
Berlin wächst – und altert. In einer Stadt mit wachsender Wohnungsnot ist das ein klarer Auftrag: Wohnraum muss nicht nur neu gedacht, sondern auch gerecht gestaltet werden.
Mit einem Durchschnittsalter von 42,5 Jahren liegt die Hauptstadt im demografischen Mittelfeld der Großstädte. Doch die Altersstruktur verändert sich: Schon heute stellen Berliner:innen über 50 Jahre eine ähnlich große Bevölkerungsgruppe wie die 40- bis 59-Jährigen. Ende 2023 zählte Berlin 937.319 Menschen über 60 Jahre, darunter mehr als 222.000 Hochbetagte ab 85 Jahren. Ihre Zahl wird weiter steigen. Was bedeutet das für eine Stadt, in der Wohnraum knapp und teuer ist? Wie können ältere Menschen auch im Alter selbstbestimmt, sicher und bezahlbar wohnen?
Seniorengerechtes Wohnen – den Bedürfnissen entsprechend und bezahlbar
Seniorengerechtes Wohnen umfasst weit mehr als nur einen Aufzug oder ein barrierefreies Bad. Es bezeichnet Wohnverhältnisse, die an die individuellen Bedürfnisse älterer Menschen angepasst sind – mit stufenlosen Zugängen, ausreichend Bewegungsfläche und barrierearmer Gestaltung. Ebenso wichtig ist das Wohnumfeld: Einkaufsmöglichkeiten, ärztliche Versorgung, Nachbarschaftseinrichtungen und öffentlicher Nahverkehr sollten gut erreichbar sein. Technische Hilfen wie Notrufsysteme oder automatische Beleuchtung können zusätzlich für Sicherheit und Selbstständigkeit sorgen. In Berlin kommt ein entscheidender Punkt hinzu: Seniorengerechtes Wohnen muss bezahlbar sein. Viele ältere Menschen haben nur eine niedrige Rente und kaum Ersparnisse.
Armutsgefährdet im Alter – ein Blick auf die Zahlen
Eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus zeigt: Alleinlebende Senior:innen in Berlin geben rund 34 Prozent ihrer Rente für die Bruttokaltmiete aus – deutlich mehr als der stadtweite Durchschnitt von um die 27 Prozent und ein Hinweis auf die prekäre Wohnsituation im Alter.
2022 lag die Armutsgefährdungsquote für Menschen ab 65 Jahren in Berlin bei 19,3 Prozent. Besonders betroffen sind alleinstehende Frauen. Bundesweit ist mehr als ein Viertel der Menschen im Ruhestand von Wohnarmut betroffen. Nach Abzug der Wohnkosten bleibt ihnen nur ein Einkommen, das kaum zum Leben reicht. Oft bleiben sie in ihren zu großen, nicht barrierefreien Mietwohnungen wohnen, weil es keine bezahlbare Alternative gibt.
Politische Mitgestaltung: Wer setzt sich für seniorengerechtes Wohnen ein?
Eine wichtige Stimme für die Belange älterer Menschen in Berlin ist der Landesseniorenbeirat Berlin (LSBB). 2006 durch das Berliner Seniorenmitwirkungsgesetz (BerlSenG) – bundesweit das erste seiner Art – gesetzlich verankert, vertritt er die Interessen älterer Menschen gegenüber Politik und Verwaltung. In Arbeitsgruppen zu Themen wie Wohnen, Gesundheit, Digitalisierung, Altersarmut und Altenhilfe engagieren sich ehrenamtlich aktive Mitglieder.
Wibke Werner, Geschäftsführerin im Berliner Mieterverein (BMV), ist Fachsprecherin der Arbeitsgruppe Wohnen und Stadtentwicklung. In einer Sitzung der AG ordnete sie kürzlich aktuelle Zahlen ein: „Der gerade veröffentlichte Wohnraumbedarfsbericht des Senats zeigt eine dramatische Versorgungslücke von 57.000 barrierefreien beziehungsweise barrierearmen Wohnungen auf, die vermutlich in den nächsten Jahren noch größer wird. So schnell kann gar nicht gebaut werden. Und viele können zudem die Mieten im Neubau nicht bezahlen. Daher sind der Umbau von Gebäuden und Wohnungen sowie der unterstützte Wohnungstausch und damit der Erhalt bezahlbarer Mietwohnungen in den Beständen bedeutend. Den landeseigenen Wohnungsunternehmen kommt dabei eine wichtige Rolle zu.“
Mitte April 2025 hatte der Senat in einer parlamentarischen Anfrage auf ein neues gemeinsames Konzept mit dem Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) hingewiesen, das in das Wohnungstauschprogramm der landeseigenen Wohnungsunternehmen überführt werden soll. Ziel der geplanten Maßnahmen sei es, Anreize für den Wechsel von größeren in kleinere Wohnungen zu setzen und den Prozess zu erleichtern.
Erfolge und Forderungen
Die AG Wohnen und Stadtentwicklung des LSBB bringt regelmäßig eigene Positionen und Vorschläge ein, so auch zur Novelle der Berliner Bauordnung (BauO Bln). Seit dem 1. Januar 2025 gelten bei neuen Bauvorhaben gemäß den Paragrafen 62, 63 und 64 BauO Bln in Verbindung mit Paragraf 50, Absatz 1 BauO Bln verschärfte Vorgaben: 75 Prozent der Wohnungen müssen dann „barrierefrei erreichbar“ und mindestens 50 Prozent „barrierefrei nutzbar“ sein.
Die Arbeitsgruppe fordert darüber hinaus eine konkrete Definition und gesetzliche Verankerung des Begriffs „altersgerecht“, da dieser auch Aspekte wie soziale Einbindung, Erreichbarkeit von Nahversorgung und individuelle Anpassbarkeit umfasst – und damit über reine bauliche Barrierefreiheit hinausgeht. „Wir wollten, dass hier explizit die Formulierung ‚altersgerecht‘ aufgenommen wird, denn es gehört mehr als nur barrierefreier Wohnraum dazu“, sagt Joachim Jetschmann, Seniorenvertreter in Charlottenburg-Wilmersdorf und Mitglied der AG.
Auch bei der Umsetzung des geplanten Altenhilfestrukturgesetzes ist die AG Wohnen und Stadtentwicklung aktiv. Dieses Gesetz soll künftig die verpflichtende Umsetzung des Paragrafen 71 Sozialgesetzbuch XII zur Altenhilfe in Berlin regeln – unter anderem betrifft das Maßnahmen zur Wohnraumanpassung und -beschaffung nach individuellen Bedürfnissen. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe fordern vom Senat nicht nur eine konsequente Umsetzung, sondern auch einen eigenen Fördertopf für den altersgerechten Umbau von Wohnungen.
Beteiligung im Bezirk: Mitgestalten statt nur betroffen sein
Der LSBB ist nicht nur beratendes Gremium auf Landesebene – er vernetzt die bezirklichen Seniorenvertretungen und fördert so die politische Teilhabe vor Ort. Die Vorsitzenden dieser Vertretungen wirken in Absprache mit ihren Mitgliedern direkt in die Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) hinein. „Wir haben immer die Möglichkeit, nicht nur mit dem Senat, sondern auch mit Fraktionen und Abgeordneten in Kontakt zu treten“, erklärt Jetschmann. „Wir beraten die Politik und machen unsere Positionen zum seniorengerechten Wohnen deutlich.“
Ein großes Problem ist die erhebliche Zunahme von Eigenbedarfskündigungen in Berlin. „Mich erschreckt es sehr, wie hochbetagte Rentnerinnen und Rentner aus ihren Wohnungen gedrängt werden – das geht bis zur Zwangsräumung. Dieses Desinteresse gegenüber den Älteren macht mich sehr betroffen“, sagt Jetschmann. Gemeinsam mit dem BMV fordert die Berliner Seniorenvertretung daher den Ausschluss von Eigenbedarfskündigungen bei Mieter:innen über 65 Jahre.
Eine Frage der Haltung
Seniorengerechtes Wohnen ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Berlin steht als wachsende Stadt vor der Aufgabe, Wohnraum nicht nur neu zu denken, sondern auch gerecht zu gestalten. Die Arbeit des LSBB und seiner AG Wohnen und Stadtentwicklung zeigt: Engagierte Bürger:innen benennen Probleme und entwickeln Lösungen. Für den Erfolg braucht es vor allem eins: den politischen Willen, ältere Menschen in alle Stadtentwicklungsprozesse einzubeziehen. „Immerhin sind wir fast eine Million in dieser Stadt“, sagt Joachim Jetschmann.
fs
Was die AG Wohnen und Stadtentwicklung von Politik und Verwaltung fordert:
- Die Aufnahme des Begriffs „altersgerecht“ in die Bauordnung.
- Gezielte Fördermittel für den Umbau im Bestand, abgestimmt auf individuelle Bedarfe.
- Eigenbedarfskündigungen von Mieter:Innen über 65 Jahre müssen gesetzlich ausgeschlossen werden.
- Schließung der Wohnkostenlücke zwischen den tatsächlichen und den von den Leistungsträgern anerkannten laufenden Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) bei der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt, der Grundsicherung im Alter, und bei Erwerbsminderung durch Änderung der Ausführungsvorschriften Wohnen (AV Wohnen).
26.05.2025