Der Milieuschutz ist ein zentrales Instrument im Kampf gegen Verdrängung. Doch in Berlin stellt sich inzwischen die Frage, wie wirksam das Instrument noch sein kann. Zögerliches Handeln des Senats, rechtliche Unsicherheiten und die geplante BauGB-Novelle des Bundes schwächen den Schutz der Gebiete mit sozialer Erhaltungssatzung – und damit den sozialen Zusammenhalt in der Stadt.
Warschauer Straße 25 / Kopernikusstraße 6 : Verpasste Chance beim Vorkaufsrecht
Das Vorkaufsrecht war lange Jahre eines der wenigen wirksamen Instrumente, mit denen die Bezirke und Gemeinden Mieter:innen in Milieuschutzgebieten vor Verdrängung schützen konnten. Doch seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom November 2021 gilt das Vorkaufsrecht stark eingeschränkt: Während das Instrument zuvor angewendet werden konnte, wenn durch den Verkauf eine Verdrängung der Mieter:innen zu befürchten war – etwa aufgrund von Umwandlungen in Eigentumswohnungen, Modernisierungen und Mieterhöhungen –, greift es nun nur noch bei sanierungsbedürftigen Gebäuden, den sogenannten ‚Schrottimmobilien‘. Das bedeutet einen herben Rückschlag für die Mieter:innen in den 81 Berliner Milieuschutzgebieten.
Ein aktueller Fall macht die Folgen deutlich: Das marode Haus an der Warschauer Straße/Ecke Kopernikusstraße in Friedrichshain, kürzlich an einen Luxemburger Fonds verkauft, fällt zweifellos in diese Kategorie: Viele Wohnungen stehen leer, die Bausubstanz ist sichtlich vernachlässigt – klassische Merkmale, bei denen das Vorkaufsrecht laut geltender Rechtsprechung noch hätte greifen können.
Dennoch ließ der Berliner Senat die Frist zur Ausübung am 12. Juni 2025 verstreichen – eine verpasste Gelegenheit, Mieter:innen konkret zu schützen und ein deutliches Signal gegen Verdrängung zu setzen.
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hatte für das sanierungsbedürftige Haus ein Konzept vorgelegt: Die Immobilie sollte mit Unterstützung der landeseigenen Berlinovo in sozialen Wohnraum umgewandelt und im Sinne des Housing-First-Prinzips zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit genutzt werden, auch das Azubiwerk hätte für das Auszubildenden-Wohnen beteiligt werden sollen. Der Bezirk wollte das Wohngebäude zugunsten der Berlinovo kaufen und an eine Genossenschaft mit Mieter:innenbeteiligung weiterverkaufen.
Doch Finanzsenator Stefan Evers (CDU) kassierte das Vorhaben – und verwies auf die Unvereinbarkeit mit dem Gesellschaftszweck der Berlinovo. Laut Satzung dürfe die Berlinovo nur Immobilien erwerben, deren Bewirtschaftung sich wirtschaftlich darstellen lasse. Zudem verweigerte die Senatsfinanzverwaltung offenbar einen Landeszuschuss für den Vorkauf.
Wie wirksam ist ein Vorkaufsrecht, das nur bei sanierungsbedürftigen Gebäuden greift, aber an den Kosten für deren Instandsetzung scheitert? Diese Frage stellt sich umso dringlicher, da nicht nur beim Ankauf, sondern auch bei der Modernisierung bestehender Gebäude der Milieuschutz zunehmend ausgehöhlt wird. Die Bezirke stehen ohne die Unterstützung des Senats sowie der lLandeseigenen Wohnungsunternehmen, Genossenschaften oder anderern gemeinwohlorientiertern Unternehmen dem Stadt-Monopoly machtlos gegenüber.
Urteil mit Nebenwirkungen: Modernisierung vor Milieuschutz?
Ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts stellt die Genehmigungspraxis im Milieuschutz erneut infrage. Es verpflichtete den Bezirk Mitte, den Anbau von Balkonen und Einbau eines wandhängenden WCs zu genehmigen – mit der Begründung, der Milieuschutz dürfe einer „behutsamen Anhebung“ des Wohnstandards auf das bundesweite Niveau nicht entgegenstehen. Was zunächst vernünftig klingt, untergräbt jedoch in der Praxis die neuen Ausführungsvorschriften, die Senat und Bezirke in der Arbeitsgruppe Milieuschutz miteinander verhandelt hatten. Die Ausführungsvorschriften sollen die bislang sehr unterschiedliche Genehmigungspraxis von baulichen Maßnahmen in den Bezirken vereinheitlichen. Ob das Urteil des Verwaltungsgerichts tatsächlich weitreichende Folgen für den Milieuschutz hat, bleibt abzuwarten und hängt auch davon ab, ob die erst nach dem Urteil ergangenen Ausführungsvorschriften vom Verwaltungsgericht anerkannt und angewendet werden. Andernfalls zahlen im schlimmsten Fall Mietende doppelt – erst durch die Umlage von acht Prozent der Modernisierungskosten (gekappt bei max. 3 EUR/qm) sowie durch die anschließend mögliche höhere Einstufung im Mietspiegel aufg Grund zusätzlicher wohnwerterhöhender Merkmale. Beides treibt die Mieten in die Höhe.
Milieuschutz und Klimaschutz: Kein Widerspruch
In der Diskussion um energetische Modernisierung argumentieren viele Eigentümer:innen, der Milieuschutz blockiere Investitionen. Auch der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsbauunternehmen (BBU) kritisiert die aktuellen Ausführungsvorschriften als zu restriktiv und investitionshemmend.
Dabei ist der Milieuschutz keineswegs ein pauschales Investitionsverbot: Maßnahmen, die zu spürbaren Energieeinsparungen für Mieter:innen führen und sich der Warmmietenneutralität annähern, werden genehmigt – selbst wenn sie über die gesetzlichen Mindeststandards nach Gebäudeenergiegesetz und Energieeinsparverordnung hinausgehen.
Klimaschutz und Milieuschutz schließen sich nicht aus – im Gegenteil: Sie können und müssen gemeinsam gedacht werden – ebenso wie wirksamer Klimaschutz und starke Mieter:innenrechte.
Neukölln: Erfolgreich gegen Kurzzeitvermietung
Dass Bezirke den Milieuschutz aktiv gestalten können, zeigt das Beispiel Neukölln. Dort erwirkte der Bezirk eine Abwendungsvereinbarung für ein Wohnhaus in der Richardstraße/Ecke Braunschweiger Straße – gestützt auf nicht genehmigte Umbauten und Grundrissänderungen im Gebäude. Die Vereinbarung schließt nicht nur Umwandlungen in Eigentumswohnungen aus, sondern auch möblierte Kurzzeitvermietungen – ein wichtiger Schritt gegen preistreibende und das Mietrecht aushöhlende Wohnmodelle.
Auch andere Bezirke haben ähnliche Verfahren angestoßen. Berlinweit stehen mittlerweile alle Bezirksverwaltungen im gezielten Austausch, um das lukrative Geschäft mit möblierten und unmöblierten Kurzzeitvermietungen einzudämmen. Dieses Modell nutzt eine rechtliche Grauzone und beruft sich auf Paragraf 549 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wonach bei der Vermietung zum vorübergehenden Gebrauch die Mietpreisbremse keine Anwendung findet. Oft wird der vorübergehende Gebrauch nur vorgetäuscht, um auf diese Weise die Mietpreisbremse zu umgehen und ein zentrales Mieterschutzinstrument auszuhebeln.
Vielen Wohnungssuchenden bleibt oft nichts anderes übrig, als solche extrem überteuerten Kurzzeitmietverträge abzuschließen. Auf einschlägigen Immobilienportalen übersteigen Kurzzeitmietangebote inzwischen vielerorts die Zahl regulärer Mietangebote.
BauGB-Novelle: Umwandlungsverbot und Vorkaufsrecht
Auf Bundesebene sieht es nicht viel besser aus: Die geplante Novelle des Baugesetzbuchs (BauGB) enthält zwar eine Verlängerung des Umwandlungsschutzes nach Paragraf 250 BauGB um weitere fünf Jahre – gut für Großstädte wie Berlin, denn dieser Umwandlungsschutz gilt flächendeckend. Doch die dringend nötige Wiederbelebung des ursprünglichen kommunalen Vorkaufsrechts scheint auszubleiben. Zwar kündigt der Koalitionsvertrag von Union und SPD an, das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten zu stärken, doch dies scheint sich weiterhin auf „Schrottimmobilien“ zu reduzieren.
Noch gravierender: Der neue „Bau-Turbo“ (§ 246e BauGB) erlaubt unter bestimmten Bedingungen weitreichende Abweichungen von geltendem Recht – selbst in Milieuschutzgebieten. Genehmigungspflichtige Maßnahmen wie Dachausbauten könnten so ohne Rücksicht auf soziale Folgen genehmigt werden.
Unsere Forderung: Mieter:innenschutz braucht politischen Willen
Angesichts der zunehmenden Bedrohungen für den Milieuschutz fordern der Deutsche Mieterbund und der Berliner Mieterverein eine klare wohnungspolitische Kehrtwende: Statt einer weiteren Aufweichung durch den „Bau-Turbo“ braucht es eine konsequente Ausrichtung auf bezahlbaren, mietpreisgebundenen Wohnraum – sowie die Reaktivierung des kommunalen Vorkaufsrechts.
Nur so lässt sich spekulativen Interessen auf dem Mietwohnungsmarkt wirksam entgegentreten und eine sozial gerechte Stadtentwicklung sichern.
In seiner jetzigen Form – und ohne politischen Willen zur Durchsetzung – bleibt das Vorkaufsrecht als ehemals starkes Instrument des Mieter:innenschutzes ein stumpfes Schwert. Der aktuelle Fall in Friedrichshain zeigt das auf dramatische Weise.
ml, fs
18.06.2025




