Bezahlbarer Wohnraum wird immer knapper, die Mieten steigen kontinuierlich, und viele Menschen bangen darum, ihre Wohnung noch bezahlen zu können. Eine neue Studie der Universität Mannheim zeigt einen besorgniserregenden Zusammenhang: Menschen, die sich durch steigende Mieten bedroht fühlen, neigen verstärkt dazu, rechtsextreme Parteien – insbesondere die AfD – zu wählen.
Die politikwissenschaftliche Studie „Rental Market Risk and Radical Right Support“ des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES) zeigt: Steigende Mietkosten in der Nachbarschaft – selbst wenn sie nicht unmittelbar zur eigenen Mieterhöhung oder Verdrängung führen – verstärken bei Mietenden das Gefühl wirtschaftlicher Unsicherheit und die Angst vor Wohnungsverlust. Dies führt insbesondere bei einkommensschwächeren Langzeitmieter:innen in Städten zu einer erhöhten Unterstützung rechtsextremer Parteien. Sie neigen mit zunehmender Wohnungsnot stärker zur AfD.
Viele Berliner:innen zählen ihre Wohnung und einen alten Mietvertrag mit vergleichsweise niedrigen Mieten zu den letzten verbliebenen Privilegien. Gleichzeitig erleben sie in ihrem Umfeld drastische Veränderungen: Nachbarschaften wandeln sich, Freund:innen und Bekannte geraten durch Verdrängung und steigende Wohnkosten zunehmend unter Druck. Diese Entwicklungen verstärken soziale Spannungen und beeinflussen das Wahlverhalten.
Steigende Mieten, steigende AfD-Stimmen?
Die Autor:innen der Studie aus Mannheim, Zürich und Oxford analysierten Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) in Verbindung mit Mietmarktdaten. Das Ergebnis: Ein Anstieg der Durchschnittsmiete um einen Euro pro Quadratmeter erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass einkommensschwächere Mieter:innen die AfD unterstützen, um bis zu vier Prozentpunkte.
Das SOEP ist eine umfassende Langzeitbefragung, die ökonomische Daten wie Beruf, Einkommen und politische Einstellungen erfasst und mit Mietpreissteigerungen der letzten Jahre in den jeweiligen Postleitzahlengebieten kombiniert.
Am Beispiel des Berliner Bezirks Neukölln würde dieser Effekt bedeuten, dass die Unterstützung für die AfD von 7,7 Prozent in 2021 bei der Bundestagswahl 2025 steigen könnte. In Reinickendorf und Marzahn-Hellersdorf erzielte die AfD bereits über 11 und 17 Prozent der Stimmen. Auch hier sind die Mieten in den letzten Jahren gestiegen. Wichtig: Die Studie weist auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit hin, nicht auf einen direkten Stimmenzuwachs um vier Prozentpunkte bei der nächsten Wahl. Auch andere Faktoren beeinflussen die Wahlentscheidung. Dennoch zeigen die Ergebnisse, dass Sorge, Angst und Unsicherheit in Bezug auf Wohnkosten eine bedeutende Rolle spielen. „Nicht nur die eigenen Mietkosten, sondern auch Mietsteigerungen im Umfeld lösen bei Menschen mit niedrigem Einkommen ein Gefühl latenter Bedrohung aus“, heißt es in der Studie.
Menschen mit höherem Einkommen oder Wohneigentum profitieren dagegen von der Aufwertung ihrer Wohngegenden – sei es durch steigende Immobilienwerte oder eine bessere Infrastruktur. Daher tendieren sie in boomenden Städten eher dazu, etablierten oder progressiven Parteien ihre Unterstützung zu geben. Weitergehende Forschung könnte klären, wie steigende Mieten speziell Haushalte mit Migrationshintergrund politisch beeinflussen.
Historische Parallelen: Abstiegsängste und Radikalisierung
Wirtschaftliche Unsicherheit begünstigt politische Radikalisierung – ein Muster, das sich historisch immer wieder zeigt. In den 1920er Jahren, während der Weimarer Republik, verschärften der akute Wohnungsmangel, die hohe Arbeitslosigkeit und Inflation die sozialen Spannungen. Viele fühlten sich von der Politik im Stich gelassen, was das Vertrauen in traditionelle Parteien untergrub und radikale politische Bewegungen, einschließlich der NSDAP, stärkte.
Ähnliche Muster lassen sich auch in jüngerer Zeit beobachten: Nach der Finanzkrise 2008 wuchs in Europa die Unterstützung für rechtsextreme Parteien, insbesondere in Südeuropa. In Griechenland gewann die rechtspopulistische Goldene Morgenröte an Zulauf, während in Großbritannien wirtschaftliche Unsicherheiten die Popularität des Brexit-Lagers befeuerten. Menschen, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen, reagieren oft mit Resignation, Angst und Protest.
Bemerkenswert ist, dass die AfD selbst keine Lösungen zur Linderung der Wohnungsnot anbietet, die den Druck auf Mieter:innen verringern würden. Dennoch nutzt sie Abstiegs- und Verlustängste gezielt für ihre Mobilisierung – inzwischen auch in Großstädten, die lange Zeit als Hochburgen progressiver Politik galten.
Neoliberale Wohnungspolitik als Krisentreiber
Ein zentraler Faktor für diese Entwicklung ist die Mieten- und Wohnungspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Der Fokus auf Marktmechanismen zur Bereitstellung von Wohnraum ging mit einem Rückzug staatlicher Eingriffe einher. Die Deregulierung des Mietmarktes, die Privatisierung öffentlicher Wohnungsbestände und der Rückzug des Staates aus dem sozialen Wohnungsbau haben die aktuelle Krise maßgeblich verschärft.
Besonders in den vergangenen fast 20 Jahren wurde der soziale Wohnungsbau und die damit verbundene staatliche Aufgabe der Wohnraumvorsorge stark vernachlässigt. Während Immobilienkonzerne von steuerlichen Vorteilen und einer weitgehenden Marktliberalisierung profitieren, wurde der Mieterschutz zunehmend gelockert. Diese Entwicklungen haben die Ungleichheit auf dem Wohnungsmarkt vertieft – mit weitreichenden politischen Folgen.
Deutschland: Mietenland unter Druck
Deutschland hat den höchsten Anteil an Mietwohnungen in der EU. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung wohnt zur Miete – und ist damit unmittelbar von den Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt betroffen, in den Großstädten wohnen oft mehr als 70 Prozent der Bevölkerung in Mietwohnungen – in Berlin sogar 84 Prozent. Junge Menschen, Alleinerziehende und Geringverdienende sind die Hauptverlierer:innen der Situation, aber auch Familien mit durchschnittlichem Einkommen finden kaum noch bezahlbaren Wohnraum. Die Sorge um die Wohnung eint inzwischen einen Großteil der Mieter:innen in Berlin.
Was tun? Politik muss handeln!
Die Studie zeigt, dass steigende Mieten wirtschaftliche Unsicherheit verstärken und insbesondere einkommensschwächere Mieter:innen anfälliger für die Unterstützung rechtsextremer Parteien wie der AfD machen. Dies macht deutlich: Wohnungspolitik ist nicht nur eine soziale, sondern auch eine demokratische Notwendigkeit.
Ein bezahlbarer und gerechter Wohnungsmarkt kann daher nicht nur die Lebensqualität vieler Menschen verbessern, sondern auch gesellschaftliche Spannungen und politische Radikalisierung abschwächen. Wenn steigende Mieten politische Rechtsorientierung befeuern, muss der umfassende Schutz von Mieter:innen Priorität haben. Es braucht dringend politische Maßnahmen, die Mietsteigerungen begrenzen und Mieter:innen langfristige Sicherheit bieten – für gesellschaftliche Stabilität und eine widerstandsfähige Demokratie.
Die vollständige Studie „Rental Market Risk and Radical Right Support“ finden Sie hier.
fs
06.02.2025