Eines der markantesten Wohngebäude der Stadt ist in die Jahre gekommen und muss dringend saniert werden: die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße. Die geplante Generalüberholung ist für alle Beteiligten eine besondere Herausforderung. Der Baukörper ist komplex und einzigartig, Erfahrungen mit ähnlichen Gebäuden gibt es nicht.

Foto: Christian Muhrbeck
Die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße, kurz „Schlange“, ist weltweit die einzige Linear-Überbauung einer Autobahn mit Wohnungen. Bei ihrer Einweihung 1980 überschlug sich die Öffentlichkeit mit Superlativen. Doch was einige als „avantgardistisch“ oder „Modell einer modernen Großstadt“ rühmten, war für andere ein hässliches Betongebirge, eine „städtebauliche Fehlplanung“, wie der renommierte Stadtplaner Hans Stimmann urteilte. Vom damaligen Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker stammt gar der Spruch: „Wenn der Teufel dieser Stadt etwas Böses antun will, lässt er noch einmal so etwas wie die Schlange bauen.“ Gleichwohl: Es war ein kühner Versuch, Wohnen und Verkehr zu verbinden. Bauland war in der geteilten Stadt knapp und der Bedarf an Wohnungen groß. Warum die zweifellos innovative und heute wieder hochaktuelle Nutzung von Verkehrsflächen für den Wohnungsbau keine Nachahmer fand, ist schnell erklärt: die enormen Kosten. Das Bauprojekt im Rahmen des Sozialen Wohnungsbaus verschlang 400 Millionen DM (kaufkraftbereinigt entspricht das heute rund 525,8 Millionen Euro). Doch Geld spielte im West-Berlin der 1970er und 80er Jahre keine Rolle. Die rekordverdächtige Kostenmiete von 27 DM wurde dank Förderung auf 5,80 DM heruntersubventioniert.
Noch immer Erstbezieher im Haus
„Die Bewohner lieben oder hassen die Schlange“, sagt Elke Benkenstein, seit vielen Jahren Leiterin des Kundencenters West der Degewo. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft ist Eigentümerin. Die meisten der rund 3000 Menschen, die hier wohnen, fühlen sich offenbar wohl. Viele sind 55 Jahre und älter. Einige gehören zu den Ersten, die 1980 die Wohnungen bezogen. Die großzügigen Terrassen und Loggien, die Vielfalt der Grundrisse, dazu die gute Infrastruktur – all das wissen viele zu schätzen.

der 3000 Bewohner:innen geschätzt
Foto: Christian Muhrbeck
Derzeit ist dieser Abschnitt der Autobahn A 100 gesperrt, doch auch sonst ist im Gebäude nichts zu hören vom Verkehr, der mitten durch das Haus braust. Ihrem Besuch führen die Mieter:innen mit dem wohl kürzesten Weg zur Autobahn gern vor, dass die Aufzüge in der ersten und dritten Etage nicht halten, weil sich hier die Autobahn befindet. Doch verschleppte Reparaturen führten in den letzten Jahren zunehmend zu Unmut. Bei Rohrbrüchen, Heizungsausfällen und anderen Mängeln werden die Mieter:innen seit über zehn Jahren mit der irgendwann anstehenden Sanierung vertröstet. Zwar wurden Aufzüge und Dächer in den letzten Jahren bereits instandgesetzt, doch nun müsse man auch innerhalb der Wohnungen erneuern. Neben neuen Fenstern und Bädern ist eine Strangsanierung und eine Asbestbeseitigung geplant. Außerdem soll das Riesengebäude – es zählt zu den größten zusammenhängenden Wohnkomplexen Europas – energetisch ertüchtigt werden. Die Sanierung soll auch die extrem hohen Bewirtschaftungskosten verringern. Viel Gemeinschaftsfläche sowie Heizungen, die über mehrere Wohnungen miteinander zusammenhängen – all das treibt die Kosten in die Höhe. Lange Zeit hat es sogar einen „Lampenkönig“ gegeben, der sich um die Wartung der 4000 Leuchtkörper im Haus gekümmert hat.

Foto: Christian Muhrbeck
In der Schlangenbader Straße 28 A-E/Wiesbadener Straße 59 A-E sind die Bagger bereits im Mai 2025 angerollt. Dieser Block mit 156 Wohnungen wurde zum Pilotprojekt erklärt. Die dabei gewonnenen Erfahrungen sollen anschließend evaluiert werden. Um die Bewohnerschaft einzubinden, wurde bereits im April 2022 ein Sanierungsbeirat gegründet. Von Anfang an stand fest: Alle Mieter:innen müssen für die gesamte Bauzeit, voraussichtlich bis Ende 2026, ihre Wohnungen verlassen. „Uns ist klar, dass wir tief in die Privatsphäre unserer Mieter eingreifen“, sagt Elke Benkenstein. Der Wunsch der allermeisten: eine Umsetzwohnung in der Nähe. „Das war sehr schwierig, aber wir haben es geschafft, indem wir die natürliche Fluktuation im Gebäude genutzt haben“, so Benkenstein. In enger Abstimmung mit dem Bezirksamt wurden freiwerdende Wohnungen zurückgehalten, so dass viele innerhalb des Komplexes zwischenumgesetzt werden konnten. Das Tochterunternehmen Sophia Berlin GmbH hat nach Angaben der Degewo umfangreiche Unterstützung geleistet, von Räum- und Packhilfen, über Begleitung zu Behördengängen bis hin zur Sozialberatung.

Foto: Christian Muhrbeck
Allein die Sanierung dieses Blocks soll 30 Millionen Euro kosten. Geplant ist eine Umlage von 81 Cent pro Quadratmeter auf die Kaltmiete, die sich aber durch die zu erwartende Energieeinsparung halbieren soll. 1329 der insgesamt 1752 Wohnungen (inklusive Randbebauung) sind noch in der Sozialbindung.
Der Denkmalschutz ist eine Herausforderung
Technisch und logistisch sei die Sanierung eine Herausforderung, sagt Hendrik Rieger, Abteilungsleiter Sanierung bei der Degewo. Dass die Wohnanlage seit 2017 unter Denkmalschutz steht, macht die Sache nicht einfacher. Zum Teil gibt es die damals verwendeten Materialien, etwa für die Fassade, gar nicht mehr. Die ausgeklügelte Haustechnik muss komplett erneuert werden. Mit den Denkmalschutzämtern habe man vereinbart, dass danach alles wieder wie vorher aussehen werde, erklärt Rieger.
Die Einrichtung der Baustelle sorgte am Anfang für einigen Ärger. Insbesondere mobilitätseingeschränkte Menschen hätten erhebliche Schwierigkeiten, in das Gebäude und in den Innenhof zu gelangen, kritisierte der Mieterbeirat. Probleme gab es auch mit der Abholung des Mülls durch die BSR. Elke Benkenstein räumt ein, dass es durch die beengten räumlichen Verhältnisse zu Einschränkungen für die Anwohnerschaft kommt. Ganz sei das bei einer Baustelle nicht zu vermeiden, aber man habe soweit wie möglich auf die Kritik mit Abhilfe reagiert.
Birgit Leiß
Wo die Autobahn durchs Haus fährt
Die Autobahnüberbauung wurde von 1975 bis 1981 nach Plänen der Architekten Georg Heinrichs, Wolf Bertelsmann, Gerhard Krebs und Klaus Krebs erbaut. Fördernehmer und Bauherr war ursprünglich der umstrittene Bauunternehmer Heinz Mosch. Als dieser 1974 pleite ging, sprang das Land Berlin in Form der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Degewo ein. Das Gebäude umschließt die A 100 (ehemals A 104) auf einer Länge von 600 Metern und verläuft analog der Fahrbahn leicht gebogen. Im ersten und dritten Stock wird es über die gesamte Länge von zwei separaten Autobahntunneln durchlaufen. Sie sind statisch und akustisch vom übrigen Bauwerk getrennt.

Foto: Christian Muhrbeck
Es gibt 150 verschiedene Grundrisse. In einigen Wohnungen kann man einmal rundum gehen, und die Bäder haben zwei Türen. Die Hälfte der Wohnungen verfügt über 15 Quadratmeter große Terrassen, die oberen haben Loggien. Eine Besonderheit sind auch die vielen Gemeinschaftsräume, darunter 118 Hobbyräume.
Seit der Einweihung 1980 hat sich einiges geändert. So sind die 600 Meter langen Flure heute nicht mehr durchgängig zu durchlaufen. Um den zunehmenden Vandalismus in den 1990er Jahren einzudämmen, wurden abschließbare Türen eingebaut. Die einzigartige Müllabsaugekonstruktion wurde 2015 trotz Protesten aus der Mieterschaft abgebaut.
bl
29.08.2025




