Extreme Hitze trifft Berlin ungleich – besonders einkommensschwächere Miethaushalte in dicht bebauten Vierteln. Warum Hitzeschutz zur Frage nach sozialer Gerechtigkeit wird und welche Maßnahmen jetzt nötig sind.
Klimagerechtigkeit ist längst keine abstrakte Idee mehr – sie entscheidet sich im Alltag der Menschen, besonders in städtischen Räumen wie Berlin. Die Hauptstadt erlebt in den Sommermonaten zunehmend extreme Hitze, die nicht alle Menschen gleichermaßen betreffen. Vor allem Mieter:innen in dicht bebauten Innenstadtquartieren spüren die Folgen des Klimawandels stark. Hier verdichten sich soziale Benachteiligung und klimatische Belastung: Wer wenig verdient, lebt oft in schlecht gedämmten Wohnungen, in Straßen ohne Schatten, mit wenig Grün und kaum Rückzugsorten in Parks oder klimatisierten öffentlichen Räumen. Und das fordert Leben: 2023 zählte das Landesamt für Statistik 106 Hitzetote. Die globale Klimakrise spiegelt sich in greifbarer lokaler Ungleichheit – und trifft diejenigen, die sich einen Umzug in kühlere, grünere Lagen und besser geschützte Wohnungen schlicht nicht leisten können.
Satellitendaten belegen die Ungleichheit
Die ungleiche Verteilung von Hitze in Berlin ist mittlerweile gut dokumentiert: Satellitendaten belegen große Temperaturunterschiede zwischen den Stadtteilen. Besonders betroffen sind innerstädtische Wohnviertel mit hoher Bebauungsdichte und wenig Grünflächen. Während in wohlhabenderen Randlagen wie etwa Heiligensee die Oberflächentemperaturen im Sommer bei vergleichsweise moderaten 28 Grad liegen, erreichen sie in dicht bebauten Quartieren wie Neukölln, Wedding oder Kreuzberg deutlich höhere Werte. Tagsüber heizen sich Fassaden, Asphalt und Dachflächen auf, nachts bleibt die Hitze in den Straßen und Wohnungen gefangen.
Fehlende Strategien und Datenlücken
Einige städtische Wohnungsunternehmen haben erste Maßnahmen ergriffen: Die Degewo setzt auf Pergolen und Sonnensegel, die Gewobag auf klimaresistente Bepflanzung. Das Förderprogramm „Gründach-Plus“ unterstützt Dach- und Fassadenbegrünungen. Grundsätzlich sinnvolle Ansätze, doch eine flächendeckende Hitzeschutzstrategie ist nicht erkennbar.
Vor allem fehlt es an systematischer Datenerhebung: Die meisten Wohnungsunternehmen wissen nicht, wie viele ihrer Gebäude stark von Hitze betroffen sind. Lediglich die Degewo nennt Zahlen – sieben Prozent des Bestands gelten dort als besonders belastet. Ohne verlässliche Daten bleibt das tatsächliche Ausmaß des Problems unsichtbar – und gezielte Gegenmaßnahmen unmöglich. Für die betroffenen Mieter:innen heißt das: Ihre Situation wird weder umfassend dokumentiert noch als politisches Handlungsfeld priorisiert. Ebenso wie beim Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK), das bis heute nicht beschlossen wurde, ist auch für die Klimaanpassung keine abgestimmte Gesamtstrategie ersichtlich.
Politische Freiwilligkeit statt verbindlicher Vorgaben
Auch politisch fehlt es an klaren Vorgaben für den Gebäudebestand. Zwar schreibt die Landesbauordnung Begrünungselemente wie Dach- oder Fassadenpflanzen für Neubauten vor, doch für bestehende Gebäude gibt es keine verbindlichen Regelungen. Statt klare gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, setzt die Politik weiterhin auf Freiwilligkeit. Förderprogramme wie „Gründach-Plus“ werden zudem nur zögerlich genutzt: Von den im Jahr 2024 bereitgestellten 900.000 Euro riefen Eigentümer:innen und Wohnungsunternehmen lediglich 373.500 Euro ab. Damit bleibt trotz wachsender Klimakrise ein Großteil der Mittel ungenutzt.
Die Grünen fordern inzwischen verbindliche Hitzeschutzprogramme für landeseigene Wohnungsunternehmen. Doch auch Mieter:innen in privatwirtschaftlich verwalteten Wohnungen benötigen Schutz. Hier lehnen die Vermieter:innen Klimaanpassung häufig mit dem Verweis auf den Mangel an wirtschaftlicher Darstellbarkeit ab, insbesondere im preisgünstigen Segment. Diese Argumentation wälzt die Verantwortung einseitig auf die Bewohner:innen ab. Sie sind es, die gesundheitlich und sozial betroffen sind, während die Wohnungswirtschaft weiter Profite einstreicht.
Strukturelle Lösungen statt Einzelmaßnahmen
Um klimabedingte soziale Ungleichheiten im Wohnraum wirksam zu bekämpfen, braucht es mehr als vereinzelte Initiativen. Notwendig sind strukturelle, flächendeckende Maßnahmen. Ein erster Schritt wäre die systematische Erhebung von Daten zur Hitzebelastung im gesamten Wohnungsbestand, nicht nur anhand von Satellitendaten. Nur wer weiß, wo die größten Belastungen auftreten, kann zielgerichtet handeln. Darauf aufbauend müssen verbindliche Hitzeschutzmaßnahmen auch für bestehende Gebäude gesetzlich vorgeschrieben werden – etwa für Fassadenbegrünung, Verschattung und bauliche Dämmung.
Förderprogramme wie „Gründach-Plus“ sollten ausgebaut, vereinfacht und verstetigt werden, damit sie bei Eigentümer:innen und Wohnungsunternehmen tatsächlich ankommen. Gleichzeitig brauchen besonders gefährdete Gruppen – ältere Menschen, Alleinerziehende, gesundheitlich Vorbelastete – gezielten Schutz. Entscheidend ist zudem, Mieter:innen und Quartiersräte in Planung und Umsetzung einzubeziehen, um soziale und lokal wirksame Lösungen zu schaffen.
Der Senat will bereits seit 2024 einen Hitzeaktionsplan beschließen. Der Umweltverband BUND Berlin kritisiert die bisherige Untätigkeit und hat kurzerhand selbst einen Sechs-Punkte-Plan vorgelegt. Der fordert unter anderem den Schutz von (auch privaten) Grünflächen, Frühwarnsysteme, den Ausbau von Infrastruktur zum Kühlen und Trinken, den Schutz vulnerabler Gruppen und Kampagnen für öffentliches Bewusstsein in der Thematik.
Hitzeschutz als Teil der Daseinsvorsorge
Die Entscheidungen, die Berlin jetzt trifft oder verzögert, wirken weit über diesen Sommer hinaus. Hitzeschutz im Wohnraum ist keine freiwillige Komfortmaßnahme, sondern eine Voraussetzung für Gesundheit, Teilhabe und Sicherheit – kurz: für lebenswertes Wohnen. Gerade in einer wachsenden Stadt wie Berlin muss Klimaanpassung fester Bestandteil städtischer Daseinsvorsorge sein.
Ohne verbindliche Vorgaben und konkrete Umsetzung bleibt Klimagerechtigkeit ein Lippenbekenntnis. Berlin braucht gesetzliche Rahmenbedingungen, die private wie städtische Wohnungsunternehmen in die Pflicht nehmen – und eine gerechte Verteilung von Ressourcen, damit auch Menschen mit geringem Einkommen wirkungsvollen Schutz vor Hitze erfahren. Wir fordern eine entschlossene, sozial gerechte Klimapolitik, die das Versprechen von Klimagerechtigkeit für alle Berliner:innen einlöst.
ml
19.08.2025




