Ein Wohnung ohne Bad? Heute kaum noch vorstellbar. Dabei war es in Berlin selbst noch in den 1980er Jahren gar nicht so selten, dass man zwar eine schöne Altbauwohnung hatte – aber kein Badezimmer. Selbst heute gibt es das vereinzelt noch in unsanierten Altbauten. Um die notwendige Ganzkörperhygiene zu betreiben, behalf man sich früher anderweitig. Badewillige suchten sogenannte Volksbadeanstalten auf oder nahmen mit transportablen Zinkwannen vorlieb. Ein geradezu luxuriöses Nassvergnügen in den eigenen vier Wänden boten später die elektrisch beheizbaren und abpumpbaren Aufstellduschen.
Im Jahr 1925 ergab eine Zählung in Berlin, dass gerade mal 26,4 Prozent aller Wohnungen über Bäder verfügten. Wobei die Metropole hierbei noch verhältnismäßig gut abschnitt, denn in Düsseldorf betrug der Anteil zur selben Zeit nur 11,5 Prozent. 1936 besaß rund ein Drittel aller Berliner Wohnungen ein eigenes Bad. Für weitere 20 bis 25 Prozent ergaben sich alternative Badegelegenheiten im Haus, so zum Beispiel in der Küche, Waschküche oder im Keller. Um auch dem Rest der Bevölkerung eine umfängliche Körperpflege zu ermöglichen, waren deshalb im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Volksbäder vor allem in ärmeren Wohngegenden errichtet worden: preiswerte öffentliche Badeanstalten mit Dusch- und Wannenbädern.
Die Wende in der deutschen Geschichte der privaten Sauberkeit hatte die Berliner Hygiene-Ausstellung von 1883 eingeleitet. Dort stellte der Berliner Dermatologe Oskar Lassar erstmals die Brause als eigenständige und wegen ihres geringen Wasserverbrauchs billigste Badeform für die Bevölkerung vor. Lassar: „Zu einem Brausebad, wenn es geradezu verschwenderisch bemessen wird, genügen bei richtiger Beschaffenheit der Douschenöffnung ad maximum zehn Liter. Man kann jedoch schon mit 5 Litern ganz gut auskommen.“ Die Besucher konnten die Duschen für 10 Pfennig vor Ort ausprobieren, im Laufe der 80-tägigen Ausstellung nutzten 7300 Personen das Angebot. Die Wassertemperatur betrug allerdings nur 28 Grad Celsius.
Das Volksbad Oranienburger Vorstadt wurde als eines der ersten in der Gartenstraße in Berlin-Mitte zwischen 1880 und 1888 vom „Verein für Volksbäder“ errichtet. Im städtischen Baerwaldbad in Kreuzberg, 1898 bis 1901 nach den Entwürfen des Stadtbaurats Ludwig Hoffmann erbaut, waren 64 Wannen- und 68 Brausebäder untergebracht, die sofort rege genutzt wurden. Akribisch hielt der Architekt die Besucherzahlen der ersten neun Monate fest: „66 499 Wannen-, 108 975 Dusch- und 178 168 Schwimmbäder“.
Das Volk geht baden
Weitere Volksbadeanstalten waren unter anderen das Stadtbad Oderberger Straße in Prenzlauer Berg mit 63 Wannen und 60 Brausezellen, verteilt auf Erd- und erstes Obergeschoss, streng getrennt nach Männern und Frauen. Während der Schwimmbetrieb hier schon 1986 eingestellt wurde, blieben die Reinigungszellen bis 1994 in Betrieb.
Die allerletzten öffentlichen Dusch- und Wannenbad-Möglichkeiten Berlins wurden erst vor acht Jahren geschlossen. Das Stadtbad Charlottenburg, das zwischen 1896 und 1898 im Jugendstil in der Krummen Straße erbaut worden war, hielt bis 2007 noch drei Wannen- und sechs Duschzellen bereit. Deren Ausstattung war spartanisch, aber zweckdienlich wie eh und je: Ein Bänkchen für Kleidung, ein Haken für das Badetuch an der Wand, eine altmodische Wanne und eine Schnur mit Plastikgriff, mit der man Alarm auslösen konnte, falls einem die Hitze auf den Kreislauf schlug. Drei Euro kostete 2002 das 40-minütige Wannenvergnügen – inklusive einer Badewärterin, die zehn Minuten vor Ablauf der Zeit energisch an die Türe klopfte, anschließend aufwischte und die Wanne säuberte.
Kiefernadeln und Zinkwannen
Neben den Volksbadeanstalten hatten etliche Berliner später auch die Möglichkeit, im eigenen Haus zu baden. Die Gebäude waren Anfang des 20. Jahrhunderts so nachgerüstet worden, dass im Erdgeschoss mehrere Baderäume für die Mieter zur Verfügung standen. Für Meyers Hof von 1875, der berühmt-berüchtigten großen Mietskaserne in der Ackerstraße in Wedding, ist zum Beispiel für 1899 ein Bauantrag des Eigentümers zur Einrichtung einer „Lohtannin-Badeanstalt im Erdgeschoss des 1. Quergebäudes Nr. 132“ dokumentiert. Lohtannin war die medizinische Bezeichnung für Fichtennadeln. Meyers-Hof-Bewohnerin Hilla Mann erinnert sich an die dortigen speziellen Umstände: „Ich ging jede Woche in die Badeanstalt, wollte aber eine Kabine neben einer Frau haben, weil man oben rübersehen konnte; denn ich hatte einmal das Erlebnis, dass es in der Nebenkabine still wurde und ein Mann rüberguckte – ich habe mit dem Seifenlappen nach ihm geschmissen und geschrien.“
Hatte man keine allgemeine Nass-Etage im Haus, konnte man dank des industriellen Fortschritts bald auch alternativ eine transportable Badewanne in der eigenen Wohnung aufstellen. Ab 1926 ging die geschweißte und feuerverzinkte „Volksbadewanne“ der Firma Krauss aus Sachsen in Großserie. Das leicht zu verstauende Gefäß wurde an Badetagen meist in der Küche aufgestellt und von der ganzen Familie, in Reihenfolge der familiären Hierarchie, nacheinander benutzt.
Eine Steigerung des Komforts bedeutete für viele Bewohner die später eingerichteten Behelfsbadegelegenheiten im Kellerwaschraum. Für die Hausfrau bedeuteten die Gemeinschaftswaschräume eine große Erleichterung. Das Badewasser musste jetzt nicht mehr in allen verfügbaren Töpfen und Kesseln auf dem Küchenherd erhitzt werden, sondern es ließ sich mit einigen Holzscheiten im Waschzuber erwärmen. Die Wohnküche als zentraler Aufenthaltsort der Familie blieb von der samstäglichen Badeprozedur unbehelligt, und überlaufendes Wasser konnte keine Schäden mehr anrichten.
Von technischen Neuerungen profitierten später im 20. Jahrhundert jene Mieter, die den Badespaß auf eigene Faust in ihren unmodernisierten Altbauwohnungen organisierten. Aufstellduschen, auch Komplettduschen genannt, wurden in der Küche oder in der umfunktionierten Küchenkammer installiert. Eine permanente Wasserzufuhr wurde dafür von der Spüle abgezweigt, den Abpumpschlauch hängte man bei Bedarf ins Becken. Das Duschen war allerdings nur mit zeitlichem Vorlauf möglich: Die 20 Liter Wasser im Boiler mussten erst mit Strom auf Höchsttemperatur gebracht werden. Langes gemütliches Duschen oder „Warmregnenlassen“ in einer kohlebeheizten Wohnung waren aufgrund der begrenzten Heißwassermenge ausgeschlossen – wie zu Beginn des Jahrhunderts stand die Körperreinigung im Vordergrund.
Wer jedoch keine neue Aufstelldusche bezahlen oder eine der begehrten gebrauchten Duschen ergattern konnte, dem blieb nur das öffentlichen Schwimmbad.
Jens Sethmann
Rückständiges Deutschland
„Die Versorgung der Häuser mit warmen Wasser ist in Berlin noch nicht allgemein eingeführt; das Bedürfnis nach warmem Wasser zum Waschen von Händen und Gesicht ist in Deutschland überhaupt bei weitem nicht in dem Maße vorhanden, wie in Amerika oder England. Die Anlage von Bädern, selbst in Wohnungen für den Mittelstand, ist erst in den neueren Häusern allmählich zur Regel geworden; die kleinen Wohnungen erfreuen sich jedoch dieser in England und Amerika ganz selbstverständlichen Einrichtung nicht“, schrieb 1896 der Königliche Baurat Alexander Herzberg. Als Berliner Ingenieur und Mitinhaber der Firma „Börner und Herzberg für Wasserversorgungs-, Kanalisations-, Gas- und elektrische Beleuchtungsanlagen“ war er vom Fach.
js
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04.02.2016