1. Durch eine mietvertragliche Bestimmung, der zu Folge das Wohnungsunternehmen das Mietverhältnis „nur in besonderen Ausnahmefällen unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen kündigen kann, wenn wichtige berechtigte Interessen des Vermieters eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen“, wird dem Mieter ein gegenüber den gesetzlichen Vorschriften erhöhter Bestandsschutz eingeräumt. Für eine Kündigung genügt dann das in § 573 Abs. 2 BGB genannte berechtigte Interesse des Vermieters nicht.
2. Für die Annahme eines solchen Ausnahmefalls genügt es nicht, dass der Vermieter mit der Geltendmachung des Eigenbedarfs an der streitgegenständlichen Wohnung eine „Familienzusammenführung“ herbeiführen möchte, um sein verfassungsmäßig geschütztes Recht aus Art. 6 GG verwirklichen zu können.
3. Eine im Laufe des Mietverhältnisses später getroffene Modernisierungsvereinbarung, in der sich der Vermieter verpflichtet, „bis zum Ablauf des 10. Jahres“ nach Abschluss der Baumaßnahmen keine Eigenbedarfskündigung auszusprechen, schließt den Ausspruch einer jeden Eigenbedarfskündigung im angegebenen Zeitraum aus, insbesondere auch eine solche, die den erhöhten Anforderungen des Mietvertrages entspricht. Die Regelung löst aber nicht grundsätzlich den erhöhten Kündigungsschutz des Mietvertrages ab. Vielmehr besteht dieser nach Ablauf des Zeitraums von zehn Jahren unverändert fort.
4. Einem Übergang der Regelungen auf den Erwerber der Wohnung gemäß § 566 BGB steht nicht entgegen, dass es sich bei ihm nicht um ein „Wohnungsunternehmen“ handelt, wie im Mietvertrag formuliert, welches per se überhaupt keinen Eigenbedarf geltend machen kann. Die Rechte des Mieters im Falle einer Veräußerung des Wohnraums sind durch § 566 BGB umfassend geschützt und verringern sich nicht dadurch, dass nunmehr eine natürliche statt einer juristischen Person auf Vermieterseite in das Mietverhältnis eintritt.
LG Berlin II vom 20.5.2025 – 67 S 221/24 –
Urteilstext
Gründe:
I.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß den §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II.
1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 511 Abs. 1 ZPO statthaft und die gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Mindestbeschwer ist erreicht. Die Form- und Fristvorschriften der §§ 517, 519 und 520 ZPO sind erfüllt.
2. Die Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von ihr innegehaltenen Wohnung im Haus S. Straße x in 1xxxx Berlin aus § 546 Abs. 1 BGB. Das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis ist durch die Kündigung wegen Eigenbedarfs vom 28.9.2023 nicht gemäß § 573 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB beendet worden. Der Kündigung steht der erhöhte Bestandsschutz aus § 5 Abs. 3 des Mietvertrages vom 10.9.1991, in welchen der Kläger mit Erwerb der Wohnung gemäß § 566 BGB eingetreten ist, entgegen.
Die ausgesprochene Eigenbedarfskündigung vom 28.9.2023 ist formell wirksam. Ausreichend ist bei der Kündigung wegen Eigenbedarfs regelmäßig die Angabe der Person, die die Wohnung benötigt und die Darlegung des Interesses, das diese Person – hier der Kläger als Vermieter – an der Erlangung der Wohnung hat (BGH NJW 2015, 3368; NJW 2014, 2102, beck-online). Angaben zur Wohnsituation sind erforderlich, soweit sie – wie hier – für den Erlangungswunsch von Bedeutung sind (BGH NZM 2011, 706 = NJW-RR 2012; 14 beck-online). Die Angaben sollen dem Mieter ermöglichen, sich frühzeitig Klarheit über seine Rechtsstellung zu verschaffen. Nur diesen Zweck muss die Begründung erfüllen; zu hohe formale Anforderungen sind nach den Vorstellungen des Gesetzgebers, die der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes entsprechen, unangebracht (vgl. BT-Drs. 14/4553, 66; BVerfG NJW-RR 2003, 1164).
Diesen Anforderungen genügt das ausführlich begründete Kündigungsschreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 28.9.2023, denn es enthält die oben dargestellten Angaben. Dass die Angaben die Kündigung mit Blick auf die Regelung in Ziff. 10 des Mietvertrages im Ergebnis inhaltlich nicht tragen, ist eine Frage, die die vom Gericht vorzunehmende Bewertung der materiell-rechtlichen Wirksamkeit der Kündigung betrifft.
Das Berufungsgericht unterstellt zu Gunsten des Klägers, dass seine im Kündigungsschreiben dargestellte Wohn- und Lebenssituation die Annahme rechtfertigt, dass er die Wohnung für sich benötigt, § 573 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB.
Bei dem Kriterium des „Benötigens“ in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB handelt es sich um einen objektiv nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff, der voraussetzt, dass der Vermieter ernsthafte, vernünftige und nachvollziehbare Gründe hat, die Wohnung selbst zu nutzen (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.07.1993 – 1 BvR 501/93, nach juris Rn. 13, m.w.N., zit. nach juris; BGH, Rechtsentscheid in Mietsachen v. 20.01.1988 – VIII ARZ 4/87 Rn. 17ff., m.w.N.; Urt. v. 05.10.2005 – VIII ZR 127/05, WuM 2005, 779, juris Rn. 5). Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit beim Vermieter (vgl. nur BGH, Urt. v. 23.09.2015 – VIII ZR 2015, NJW 2015, 3368, juris). Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG schützt den Vermieter in seiner Freiheit, die Wohnung bei Eigenbedarf selbst zu nutzen (oder durch privilegierte Angehörige nutzen zu lassen). Die Gerichte haben den Eigennutzungswunsch des Eigentümers zwar zum Schutz des Mieters zu überprüfen, andererseits aber grundsätzlich zu respektieren, insbesondere nicht das Recht, ihre Vorstellungen von angemessenem Wohnen verbindlich an die Stelle der Lebensplanung des Vermieters zu setzen (vgl. st. Rspr. BVerfG, Beschl. v. 11.11.1993 – 1 BvR 696/93, NJW 1994, 309, [310], m.w.N., nach beck-online; BGH, Urt. v. 04.03.2015 – VIII ZR 166/14, in WuM 2015, 304, juris Rn. 14, m.w.N.; Schmidt-Futterer/Börstinghaus, 16. Aufl. 2024, BGB § 573 Rn. 58, beck-online; Blank/Börstinghaus/Siegmund/Siegmund, 7. Aufl. 2023, BGB § 573 Rn. 44, beck-online).
Der vom Kläger geltend gemachte Wohnbedarf – die Richtigkeit seines Vortrags unterstellt – ist weder überhöht noch ist es nicht vernünftig oder nicht nachvollziehbar, dass der Kläger mit seiner Verlobten, deren Tochter und der weiteren gemeinsamen Tochter die hier gegenständliche Wohnung als gemeinsame Familienwohnung nutzen möchte.
Von einer zum Schutz des Mieters – hier der Beklagten – regelmäßig gebotenen Beweisaufnahme zur Überprüfung der von ihr zulässig bestrittenen Behauptungen des Klägers zu seiner Wohnsituation und zur Ernsthaftigkeit seines Eigennutzungswunsches (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.10.1990 – 1 BvR 953/90, NJW-RR 1991, 74; Beschl. v. 19.10.1993 – 1 BvR 1620/92, BeckRS 1993, 08397; Beschl. vom 19.10.1993 – 1 BvR 25/93, NJW 1994, 309; Beschl. v. 20.05.1999 – 1 BvR 29/99, NZM 1999, 659 jew. nach beck-online; BGH, Urt. v. 04.03.2015, a.a.O., juris Rn. 15) war hier abzusehen, denn der Vortrag des Klägers deckt den Tatbestand des § 573 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB (Eigenbedarf), nicht aber die darüber hinaus gehenden, die Mieterin schützenden Anforderungen des § 5 Abs. 3 des Mietvertrages. Danach reicht – anders als nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB – ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses nicht aus; vielmehr müssen „wichtige berechtigte Interessen (…) eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen.“
Entgegen der Ansicht des Klägers gilt die Vereinbarung in § 5 Abs. 3 des ursprünglich zwischen der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg mbH auf Vermieterseite und der Beklagten und Herrn H. auf Mieterseite geschlossenen Vertrages auch nach Ausscheiden des Herrn H. aus dem Mietverhältnis, dem Abschluss der Modernisierungsvereinbarung vom 27.2.1998 und dem Erwerb der Wohnung durch den Kläger fort.
Die Vereinbarung in § 5 Abs. 3 des Mietvertrages befindet sich gerichtsbekannt in inhaltsgleicher Form in einer Vielzahl von Vertragsformularen, die von Wohnungsbaugenossenschaften und städtischen Wohnungsbaugesellschaften verwendet wurden (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2012 – VIII ZR 327/11 -, Rn. 24, juris). Dem Kläger musste also bereits bei Erwerb der Wohnung bekannt sein, dass gemäß § 5 Abs. 3 die von einer nicht durch eine Vertragsverletzung von Seiten des Mieters bedingte Beendigung des Mietverhältnisses durch ihn als Vermieter auf besondere Ausnahmefälle beschränkt ist und wichtige berechtigte Interessen eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen. Entgegen der Ansicht des Klägers ist diese Vereinbarung auch Grundlage des zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnisses geblieben.
Insbesondere ist der Mietvertrag vom 10.9.1991 hinsichtlich der streitgegenständlichen Regelung weder durch die Modernisierungsvereinbarung vom 27.2.1998 noch durch einen anderen Vertrag abgelöst worden, sondern besteht unverändert fort. § 2 Abs. 1 der Modernisierungsvereinbarung nimmt ausdrücklich Bezug auf den Mietvertrag vom 10.9.1991 und ändert diesen (lediglich) „in den nachstehenden Punkten ab“. Damit haben die Parteien zum Ausdruck gebracht, dass der ursprünglich vereinbarte Mietvertrag und die darin enthaltenen Regelungen weiter Bestand haben sollen, sofern nicht grundsätzlich durch die Modernisierungsvereinbarung eine neue Regelung getroffen würde. Eine solche Regelung hinsichtlich der Einschränkung der Kündigungsmöglichkeit in § 5 Abs. 3 des Mietvertrages für mögliche Eigenbedarfskündigungen stellt § 5 Abs. 7 der Modernisierungsvereinbarung nicht dar. In ihr verpflichtet sich der Vermieter lediglich, „bis zum Ablauf des 10. Jahres“ nach Abschluss der Baumaßnahmen keine Eigenbedarfskündigung auszusprechen. Diese Regelung schließt den Ausspruch einer jeden Eigenbedarfskündigung im angegebenen Zeitraum aus, insbesondere auch eine solche, die den erhöhten Anforderungen die in § 5 Abs. 3 des Mietvertrages entspricht. Die Regelung löst aber nicht grundsätzlich den erhöhten Kündigungsschutz des § 5 Abs. 3 des Mietvertrages ab. Vielmehr besteht dieser nach Ablauf des Zeitraums von zehn Jahren unverändert fort.
Entgegen der in der Berufungsbegründung geäußerten Ansicht des Klägers steht einem Übergang der Regelungen auf den Kläger gemäß § 566 BGB auch nicht entgegen, dass es sich bei ihm nicht um ein „Wohnungsunternehmen“ handelt, wie in § 5 Abs. 3 des Mietvertrages formuliert, welches per se überhaupt keinen Eigenbedarf geltend machen kann. Die Rechte des Mieters im Falle einer Veräußerung des Wohnraums sind durch § 566 BGB umfassend geschützt und verringern sich nicht dadurch, dass nunmehr eine natürliche statt einer juristischen Person auf Vermieterseite in das Mietverhältnis eintritt. Erkennbar beabsichtigten die Parteien bei Abschluss des Mietvertrages vom 10.9.1991 einen erhöhten Kündigungsschutz zu Gunsten der Mieter. Hieran muss sich auch der Kläger festhalten lassen. Es war dem Kläger deshalb vor Erwerb der streitgegenständlichen Wohnung möglich, den erhöhten Kündigungsschutz zugunsten der Mieterin der von ihm erworbenen Wohnung zu erkennen. In Kenntnis dessen hat er die Wohnung erworben.
Damit ist dem Kläger eine Kündigung wegen Eigenbedarfs zwar nicht grundsätzlich verwehrt. Die vertragliche Regelung verschärft jedoch die gesetzlichen Voraussetzungen, so dass das in § 573 Abs. 2 BGB genannte berechtigte Interesse nicht ausreicht; es muss darüber hinaus vielmehr ein besonderer Ausnahmefall vorliegen, der durch das Erfordernis wichtiger berechtigter Interessen, die die Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen, definiert ist („Eigenbedarf + X“). Die Klausel billigt dem Mieter einen gegenüber üblichen Mietverhältnissen erhöhten Bestandsschutz zu (vgl. BGH, Urt. v. 16.10.2013 – VIII ZR 57/13, WuM 2013, 739, nach juris Rn. 14 f.; Urt. v. 09.05.2012 – VIII ZR 327/11, WuM 2012, 529, nach juris Rn. 24 ff.; OLG Karlsruhe, RE v. 21.01.1985 – 3 REMiet 8/84, WuM 1985, 77, nach juris Rn. 24 ff.).
Die Feststellung der über § 573 Abs. 2 BGB hinausgehenden Voraussetzungen für den Ausspruch (unter anderem) einer (ordentlichen) Kündigung wegen Eigenbedarfs (aber gegebenenfalls auch einer auf einer Pflichtverletzung des Mieters beruhenden Kündigung, z.B. wegen Zahlungsverzugs) nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB obliegt dabei dem jeweiligen Tatrichter; die Rechtsfrage des erhöhten Bestandsschutzes als solche ist höchstrichterlich geklärt.
Der vom Kläger zur Begründung der Kündigung wegen Eigenbedarfs geltend gemachte Sachverhalt trägt zwar die Annahme des gesetzlichen Tatbestandes des § 573 Abs. 2 BGB. Es liegt aber lediglich ein „Normal“- (kein Ausnahme-) Fall vor, der unter Berücksichtigung von § 5 Abs. 3 des Mietvertrages eine Kündigung rechtfertigt (so im Ergebnis auch LG Berlin, Urteil vom 13. März 2019 – 65 S 204/18 -, juris).
Für die Annahme eines solchen Ausnahmefalls genügt es entgegen der Ansicht des Klägers nicht, dass er mit der Geltendmachung des Eigenbedarfs an der streitgegenständlichen Wohnung eine „Familienzusammenführung“ herbeiführen möchte, um sein verfassungsmäßig geschütztes Recht aus Art. 6 GG verwirklichen zu können. Dass sich aufgrund veränderter familiärer Umstände im Hinblick auf die Aufnahme einer Partnerschaft oder die Geburt von Kindern ein erhöhter Wohnbedarf ergibt, der Grund für eine Eigenbedarfskündigung ist, entspricht dem Regelfall des „Benötigens“ nach § 573 Abs. 2 Nummer 2 BGB. Entgegen der Ansicht des Klägers ist er auch nicht an einem Zusammenleben mit seiner Familie gehindert, weil ihm die besondere vertragliche Gestaltung vorliegend eine Eigenbedarfskündigung im „Normalfall“ nicht ermöglicht. Es steht ihm frei, sein Familienleben in der bislang von ihm genutzten Wohnung, in der Wohnung seiner Verlobten oder in einer anderen von ihm anzumietenden Wohnung zu verwirklichen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
4. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
5. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gegeben sind. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Es ist nicht erforderlich, die Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Der Bundesgerichtshof hat sich in seinen Urteilen vom 16.10.2013 – VIII ZR 57/13 und vom 9.5.2012 – VIII ZR 327/11 ausführlich mit der hier streitgegenständlichen Problematik auseinandergesetzt und dabei ausgeführt, dass die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des besonderen Ausnahmefalls dem Tatrichter vorbehalten sind.
03.09.2025




