Sechs Personen auf 3,5 Zimmern: Im neuen Podcast des Berliner Mietervereins erzählt die 20-jährige Liya von ihrem Alltag – geprägt von Enge, Corona und vielen Herausforderungen, aber auch von Nähe und Zukunftswünschen. Ihre Geschichte ist kein Einzelfall. In Berlin gelten rund 300.000 Haushalte als überbelegt. Streetworker Çağatay berichtet, wie sehr junge Menschen unter den Belastungen solcher Wohnverhältnisse leiden.
Liya wohnt mit ihren Eltern, ihrem Bruder und zwei Schwestern in einer Wohnung, die für sechs Menschen kaum ausreicht. Ihr Vater ist blind, ihre Mutter schwerbehindert – umso stärker ist die Familie aufeinander angewiesen. Doch das enge Zusammenleben fordert sie täglich heraus. Liya teilt ihr Zimmer mit ihren Schwestern. Zwei Wände sind mit Schränken zugestellt, jede der jungen Frauen hat nur eine kleine Ecke für sich. Momente allein erlebt sie fast nur nachts mit ihren Gedanken – oder wenn ihre Schwestern arbeiten und sie ein paar Stunden das Zimmer für sich hat.
Corona-Lockdowns verschärften die Situation
Besonders während der Corona-Pandemie spürte die Familie die Enge. Studium, Schule und Homeoffice mussten auf kleinstem Raum stattfinden, Rückzugsorte wie Bibliotheken blieben geschlossen. „Jeder hatte Vorlesungen, jeder war genervt“, erinnert sich Liya. Die drei Schwestern, alle zu der Zeit im Studium, teilten sich einen einzigen Laptop – Konflikte und Gereiztheiten waren unvermeidlich. Selbst wenn es keinen Streit gab, fehlte der Raum, um konzentriert zu lernen oder einfach Ruhe zu finden. Auch heute bleibt der Alltag kompliziert. Küche und Wohnzimmer sind fast immer belegt, Privatsphäre – Fehlanzeige. Liya sucht daher draußen nach Freiraum – in Cafés, am See, auf dem Weg zur Arbeit.
Trotz aller Belastungen schätzt Liya die Nähe zu ihrer Familie – vor allem zu ihren Schwestern. Sie ist in einer islamischen Familie aufgewachsen, ein Auszug ohne Heirat kommt für sie nicht in Frage. „Es ist anstrengend, aber ich bekomme auch viel Unterstützung von meiner Familie. Wir sind zusammen stark.“ Gleichzeitig wünscht sie sich ein eigenes Zimmer – oder später eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit einem Partner.
Ein Umzug in eine größere Wohnung ist jedoch kaum realistisch. Zwar hätten die Eltern Anspruch auf barrierearmen Wohnraum, doch die Suche blieb erfolglos. Hinzu kommt die Angst des Vaters: Als Blinder fürchtet er, sich in einer neuen Umgebung nicht zurechtzufinden. So bleibt die überfüllte Wohnung vorerst die einzige Option.
Ein gesellschaftliches Problem
Liyas Geschichte ist kein Einzelschicksal, wie Çağatay im Podcast betont. Der Streetworker begleitet seit Jahren Jugendliche in Berlin und ordnet das Thema gesellschaftlich und politisch ein: Überbelegung ist längst Alltag. Viele junge Menschen wachsen in zu engen Wohnungen auf – mit Stress, fehlenden Rückzugsräumen und oft auch schlechteren Chancen in Schule und Ausbildung. „Wenn jeder Tisch in der Wohnung besetzt ist und es keinen ruhigen Platz zum Lernen gibt, wirkt sich das direkt auf die Zukunft der Jugendlichen aus“, erklärt er. Steigende Mieten und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum verschärfen die Lage. Besonders Familien bleiben in zu kleinen Wohnungen gefangen, weil größere Wohnungen meist unerschwinglich sind. Auch für junge Menschen in Ausbildung oder Studium gibt es kaum bezahlbare Alternativen.
Laut Statistischem Bundesamt leben bundesweit rund 9,2 Millionen Menschen – etwa elf Prozent aller Haushalte – in überbelegten Wohnungen. In Berlin wird der Anteil auf fast 16 Prozent geschätzt, das sind mehr als 300.000 Haushalte.
Dringend politische Lösungen gefragt
Für Çağatay ist klar: Politische Lösungen sind dringend nötig – und oft einfach umsetzbar. Mehr Notunterkünfte für jüngere Menschen in Krisensituationen, flexiblere Regeln bei den Wohnraumbemessungsgrenzen der Jobcenter und eine Stärkung betreuter Jugendwohnformen oder auch unkomplizierte Wohnungstauschrechte könnten Familien entlasten und helfen, schneller den für sie passenden Wohnraum zu finden. „Wir reden hier nicht über Luxus, sondern über Grundbedürfnisse: Platz zum Schlafen, Lernen, zur Ruhe kommen. Und dafür braucht es politische Lösungen“, so der Streetworker.
Jetzt den Podcast hören
Wie Liya trotz Enge und Belastung optimistisch bleibt, warum Nähe sie stark macht und weshalb Überbelegung weit mehr als ein individuelles Problem ist – all das erzählt sie im neuen Podcast des Berliner Mietervereins. Jetzt reinhören und erfahren, was es bedeutet, in Berlin ohne Privatsphäre aufzuwachsen.
ml
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25.09.2025




