Einst hing das gute Stück in fast jedem Berliner Mietshaus: Der „stille Portier“ gab darüber Auskunft, wer in welcher Wohnung zu finden ist. Mit dem Einzug von Klingelanlagen verschwand das Bewohnerverzeichnis aus den Hausfluren. In manchen Häusern findet man noch verstaubte Glaskästen mit kaum mehr lesbaren Beschriftungen. Nur noch ganz selten werden stille Portiers auch heute noch auf dem aktuellen Stand gehalten.
Leibhaftige Portiers oder Conciergen, wie man sie aus großbürgerlichen Häusern in Paris oder Wien kennt, gab es im Berlin des 19. Jahrhunderts nur äußerst selten. Zu deren Aufgaben gehörte es, Besuchern zu erklären, in welcher Wohnung man denjenigen findet, den man besuchen möchte. Diese Arbeit konnte man auch einen Aushang oder Wegweiser erledigen lassen – der stille Portier war erfunden.
In Berliner Mietshäusern war ein stiller Portier unerlässlich. Mit Vorderhaus und manchmal mehreren Hinterhäusern waren die Mietskasernen für Ortsunkundige völlig unübersichtlich. Damit man auf der Suche nicht alle Aufgänge abklappern musste, gab es im Hausflur des Vorderhauses oder in der Durchfahrt zum ersten Hof den stillen Portier. In einem Holzkasten waren hinter einer Glasscheibe alle Mieter aufgeführt, systematisch unterteilt in Vorderhaus, Seitenflügel und Quergebäude, etagenweise geordnet. Daneben waren meist auch Name und Anschrift des Hauseigentümers angegeben. Oft gab der stille Portier auch Auskunft darüber, wo sich der zuständige Polizeiabschnitt und der nächste Feuermelder befanden. Manchmal war auch die Adresse des Standesamtes oder der Standort des nächsten öffentlichen Fernsprechers verzeichnet.
Geführt und auf dem aktuellen Stand gehalten wurde der stille Portier meist vom Hauswart. Die Namen auf den Schildern wurden handschriftlich mit Tinte gezogen. Die Kästen selbst waren in der Regel handwerksmäßige Einzelanfertigungen vom Tischler. Die Anzahl und Anordnung der Felder war auf jedes Haus individuell zugeschnitten. Je nach dem, wie sehr der Eigentümer für sein Haus Geltung ausdrücken wollte, war der stille Portier aufwendig verziert oder auch schlicht funktional.
Am meisten geschätzt wurde der Auskunftskasten sicherlich von den Postboten. Briefkästen im Erdgeschoss waren wenig verbreitet, üblich waren Briefschlitze in den Wohnungstüren. Wenn der Briefträger, der früher seine Touren mehrmals am Tag machte, gleich am Eingang sah, wohin der Brief musste, konnte er sich viel unnützes Treppensteigen ersparen.
Hinweisgeber für pfiffige Wohnungssuchende
Hilfreich war das Verzeichnis auch für findige Wohnungssuchende. So war es zum Beispiel in den 80er Jahren ziemlich aussichtslos, sich mit Hunderten anderen frühmorgens in eine Schlange zu stellen, nur um als erstes die Zeitung mit den Wohnungsanzeigen zu bekommen und dann möglichst früh den Makler anrufen zu können. Etwas mühsamer, aber erfolgversprechender war es, durch die Straßen zu laufen und Wohnungen zu suchen, die offensichtlich leerstanden, aber nicht in den Zeitungen annonciert wurden. Wenn im betreffenden Haus auf dem stillen Portier der Eigentümer oder die Hausverwaltung angegeben war, konnte man dort gleich direkt anfragen, ob die Wohnung vermietet wird, ohne dass Dutzende andere Interessenten konkurrierten.
Als die Altbauten nach und nach mit Klingelanlagen ausgerüstet wurden, bedeutete dies das langsame Ende des stillen Portiers. Vereinzelt gab es schon Ende des 19. Jahrhunderts in großbürgerlichen Häusern Klingeln, bei denen über einen Drahtzug oder eine Kette, per Luftdruck oder – ganz modern – elektrisch eine Glocke betätigt wurde. „Häufig ist, besonders bei Corridorthüren, mit dem Schilde des Ziehknopfes noch eine Inschrifttafel verbunden, welche den Namen des Wohnungsinhabers enthält. Manchmal sind an solchen Gebäuden, welche eines Pförtners ermangeln, größere Metallplatten mit mehreren Zugknöpfen für jedes einzelne Stockwerk angebracht“, heißt es im „Handbuch der Architektur“ von 1896. Das Klingeltableau übernahm die Aufgabe des stillen Portiers. In den einfachen Berliner Mietshäusern standen die Haustüren aber noch viele Jahrzehnte lang tagsüber offen. Klingel- und Türschließanlagen hielten hier erst ab den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts Einzug. Besucher können nun schon vor der Haustür am Klingelschild ablesen, wer im Haus wohnt, und nicht erst im Hausflur.
Die stillen Portiers wurden zwar oft trotzdem weitergeführt, doch meist schlief die Tradition irgendwann ein. Wo die alten Holzkästen noch hängen, lassen manchmal altertümliche Handschriften, Adressangaben wie „Dimitroffstraße“ oder „1 Berlin 65“ und sechsstellige Telefonnummern erkennen, dass hier seit mindestens 20 Jahren nichts mehr aktualisiert worden ist. In den meisten Häusern gibt es auch keinen Hauswart mehr, der sich darum kümmern könnte.
Mancher Portier hängt jetzt über der Wohnzimmercouch
In unsanierten Hausfluren kann man an der Wand manchmal noch an staubigen Umrissen erkennen, wo der Holzkasten einmal gehangen hat. Viele ausrangierte stille Portiers, die nicht einfach auf dem Müll landeten, haben in vergangenen Jahrzehnten auf manchmal nicht ganz legalen Wegen Liebhaber gefunden und hängen heute als nostalgischer Wandschmuck oder Setzkasten an Wohnzimmerwänden.
Heute sind stille Portiers selbst bei Händlern von historischen Bauteilen und Trödlern kaum noch zu bekommen. „Einen stillen Portier kriege ich sehr selten rein“, sagt Wolfram Liebchen, Inhaber von „Antike Bauelemente“ in der Lehrter Straße 25. Seine Ware – vom Türknauf bis zum Kachelofen – birgt er vor allem aus Häusern, die saniert oder abgerissen werden sollen. Besonders in Mietshäusern, die in Eigentumswohnungen umgewandelt werden, fliegen die alten Ausstattungen unbarmherzig raus, wie Liebchen beobachtet hat. Die beiden stillen Portiers, die er in seinem Fundus hat, verkauft er nicht. „Das sind stumme Zeitzeugen“, so Wolfram Liebchen. Einen besonders schönen Jugendstil-Portier verleiht er als Requisite für Filmproduktionen und ähnliches, einen anderen benutzt er als Aushängeschild für seine Firma.
Ein ganz untypisches Exemplar steht unter Denkmalschutz: Beim Bau des 1958 fertiggestellten Corbusierhauses – seinerzeit ein ultramodernes Gegenbild zum Alt-Berliner Wohnhaus – installierte man ganz traditionell auch einen stillen Portier. In dem Riesengebäude ist auch die Tafel etwas größer: 530 Namen sind hier auch heute noch verzeichnet, obwohl der Aushang dort eigentlich nicht mehr benötigt wird.
In einigen Berliner Häusern sind die stillen Portiers aber auch heute noch mehr als eine verblasste Tradition. Wo eine Türschließ- und Klingelanlage mit Gegensprechfunktion fehlt, hätten es Besucher und besonders Paketboten schwer. Der stille Portier ist zwar eine vom Aussterben bedrohte Spezies, aber noch längst nicht ganz verschwunden.
Jens Sethmann
Stiller Portier zum stillen Gedenken
Die Bewohner der Schwäbischen Straße 3 in Schöneberg haben einen stillen Portier zur Gedenktafel umfunktioniert. Im Hausflur stehen seit 1996 hinter Glas die Namen von 13 jüdischen Bewohnern des Hauses, die während des Nazi-Regimes nach Auschwitz, Theresienstadt, Riga und Sachsenhausen deportiert worden sind. Das Haus war eines der sogenannten Judenhäuser, in denen die Menschen zusammengepfercht wurden, bevor man sie in den Tod schickte. Allein aus dem Bayerischen Viertel wurden über 6000 Bewohner in die Vernichtungslager deportiert. Den Gedenk-Portier in der Schwäbischen Straße haben die Hausbewohner aus eigener Initiative und auf eigene Kosten aufgehängt.
js
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MieterMagazin 5/12
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‚Stiller Portier‘ als Gedenktafel in der Schwäbischen Straße 3 in Schöneberg
Fotos: Christian Muhrbeck
02.05.2018