Bremst Mietpreisregulierung den Wohnungsbau? Dieses Argument wird oft angeführt. Der Blick in die Vergangenheit zeigt hingegen ein anderes Bild: Gerade unter starker Regulierung wurde besonders viel gebaut, was vor allem an den massiven Förderungen des Staates lag. Günstige Kredite, Steuererleichterungen, Bauprämien – so entstanden Millionen Wohnungen. Doch warum wird heute so getan, als seien hohe Neubauzahlen in einem regulierten Mietwohnungsmarkt nicht möglich? Und wem nützt der Mythos vom „hemmenden Mieterschutz“ wirklich?
Immer wieder hören wir: Mieter:innenschutz und Regulierung würgen den Wohnungsneubau ab. Immobilienverbände und wirtschaftsliberale Parteien wiederholen diese Behauptung gebetsmühlenartig – gern flankiert von Wirtschaftsinstituten, die teils fragwürdige Berechnungsmodelle über die tatsächlichen historischen Vorgänge stellen. Hier lohnt ein genauerer Blick: Das Argument gegen Mietpreisregulierung ist nicht nur falsch – es lenkt auch davon ab, wer wirklich profitiert, wenn Mieten steigen und Neubau teuer bleibt.
Neubau und Regulierung – ein Widerspruch?
Regulierung und Wohnungsbau waren historisch nie Gegensätze. Im Gegenteil. In den 1950er bis 1970er Jahren, der Phase des stärksten Neubaus, herrschte eine enge Mietpreisbindung, teilweise war die Wohnungszwangswirtschaft* noch in Kraft, dennoch wurde viel gebaut. Warum? Der Staat förderte massiv: günstige Kredite, Bauprämien, Steuererleichterungen. Kommunale und gemeinnützige Bauträger stemmten einen Großteil des Neubaus – mit langfristigen Zielen, nicht kurzfristigem Profit.
Wohnungszwangsbewirtschaftung in der Nachkriegszeit
Ausgangslage waren Zerstörung und Kriegsschäden, auf die eine hohe Wohnungslosigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg folgte. Rund 12 Millionen Geflüchtete kamen überwiegend aus den ehemaligen Ostgebieten und anderen Teilen Osteuropas**. In den drei Westzonen gab es 13,7 Millionen Haushalte, aber nur 8,2 Millionen Wohnungen. Um zu verhindern, dass Vermieter:innen die Not der Menschen ausnutzten, führte man die Wohnungszwangsbewirtschaftung ein. Der Staat legte Mietniveaus fest, verbot faktisch Kündigungen von Bestandsmieter:innen und teilte Wohnraum an Wohnungssuchende zu. So wurden die Mieten des nach diesem Modell bewirtschafteten Wohnraums mit der Zeit günstiger als im späteren Sozialen Wohnungsbau.
Erstes Wohnungsbaugesetz: bis zu 50 Prozent des Bundeshaushalts für Wohnungsbau
Die klaffende Versorgungslücke von 5,5 Millionen Wohnungen sollten ab 1950 massive Staatsinvestitionen schließen. Das Erste Wohnungsbaugesetz förderte den Bau von 3,3 Millionen Wohnungen, während zusätzlich 2,7 Millionen frei finanziert gebaut wurden. Jährlich entstanden so 500.000 bis 600.000 Wohnungen. Man wollte erschwingliche Wohnungen „für breite Schichten des Volkes“ errichten – eine echte Wahrnehmung des Auftrags der öffentlichen Daseinsvorsorge und der staatlichen Wohnraumvorsorge. Heute kaum vorstellbar: Teilweise betrugen die Mittel für den Wohnungsbau bis zu 50 Prozent des Bundeshaushalts.
In Deutschland folgt Neubau auf Preisregulierung
Auch in anderen Ländern galten nach 1945 strenge Mietpreisregulierungen, die größtenteils erst in den 1970er Jahren gelockert wurden. Mögliche Auswirkungen solcher Maßnahmen auf die Neubauaktivitäten untersuchten die Ökonomen Konstantin Kholodilin und Sebastian Kohl 2018 für das ifo-Institut. Dazu betrachteten die Autoren 15 Industrieländer seit dem Ende des Ersten Weltkriegs und 33 Länder über kürzere Zeiträume. In ihrer Studie beschreiben sie, wie die vielerorts komplette Einfrierung der Mietpreise nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den 1970er Jahren gelockert wurde, eine Form des Kündigungsschutzes jedoch meist bestehen blieb. Für den deutschsprachigen Raum zeigt der historische Verlauf, dass direkt nach der Phase der stärksten Mietpreisregulierung die meisten Wohnungen fertiggestellt wurden. Erst mit der rapiden Schwächung von Mietpreiskontrollen ab Mitte der 1960er Jahre folgte ein starker Rückgang der Neubauaktivität. Anders in angelsächsischen Ländern: Dort nahm der Neubau erst nach dieser Schwächung zu. Der mittels statistischer Verfahren geschätzte Einfluss von Preiskontrollen auf Neubau variiert: In Frankreich und Skandinavien ist er negativ, in Deutschland positiv. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es keinen universellen Zusammenhang zwischen Neubau und Mieter:innenschutz gibt.
Förderung flankiert Regulierung
Dass die Neubauten in Deutschland nach der Schwächung von Preiskontrollen und Mieter:innenschutz abnahmen, kann vor allem auf einen Faktor zurückgeführt werden: die staatliche Wohnungsbauförderung. Sie wurde ab den 1960er Jahren kontinuierlich zurückgefahren. An der Entwicklung änderte auch das 1965 eingeführte Wohngeld nichts. Denn die Subjektförderung einkommensschwächerer Haushalte subventioniert indirekt hohe Mieten, wodurch die eigentlichen Bedarfe verdeckt und die Nachfrage künstlich hochgehalten wird. So wird das Wohngeld von konservativen und liberalen Akteuren häufig als effizientere Form der Wohnraumförderung dargestellt. Dabei bleiben die langfristigen, gesellschaftlichen Folgekosten der Wohnraumkrise unberücksichtigt. Erste Zwischenergebnisse im Forschungsprojekt der Fokusgruppe Wohngeld zeigen, dass zwischen 56 und 87 Prozent der Anspruchsberechtigten das Wohngeld nicht beantragen. Gründe hierfür sind unter anderem soziale Hemmschwellen, der Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit oder die Angst vor Stigmatisierung im Zusammenhang mit staatlicher Unterstützung.
Die vermeintliche Effizienz dieser Förderlogik ist daher kritisch zu hinterfragen: Sie basiert auf der Annahme, dass Menschen auf Leistungen verzichten, um ihre Selbstachtung zu wahren – ein Mechanismus, den neoliberale Politik implizit einkalkuliert und somit strukturell auf individuelle Selbstbeschränkung setzt, anstatt kollektive Verantwortung zu übernehmen.
Hinzu kommt: Subjektförderung lindert Symptome, schafft aber keine neuen Wohnungen. Objektförderung hingegen – also die Förderung von Wohnraum selbst – trägt direkt zum Ausbau des Wohnungsbestands bei und wirkt damit langfristig strukturellen Versorgungsengpässen entgegen. Objektförderung ist demnach die nachhaltigere Option.
Mangelnde Planungssicherheit hindert langfristige Investitionen
Selbst Investoren und Vertreter:innen der Immobilienwirtschaft bestätigen, dass Stabilität wichtiger ist als Deregulierung, also beispielsweise die Abschaffung der Mietpreisbremse oder der Kappungsgrenzen bei Mieterhöhungen nach Mietspiegel. Der CEO des Immobilienfonds Patrizia sagt es bei der MIPIM in Cannes offen: Schwedens Wohnungsmarkt sei stark reguliert – aber die Regeln seien verlässlich. Genau das ist das Problem in Deutschland: Statt Planungssicherheit herrscht Chaos. Mietpreisbremsen werden befristet eingeführt und erst kurz vor Auslaufen für einen kurzen Zeitraum verlängert. Das Heizungsgesetz wird beschlossen und soll nun unter einer schwarz-roten Bundesregierung wieder abgeschafft werden. Die staatlichen Förderungen für sozialen Wohnungsbau unterliegen den Legislaturperioden und sind teils ungewiss. So lässt sich weder Wohnraum schaffen noch klimafreundlich umbauen. Auch die Wohnungswirtschaft fordert Planungssicherheit. Der Verband BBU Berlin-Brandenburg warnt vor Rückabwicklung beim Heizungsgesetz: Investitionen in Wohnungsbau und energetische Sanierung brauchen Stabilität – keine ständigen politischen Kehrtwenden.
Politische Prioritäten auf das Leben der Menschen in Deutschland
1950 bis 1956 lag der Anteil der Förderungen für sozialen Wohnungsbau bei zwei Prozent des bundesrepublikanischen Haushalts. Das wären heute satte 86 Milliarden Euro. Stattdessen erreichte jüngst ein anderer Posten diesen Anteil im Bundeshaushalt: Aufrüstung. Es ist also durchaus möglich, die nötigen Summen für politische Schwerpunkte zu mobilisieren – wenn der Wille da ist. Wer davon ablenken will, greift zu den liberalen Mythen über vermeintlich bremsende Mietpreisregulierungen. Zumindest haben sich CDU/CSU und SPD nun auf vier statt zwei Jahre Verlängerung der Mietpreisbremse geeinigt. Und auch die Vorschriften zum Umwandlungsschutz von Miet- in Eigentumswohnungen sollen um fünf Jahre verlängert werden. Zudem bekennt sich Schwarz-Rot zum Ausbau des sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau. Bleibt abzuwarten, ob die kommende Regierung diese Ziele in den nächsten Jahren energischer verfolgen wird als die scheidende.
ml, fs
*Die Wohnungszwangswirtschaft in den 1950er bis 1970er Jahren bezeichnete ein staatlich reguliertes System zur Verteilung und Nutzung von Wohnraum, bei dem Mieten, Belegung und Vermietung stark kontrolliert wurden, um Wohnraummangel und soziale Not nach dem Zweiten Weltkrieg zu begegnen.
**Davon ließen sich rund 8 Millionen in Westdeutschland und etwa 4 Millionen in der DDR nieder. Diese sogenannte „größte Zwangsmigration des 20. Jahrhunderts“ hatte tiefgreifende gesellschaftliche, wirtschaftliche und stadtentwicklungspolitische Folgen für das Nachkriegsdeutschland.
16.04.2025