Eine von den Parteien im Wohnraummietvertrag getroffene Barkautionsabrede ist typischerweise dahingehend auszulegen, dass die Möglichkeit des Vermieters, sich nach Beendigung des Mietverhältnisses im Rahmen der Kautionsabrechnung hinsichtlich etwaiger Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache gemäß §§ 535, 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 823 Abs. 1 BGB durch Aufrechnung befriedigen zu können, nicht an einer fehlenden Ausübung der ihm nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehenden Ersetzungsbefugnis in unverjährter Zeit scheitern soll.
BGH vom 10.7.2024 – VIII ZR 184/23 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 18 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die Mieterin begehrte nach Beendigung des Wohnungsmietvertrags und Rückgabe der Wohnung am 8. November 2019 die Rückzahlung der von ihr geleisteten Barkaution in Höhe von rund 780 Euro. Der beklagte Vermieter rechnete mit Schreiben vom 20. Mai 2020 über die Kaution ab und erklärte die Aufrechnung mit – streitigen – Schadensersatzansprüchen wegen Beschädigung der Mietsache in einer das Kautionsguthaben übersteigenden Höhe. Die Mieterin berief sich insoweit auf Verjährung.
Die Instanzengerichte gaben der Mieterin recht. Die Ansprüche des Vermieters seien seit dem 9. Mai 2020 verjährt (§ 548 Abs. 1 BGB: „Die Ersatzansprüche des Vermieters wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache verjähren in sechs Monaten. Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem er die Mietsache zurückerhält“).
Gemäß § 390 BGB könne eine Forderung, der die Verjährungs-Einrede entgegenstehe, nicht aufgerechnet werden. Hiervon mache § 215 BGB zwar eine Ausnahme für den Fall, dass eine zwischenzeitlich verjährte Forderung in dem Zeitpunkt, in dem erstmals habe aufgerechnet werden können, noch nicht verjährt gewesen sei. Diese Ausnahme greife allerdings vorliegend nicht ein, da eine Aufrechnungslage in unverjährter Zeit mangels Gleichartigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen nicht bestanden habe.
Der Anspruch auf Rückzahlung einer Barkaution als Geldforderung und der auf Naturalrestitution (d.h. Behebung des Schadens durch den Mieter) gerichtete Anspruch auf Schadensersatz wegen Beschädigung der Mietsache seien nicht gleichartig. Zwar könne der Vermieter nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Naturalrestitution den hierfür erforderlichen Geldbetrag verlangen und so die Gleichartigkeit der Forderungen herstellen (sog. Ersetzungsbefugnis). Diese Ersetzungsbefugnis habe der Vermieter aber erst am 20. Mai 2020 konkludent erklärt.
Dieser Ansicht wollte der BGH nicht folgen: Dass der Vermieter nicht innerhalb der Verjährungsfrist des § 548 Abs. 1 BGB seine Ersetzungsbefugnis ausgeübt habe, stehe einer Anwendung der Vorschrift des § 215 Alt. 1 BGB nicht entgegen.
Unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessenlage, welche einer im Wohnraummietverhältnis getroffenen Barkautionsabrede typischerweise zu Grunde liege, sei diese regelmäßig dahingehend auszulegen, dass die Möglichkeit des Vermieters, sich nach Beendigung des Mietverhältnisses im Rahmen der Kautionsabrechnung hinsichtlich etwaiger Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache durch Aufrechnung befriedigen zu können, nicht an einer fehlenden Ausübung der Ersetzungsbefugnis in unverjährter Zeit scheitern solle.
Im Hinblick auf den Sinn der Kautionsabrede, dem Vermieter eine Befriedigung durch Aufrechnung zu ermöglichen, widerspräche es den beiderseitigen Interessen der Parteien eines Wohnraummietvertrages, wenn die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 215 Alt. 1 BGB alleine daran scheitern würde, dass der Vermieter in unverjährter Zeit die ihm zustehende Ersetzungsbefugnis nicht ausgeübt habe. Hierdurch würde der Ersetzungsbefugnis eine Stellung eingeräumt, die ihr die Parteien jedenfalls im Wohnraummietverhältnis bei vereinbarter Barkautionsabrede regelmäßig nicht zukommen lassen wollen.
Die Ersetzungsbefugnis diene dem Interesse des Geschädigten (hier: des Vermieters). Sie solle den Geschädigten davon befreien, die Sache zur Schadensbeseitigung dem Schädiger anzuvertrauen, und dem Geschädigten die Möglichkeit eröffnen, die Schadensbeseitigung in eigener Regie durchzuführen. Ihre Ausübung sei demzufolge für den Geschädigten nicht an bestimmte formelle Hürden geknüpft; sie bedürfe insbesondere keiner Angabe von Gründen oder näherer Absprachen mit dem Schädiger.
Die Ausübung der Ersetzungsbefugnis erfolge in der Regel – zulässigerweise und konkludent – bei der Kautionsabrechnung zusammen mit der Aufrechnungserklärung. Mit dem Zugang der Aufrechnungserklärung bei dem Mieter sei der dem Vermieter zustehende Schadensersatzanspruch in Geld zu erfüllen und werde damit die für eine Aufrechnungslage nach § 387 BGB erforderliche Gleichartigkeit zu dem Kautionsrückzahlungsanspruch geschaffen.
Wäre für die Anwendbarkeit des § 215 Alt. 1 BGB die Abgabe der Ersetzungsbefugnis in unverjährter Zeit Voraussetzung, wäre der Vermieter gezwungen, gegebenenfalls bereits vor Ablauf der Kautionsabrechnungsfrist gesondert seine Ersetzungsbefugnis auszuüben. Dies ließe außer Betracht, dass die Interessenlage, deren Schutz § 215 Alt. 1 BGB dienen soll, gerade im Hinblick auf den Sinn der von den Parteien vereinbarten Barkaution auch ohne Ausübung der Ersetzungsbefugnis gegeben sei. Vor allem würde nicht berücksichtigt, dass der Mieter an einer isolierten Ausübung der Ersetzungsbefugnis innerhalb der Verjährungsfrist des § 548 Abs. 1 Satz 1 BGB regelmäßig kein Interesse habe, weil er bis zu der Abrechnung des Vermieters über das Kautionsguthaben ohnehin nicht wisse, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe sich dieser auf Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache berufe.
Da die Aufrechnung des Vermieters hiernach nicht an der Verjährung scheiterte, hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen dazu treffen kann, ob die von dem beklagten Vermieter behaupteten Schadensersatzansprüche bestehen.
26.09.2024