs. 2 WiStG („infolge der Ausnutzung“). Dabei kann offenbleiben, ob und inwieweit die subjektiven Merkmale des Ordnungswidrigkeitentatbestandes im Rahmen des § 134 BGB erfüllt sein müssen (vgl. Senatsurteil BGHZ 115, 123, 129 f.). Jedenfalls darf bei dem Tatbestandsmerkmal der „Ausnutzung“ nicht allein auf das Verhalten des Vermieters und die objektive Lage auf dem maßgeblichen Wohnungsmarkt abgestellt werden. Angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Motivlage des Mieters für den Vertragsschluss muss sich das Merkmal der „Ausnutzung“ auch auf seine Person beziehen; wer die geforderte Miete ohne weiteres oder aus besonderen persönlichen Gründen zu zahlen bereit ist, wer mithin eine objektiv bestehende Ausweichmöglichkeit nicht wahrnimmt, wird nicht „ausgenutzt“ (ebenso z.B. Lammel a.a.O. Rdnr. 31; a.A. Schmidt-Futterer/Blank a.a.O., Rdnr. 76). …“
Die Klägerin hat bereits in der Klageschrift nicht nur die Wohnungssuche sondern vor allem die Ausgangssituation geschildert. Danach wird ersichtlich, dass es der Klägerin und ihrem damaligen Verlobten und jetzigen Ehemann darauf ankam, eine in einer ruhigen Seitenstraße, nicht im EG gelegene mindestens vier Zimmer große Wohnung im Bereich Richardplatz (Ortsteil Rixdorf von Neukölln) anzumieten, weil sich das gesamte Leben (Arbeit, Freunde, Verwandte, Schule und Kita der Tochter, Kirchengemeinde) in diesem Teil Neuköllns abspielte und die Klägerin einen Wegzug – verbunden mit weiteren Wegen – nicht auf sich nehmen wollte. Bei dieser Ausgangslage kommt eine Ausnutzung der Mangellage nicht in Betracht. Der BGH, der einen Kausalzusammenhang zwischen der Mangellage und der Vereinbarung einer überhöhten Miete fordert, hat für das Fehlen dieses Kausalzusammenhanges ausdrücklich das Beispiel genannt, dass der Mieter unabhängig von der Lage auf dem Wohnungsmarkt bereit ist, eine verhältnismäßig hohe Miete zu bezahlen, etwa deshalb, weil er aus persönlichen Gründen – beispielsweise wegen einer von ihm bevorzugten Wohnlage – nur eine bestimmte und keine vergleichbare andere Wohnung beziehen will. So liegt der Fall im Ergebnis hier. Die Klägerin weist selbst nach, dass in Berliner Tageszeitungen in der Zeit vor Abschluss des Mietvertrages zwischen 319 und 262 Wohnungen der in Aussicht genommenen Größe angeboten wurden. Dieser Vergleich hat bereits die Schwäche, dass sicher nicht alle entsprechenden Wohnungen Berlins damit erfasst sind, zumal mit einer Ausnahme für einen Tag immer nur eine Tageszeitung ausgewertet ist, was sicherlich nicht repräsentativ ist. Die Klägerin beschränkte ihren Blick jedoch sogleich auf Neukölln, wo nur zwischen 13 und 20 Wohnungen angeboten wurden. Dieses Angebot reduzierte sich dann sicherlich noch einmal auf Rixdorf (Richardplatz). Damit stand für die Klägerin bei Abschluss des Mietvertrages allein im Vordergrund, die Wohnung wegen ihrer Lage zu bekommen. Die Klägerin trägt nicht einmal vor, dass sie auf den Abschluss des Mietvertrages über die streitbefangene Wohnung angewiesen war, weil es keine andere günstigere Wohnung gab. Dies konnte die Klägerin gar nicht wissen, weil sie von vornherein alle übrigen Bezirke bei ihrer Suche ausblendete.
Die Vereinbarung der Miete verstößt auch nicht gegen § 138 BGB. Dabei kann für die Entscheidung offen bleiben, ob ein derartiger Verstoß bereits bei 50 Prozent Überschreitung der ortsüblichen Vergleichsmiete oder erst bei deren Überschreitung um 100 Prozent einsetzt. Denn die Klägerin hat eine ortsübliche Vergleichsmiete von 611,10 DM bzw. ab September 1997 von 664,65 DM behauptet und dargelegt, wobei ausgehend von beiden Werten die ortsübliche Miete durch die vereinbarte Miete um mehr als 100 Prozent überschritten wäre. Erforderlich wäre jedoch, dass die Klägerin die Ausnutzung einer Zwangslage durch die Beklagten dargelegt hätte. Daran scheitert es im vorliegenden Fall aus den o.g. Gründen. Soweit die Klägerin in zweiter Instanz „vielschichtige Lebensumstände“ anführt, die sie zur getroffenen Wohnungswahl geführt hätten, folgt daraus nichts anderes. Denn diese vielschichtigen Lebensumständen stellen nichts anderes dar, was die Klägerin nicht schon in erster Instanz in der Klageschrift vorgetragen hätte. Allein ein in Betracht kommender Schulwechsel ihrer Tochter kann eine Zwangslage ebenfalls nicht begründen. Dabei kann offen bleiben, ob allein ein Schulwechsel eine Zwangslage begründen kann. Der Klägerin wäre es zumutbar gewesen, diesen Schulwechsel etwa dadurch zu vermeiden, dass sie oder ihr damaliger Verlobter und jetziger Ehemann die Tochter auf dem Weg zur Arbeit nach Neukölln in die Schule gebracht hätte. Selbst wenn man der Klägerin den Bedarf für eine Vier-Zimmer-Wohnung zuerkennt, hätte sie diesen Bedarf möglicherweise in einem anderen Bezirk Berlins decken können. Ihre Fixierung auf Neukölln (Ortsteil Rixdorf) zeigt jedoch, dass ihre Sonderwünsche im Vordergrund standen und ihre Zwangslage nicht kausal für den Abschluss dieses Mietvertrages war; dies war allein ihr Wunsch, Rixdorf nicht verlassen zu müssen. …
28.05.2018