Berlin braucht Wohnungen – doch der Senat weigert sich, dem Wohnungsbau rechtlich Vorrang einzuräumen. Das rächt sich nun. Die gescheiterte Umwidmung von Bahnflächen in Köpenick macht deutlich, wie sehr die Stadt sich auf private Investor:innen und landeseigene Unternehmen verlässt, statt den Wohnungsbau entschieden zu steuern. Ein strukturelles Versäumnis mit Folgen – vor allem für die Mieter:innen.
Eigentlich sollen schon im Herbst dieses Jahres auf der Fläche des alten Güterbahnhofs Köpenick die Bagger rollen – so zumindest die Vorstellung von Bausenator Christian Gaebler (SPD). Geplant ist ein Quartier mit 1.800 Wohnungen, für den Senat einer der „bedeutendsten neuen Wohnungsbauschwerpunkte“ Berlins. Doch bis vor Kurzem war nicht geklärt, ob überhaupt auf der Fläche gebaut werden kann. Inzwischen steht fest: Ganz so einfach ist es nicht.
Rund 11 Hektar des Areals, auf denen 2032 der Bau von 850 Wohnungen beginnen soll, sind noch Bahnzwecken gewidmet. Der Senat will die Fläche umwidmen lassen und dem Bundeseisenbahnvermögen abkaufen. Zwar hatte die Deutsche Bahn AG signalisiert, dass sie die brachliegenden Flächen nicht mehr benötigt – doch nun hat das Eisenbahn-Bundesamt die Umwidmung abgelehnt. Begründet wird dies mit dem „durch fortschreitende Erderwärmung und Kriegsgefahr in Europa ausgelösten Handlungsdruck“ – vor diesem Hintergrund könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Gelände künftig doch wieder für Bahnzwecke gebraucht wird.
Die Entscheidung stützt sich auf die Verschärfung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes Ende 2023, die eine solche Umwidmung auf Einzelfälle begrenzt. Der Bausenator hofft nun, dass der Bundestag das Gesetz ändert, um die Umwidmung zu ermöglichen.
Das Eisenbahn-Bundesamt hingegen zeigt dem Senat in seinem Ablehnungsbescheid einen viel besseren Weg auf: Demnach könnte der Senat eigenständig die Voraussetzungen für eine Umwidmung schaffen – ganz ohne Zustimmung des Bundestags.
Wohnungsbau ohne gesetzliche Priorität
In seiner Begründung zur Ablehnung der Umwidmung zeichnet das Eisenbahn-Bundesamt nicht nur den aktuellen Umgang der Berliner Verwaltung mit dem Wohnungsbau nach, sondern legt auch offen, warum daraus juristisch gesehen kein übergeordnetes öffentliches Interesse ableitbar ist.
Für eine Entwidmung von Bahnflächen ist es erforderlich, dass das Interesse am Wohnungsbau dem Interesse an der Bahninfrastruktur zumindest gleichgestellt ist. Das geltende Recht räumt jedoch der Bahninfrastruktur ausdrücklich Vorrang ein – ein überraschender Umstand angesichts der angespannten Wohnraumsituation. Politische Absichtserklärungen allein genügen nicht; erforderlich sei vielmehr eine konkrete gesetzliche Verankerung des Wohnungsbaus als öffentliche Aufgabe. Im Ablehnungsbescheid heißt es in diesem Zusammenhang „[…] dass Berlin keine stabile gesetzliche Grundlage für eine dauerhafte Wohnraumversorgung besitzt – trotz eines überragenden öffentlichen Interesses.“ Seit der Aufhebung der Wohnraumpreisbewirtschaftung im Westteil Berlins Ende 1987 habe sich das Land faktisch aus der allgemeinen Verantwortung für die Wohnraumversorgung zurückgezogen.
Abhängigkeit statt Eigenverantwortung
Auch die eigenen Planungsdokumente untermauern diese fehlende Verantwortungsübernahme des Landes: Im Stadtentwicklungsplan Wohnen 2040 beschreibt sich der Senat lediglich als Impulsgeber – nicht als Bauherr. Zwar garantiert Artikel 28 der Verfassung von Berlin das Recht auf angemessenen Wohnraum, formuliert jedoch nicht die Schaffung, sondern lediglich die Förderung von Wohnraum als Ziel staatlichen Handelns. Diese Förderung wiederum ist vom Einvernehmen mit der freien Wohnungswirtschaft abhängig. Daraus ergibt sich, dass das Grundrecht auf angemessenen Wohnraum in der Praxis nicht einklagbar ist, da letztlich privatwirtschaftliche Unternehmen – und nicht der Staat – über dessen Umsetzung entscheiden.
Das Eisenbahn-Bundesamt bringt es auf den Punkt: „Rechtlich gesehen schafft [das Wohnraumförderungsrecht] also selbständig allein nur Kraft seiner Offerte ‚keine einzige neue Wohnung‘ – um ein bekanntes wohnungspolitisches Verdikt zu zitieren.“
Landeseigene Wohnungsunternehmen? Nur auf dem Papier öffentlich
Nun könnte man einwenden, dass mit den sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) sehr wohl ein Instrument staatlicher Verantwortung existiert. Doch auch diese Annahme entkräftet das Eisenbahn-Bundesamt: Die LWU sind privatrechtlich organisiert – ihr öffentlicher Eigentümer ändert daran nichts. Die privatrechtliche Struktur könne nur dann als nachrangig gelten, wenn das Unternehmen mit dem ausdrücklichen Ziel gegründet wurde, eine staatliche Aufgabe zu erfüllen.
Es ist zwar richtig, dass die LWU bei der Vergabe von Bauland bevorzugt werden und eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet haben. Doch auf eine gesetzliche Verankerung der öffentlichen Wohnraumversorgung für die breite Berliner Bevölkerung verzichtete der Senat bislang. So heißt es im Bescheid des Eisenbahn-Bundesamts weiter: “Anders als die Erhaltung zählt die unmittelbare Schaffung angemessenen Wohnraums in Berlin nicht mehr oder noch nicht wieder zu den Staatsaufgaben (solche die sich der Staat legitimer Weise selbst zur Aufgabe macht).”
Dabei wäre genau das rechtlich möglich und die Wohnraumversorgung beispielsweise in der Form einer Anstalt öffentlichen Rechts besser steuerbar. So hatte es schon der Mietenvolksentscheid 2015 gefordert. Dass der Senat diesen Schritt nicht geht, zeigt: Auch im Umgang mit den LWU zieht es Berlin vor, zu moderieren statt verbindlich zu steuern.
Wer zahlt den Neubau? Die Mieter:innen
Dass diese privatrechtliche Struktur kein reiner Formalismus ist, sondern konkrete Folgen für die Wohnraumpolitik hat, zeigt eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie zu gemeinwohlorientierten Bewirtschaftungsmodellen. Demnach weisen die LWU im Vergleich mit Berliner Genossenschaften und der Wiener Wohnen die höchsten Quadratmeterpreise auf. Zum einen, weil sie als privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen Profite erwirtschaften müssen und zum anderen, weil sie hohe Kosten für Zinsen und Abschreibungen zu tragen haben.
Denn während die anderen Modelle auf langfristige Bestandspflege setzen, sollen die LWU vor allem neuen Wohnraum schaffen – worauf sich der Senat verlässt. Die Finanzierung der Neubauten trägt jedoch nicht der öffentliche Haushalt, sondern in erster Linie die Mieter:innen – obwohl der Senat in seinen wohnungspolitischen Leitlinien den Wohnungsbau als Teil öffentlicher Verantwortung versteht.
Mut zur Verantwortung!
Wie also weiter? Das Eisenbahn-Bundesamt selbst zeigt in seiner Ablehnung der Umwidmung den Weg: Würde das Land dem Wohnungsbau gesetzlich denselben Stellenwert einräumen wie der Bahninfrastruktur, ließe sich eine Umwidmung rechtlich sauber begründen. Angesichts der vielen weiteren Bauvorhaben, die von ähnlichen Hürden bedroht sind, ist das dringlicher denn je.
Zwar ist die juristische Argumentation des Amts nachvollziehbar – eine großzügigere Auslegung zugunsten des öffentlichen Interesses am Wohnungsbau wäre dennoch wünschenswert. Vor allem aber macht die Entscheidung deutlich, wie unzureichend politische Zielsetzungen bislang rechtlich abgesichert sind. Statt auf eine Änderung des Bundesgesetzes zu hoffen, sollte der Senat die vom Amt selbst aufgezeigte Möglichkeit nutzen.
Das bedeutet vor allem, dass Berlin nicht länger allein auf private Investor:innen und Kooperationen mit landeseigenen Wohnungsunternehmen setzt, sondern aktiv Verantwortung übernimmt: durch eine öffentliche Baugesellschaft mit klarem Sozialauftrag, durch die gezielte Entwicklung eigener Grundstücke, durch Konzeptvergaben mit verbindlichen Sozialquoten, durch gesetzlich geregelte Mietobergrenzen und durch direkte Investitionen in den gemeinwohlorientierten Wohnungsbau.
Das Land Berlin muss nicht jede Wohnung selbst errichten – aber es muss steuern, beauftragen und dort selbst tätig werden, wo der Markt versagt. Denn die bisherige Strategie ist gescheitert. Die Neubauziele werden Jahr für Jahr verfehlt, und mit jeder neuen Koalition sinkt das Ambitionsniveau. Wer den Wohnungsbau ernsthaft als öffentliche Aufgabe begreift, muss ihn auch rechtlich und praktisch entsprechend behandeln.
ml
18.06.2025