Kaum ein Berliner Wohnungsunternehmen blickt auf eine so komplexe Geschichte wie die Berlinovo Immobilien Gesellschaft. Anders als die übrigen sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) untersteht sie nicht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, sondern dem Finanzsenat. Die Hintergründe sind schwer zu durchschauen, Informationen oft nicht aktuell. Doch worum geht es konkret?
Nach der Wiedervereinigung verkaufte das Land Berlin unter dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) in großem Stil öffentliche Immobilien an sogenannte geschlossene Fonds, aufgelegt von der damaligen Bankgesellschaft Berlin, einer Landesbank. Das Ziel: dringend benötigtes Investitionskapital für die Sanierung des maroden Wohnungsbestands in Ost-Berlin zu mobilisieren und zugleich den klammen Haushalt zu entlasten. Berlin selbst blieb in der Regel Mehrheitseigner dieser Fonds, während Tausende Kleinanleger:innen über ihre Beteiligungen frisches Kapital bereitstellten.
Doch das Modell erwies sich als hochriskant. Viele Fonds entwickelten sich schlechter als erwartet. Sinkende Mieteinnahmen, wachsende Leerstände und fallende Immobilienwerte lösten Garantien aus, für die das Land Berlin einstehen musste. Der finanzielle Schaden war immens. Ein Rettungsschirm in Höhe von 21,3 Milliarden Euro wurde aufgespannt.
Zur Schadensbegrenzung gründete das Land 2006 die Berliner Immobilien Holding (BIH), um die defizitären Fondsbestände zu bündeln und zu verwalten. Mit der Umbenennung zur Berlinovo Immobilien Gesellschaft mbH im Jahr 2012 markierte das Unternehmen einen Neuanfang – weg von der Krisenverwaltung hin zu einem wirtschaftlich agierenden Akteur auf dem Berliner Wohnungsmarkt.
Fondsstruktur und landeseigener Wohnungsbestand
Bis heute verwaltet die Berlinovo einen erheblichen Bestand an Fondsimmobilien. Insgesamt umfasst ihr Portfolio rund 23.000 Wohnungen – darunter viele Plattenbauten aus den 1990er-Jahren. Im Unterschied zu den klassischen LWU besteht jedoch keine Kooperationsvereinbarung mit dem Stadtentwicklungsressort, sondern eine gesonderte Regelung mit der Senatsverwaltung für Finanzen. Ein sozialer Versorgungsauftrag und Mietobergrenzen gelten nur eingeschränkt, da viele Objekte zum Fondsbestand zählen und private Mitgesellschafter:innen ein Mitspracherecht haben. Für die rund 4.800 klassischen Mietwohnungen im Eigenbestand verpflichtet sich die Berlinovo hingegen zur Anwendung der wohnungspolitischen Vorgaben – in Abstimmung mit dem Finanzressort.
Dies beinhaltet im Eigenbestand unter anderem die Wohnberechtigungsschein-(WBS)-Vermietungsquote von 63 Prozent, eine WBS-Neubauquote von 50 Prozent sowie die Übernahme des „Leistbarkeitsversprechens“, wonach die Nettokaltmiete nicht mehr als 27 Prozent des Haushaltseinkommens betragen soll. Auch für die rund 15.000 Fondswohnungen sieht die Kooperationsvereinbarung der Berlinovo von 2024 soziale Vermietungsregeln vor: 30 Prozent der Vermietungen sollen an WBS-Berechtigte gehen, Mieterhöhungen werden auf 11 Prozent gekappt und die Nettokaltmiete soll nicht mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens überschreiten.
Obwohl Berlinovo zu 100 Prozent dem Land Berlin gehört, liegen nach wie vor etwa 15.000 Wohnungen in 24 geschlossenen Immobilienfonds. In 14 dieser Fonds hält das Land die Mehrheitsanteile von mehr als 98 Prozent (Stand 2023).
Rückkauf und Konsolidierung
2018 beschloss der Berlinovo-Aufsichtsrat unter Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD), sich schrittweise von nicht zum Kerngeschäft gehörenden Gewerbeimmobilien zu trennen. Ziel war es, 153 Grundstücke in elf Bundesländern zu veräußern und so rund 600 Millionen Euro zu erlösen. Die Umsetzung erfolgte jedoch langsamer als geplant – zuletzt wurden im Oktober 2024 drei weitere Fonds- beziehungsweise Objektgesellschaften aufgelöst.
Die Maßnahme setzte eine Entwicklung fort, die bereits Mitte der 2000er-Jahre unter Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) begann: der systematische Rückkauf von Fondsanteilen inklusive umfangreicher Kredit- und Mietgarantien. Ziel war die Rückgewinnung finanzieller Kontrolle und die Reduzierung der fiskalischen Risiken für das Land. Dieses gewann durch den Ankauf von Fondsanteilen zwar erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Steuerung, die rechtlichen Eigentumsverhältnisse blieben jedoch in der Fondsstruktur verankert. Die Verpflichtungen blieben bestehen: Zuletzt bezifferte sich die potenzielle Haftung auf rund 3,8 Milliarden Euro. Der anhaltende Immobilienboom ermöglichte zwar die Entschuldung vieler Objekte und sorgte für stabile Mieteinnahmen – dennoch bleibt die Konsolidierung ein laufender Prozess.
Wohnungsunternehmen und Finanzdienstleister zugleich
Berlinovo verwaltet viele ihrer Objekte treuhänderisch im Auftrag geschlossener Immobilienfonds. Während das wirtschaftliche Eigentum bei den Fonds verbleibt, übernimmt das Unternehmen Aufgaben wie Vermietung, Instandhaltung und Bewirtschaftung – mit dem Ziel, stabile Renditen für die Fondsanleger:innen zu erzielen. Dieser renditeorientierte Auftrag steht jedoch mitunter im Widerspruch zu wohnungspolitischen Erwartungen, etwa bei der Unterbringung von Studierenden oder Geflüchteten.
Die Doppelrolle als landeseigenes Unternehmen mit öffentlichem Auftrag und zugleich Finanzdienstleister führt zu Zielkonflikten. Denn viele Immobilien unterliegen rechtlichen Vorgaben, die die Interessen der privaten Anteilseigner:innen schützen. Sozial ausgerichtete Mietmodelle sind in diesem Rahmen nur bedingt möglich oder müssen mit wirtschaftlichen Erfordernissen in Einklang gebracht werden.
Deutlich wird dieser Konflikt in den Segmenten der Wohnformen wie das Beschäftigtenwohnen oder das Hauptstadtwohnen. Berlinovo hat sich verstärkt auf renditestarke Wohnangebote wie möblierte Apartments für temporär Beschäftigte oder die gewerbliche Vermietung an soziale Träger spezialisiert. Während diese Segmente stabile Einnahmen versprechen, äußern Mieter:innen im klassischen Bestand zunehmend Kritik – insbesondere wegen ausbleibender Reparaturen und vernachlässigter Instandhaltung.
Gewinne wurden privatisiert, Verluste sozialisiert
Viele der geschlossenen Fonds entwickelten sich deutlich schlechter als ursprünglich prognostiziert. Zu optimistische Erwartungen an Miet- und Wertsteigerungen, Leerstände in peripheren Lagen sowie schwaches Fondsmanagement führten dazu, dass Renditen ausblieben – bei gleichzeitigem Verfall der baulichen Substanz.
Die Rahmenbedingungen waren ungünstig: Die Bevölkerungszahl Berlins stagnierte in den frühen 2000er-Jahren. Erst ab 2006 setzte wieder Wachstum ein, ab 2008 beschleunigt durch den Aufstieg der Metropole. Paradoxerweise verstärkte ausgerechnet die weltweite Finanzkrise – ausgelöst durch geplatzte Immobilienkredite in den USA – den Boom auf dem Berliner Immobilienmarkt, getrieben von niedrigen Zinsen und dem Run auf „sichere Häfen“. Die Folge: der Ausverkauf der Stadt.
Um die Fonds überhaupt am Markt platzieren zu können, hatte das Land Berlin umfassende Garantien übernommen – für Ausschüttungen und Mindesterträge. Das finanzielle Risiko trug das Land allein. Während die Gewinne privater Anleger:innen gesichert waren, wurden die Verluste über den Landeshaushalt getragen. In der Folge mussten teils dreistellige Millionenbeträge aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt werden. Die Konstruktion gilt heute als lehrbuchhaftes Beispiel einer fehlgeleiteten Privatisierung – mit privat organisierten Gewinnen und sozialisierten Risiken, deren Auswirkungen den Berliner Haushalt bis heute belasten.
Zukunftsperspektiven und politische Ausrichtung
Kann ein Unternehmen, das strukturell an die Steuerungslogik geschlossener Fonds gebunden ist, langfristig eine tragende Rolle in der sozialen Wohnraumversorgung übernehmen? Mit 23.000 Wohnungen ist die Berlinovo ein wichtiger Baustein für Berlins öffentliche Wohnungswirtschaft. Daher muss – nach Ankauf der restlichen Fondsanteile – endlich auch der Großteil dieser Wohnungen Teil der Kooperationsvereinbarung mit den landeseigenen Wohnungsunternehmen werden. Diese gehört zudem auf den Prüfstand – denn unter der CDU/SPD-Regierung in Berlin wurden die sozialen Vermietungsregelungen spürbar zulasten der Mieter:innen abgeschwächt.
Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD ist die Integration der Berlinovo in die Kooperationsvereinbarung der übrigen LWU explizit als Ziel formuliert. Ob dies gelingt, hängt auch davon ab, wie weit sich das Unternehmen aus den Altlasten der Fondsvergangenheit befreien kann – rechtlich, organisatorisch und strategisch.
Einen eindrucksvollen Einblick in die Ursprünge des Berliner Bankenskandals und die Verflechtung von Finanz- und Wohnungspolitik bietet die Dokumentarserie „Capital B“ (verfügbar bis Oktober 2025 in der Arte-Mediathek). Einschalten lohnt sich.
fs
21.05.2025