
Widersprüche, eine nervöse Zeugin und ein Anwalt, der aus der Rolle fällt – der Prozess um die Räumungsklage wegen Eigenbedarf gegen Familie Smolarek aus Charlottenburg ist noch immer nicht abgeschlossen. Beim zweiten Verhandlungstermin Anfang April wurde die Mutter des Vermieters als Zeugin befragt. Der Anwalt – zugleich Vater des Vermieters – griff mehrfach unzulässig ein. Ein Bericht aus dem Gerichtssaal
Der Saal im Amtsgericht Charlottenburg platzt aus allen Nähten. So viele Unterstützer:innen der beklagten Familie Smolarek sind erschienen, dass einige stehen müssen. Sie sind empört über die fragwürdige Räumungsklage wegen Eigenbedarfs, gegen die sich Monika Smolarek mit ihrer Anwältin Carola Handwerg wehrt. Zu oft geschieht das außergerichtlich ohne Aufsehen: Viele Mieter:innen scheuen den Rechtsweg aus Angst, zu unterliegen und neben der stressigen Wohnungssuche, den Umzugskosten und der meist höheren Miete einer neuen Wohnung auch noch teure Anwalts- und Prozesskosten bewältigen zu müssen. Der Fall Smolarek zeigt, wie absurd die Umstände hinter den Eigenbedarfskündigungen sein können.
Die Vorgeschichte
Seit zehn Jahren lebt Monika Smolarek mit ihrem Mann und ihrer neunjährigen Tochter in der Charlottenburger Wohnung. Vor vier Jahren versuchte der damalige Eigentümer, die Familie mit einer unrechtmäßigen Verwertungskündigung loszuwerden, um die Wohnung leer und damit teurer verkaufen zu können. Denn mit unvermieteten Wohnungen lassen sich bis zu 40 Prozent höhere Verkaufspreise erzielen. Smolarek wehrte sich erfolgreich.
2023 verkaufte der Eigentümer die Wohnung an einen 26-Jährigen, der der Familie umgehend wegen vermeintlichen Eigenbedarfs kündigte. Er wolle mit seiner Partnerin einziehen, da er nur ein kleines Zimmer im Dachgeschoss seines Elternhauses bewohne. Doch der Käufer besichtigte seine Wohnung nicht einmal selbst – das übernahm sein Bruder. Monika Smolarek suchte vergebens nach einer Ersatzwohnung im Bezirk. Als sie die Eigenbedarfskündigung anfocht, reichte der Käufer Räumungsklage ein. Der erste Gerichtstermin fand Ende 2024 statt. In der Zwischenzeit sollte ein Unterschriftengutachten veranlasst werden, denn die Unterschriften des Vermieters auf dem Informationsschreiben über den Eigentümerwechsel und auf der Kündigung sehen unterschiedlich aus. Die Richterin sieht dafür jedoch keinen Anlass mehr.
Die Glaubwürdigkeit der Zeugin
Der Käufer wird von seinem Vater Alexander Ollendorff vertreten, einem Anwalt für Immobilienrecht und Eigentümer mehrerer Immobilien. Um den Eigenbedarf zu untermauern, sagte beim zweiten Verhandlungstermin die Mutter des Käufers als Zeugin aus. Im Mittelpunkt stand die Wohnsituation des Klägers. Die verteidigende Anwältin Carola Handwerg befragte die Mutter zu den Wohnverhältnissen des Käufers im Elternhaus. Laut ihrer Aussage zog vor drei Jahren eine Mieterin einer abgetrennten Wohneinheit im Erdgeschoss des Familienhauses aus. Die Familie habe die Einheit ihrer eigenen Wohnfläche hinzugefügt. Das Erdgeschoss misst nun 95 Quadratmeter, das gesamte Haus etwa 240 Quadratmeter Wohnfläche. Allein das Dachgeschoss, in dem der Sohn angeblich beengt lebt, umfasst 50 Quadratmeter mit mehreren Zimmern und eigenem Bad. Rechtsanwältin Handwerg wies darauf hin, dass sie mit ihren Nachfragen lediglich die Glaubwürdigkeit der Mutter als Zeugin in frage stelle. Die Wohnverhältnisse des Wohnungseigentümers seien unerheblich für die Beurteilung, ob er wirklich in die Wohnung einziehen wolle: Er könne auch auf 1.000 Quadratmetern wohnen und dennoch Eigenbedarf anmelden. Die Aussage der Zeugin warf jedoch erhebliche Zweifel auf.
Viele Widersprüche
Die Zeugin wirkte nervös und widersprach sich mehrfach. Zunächst gab sie die Wohnfläche ihres Hauses kleiner an, obwohl sie als Architektin über ein grundlegendes Verständnis für die Flächen von Räumen verfügen dürfte. Auch sprach sie anfangs nur von einem Zimmer plus Bad im Dachgeschoss, bis Handwerg sie mit den – laut Bauamt – 50 Quadratmetern und mehreren Räumen konfrontierte. Zudem schätzte sie, die Mieterin im Erdgeschoss des Familienhauses sei vor acht bis zehn Jahren ausgezogen, obwohl deren Name noch immer am Klingelschild steht – angeblich aus Sicherheitsgründen.
Die Zeugin erklärte, die zusätzliche Fläche im Erdgeschoss und Teile des Dachgeschosses würden als Büroräume genutzt, ließ aber offen, ob auch Wohnzwecke eine Rolle spielten. Die Adresse auf der Internetseite der Kanzlei Alexander Ollendorff liegt tatsächlich in einem Wohngebiet nahe den Smolareks. Bei Google Maps ist jedoch noch ein Bürogebäude angegeben – erstaunlich viele Arbeitszimmer für einen Anwalt.
Dass sie selbst Immobilieneigentümerin ist oder zumindest war, bestritt sie zunächst, räumte später aber ein, eine mit der Wohnung der Familie Smolarek baugleiche Wohnung in derselben Anlage verkauft zu haben – kurz nachdem der Bruder des Käufers die Wohnung der Smolareks besichtigt hatte. Rechtlich spielt das keine Rolle: Da die anderen Immobilien nicht dem vermietenden Sohn gehören, muss er sie der Familie Smolarek nicht als Alternative anbieten. Ebenso wenig kann der Eigenbedarf auf der Grundlage angezweifelt werden, dass kürzlich eine andere, baugleiche Wohnung im Besitz seiner Eltern frei geworden ist.
Die widersprüchlichen Aussagen der Zeugin ließen ihren Mann, den Anwalt des Klägers, sichtlich erröten. Immer wieder unterbrach er sie und versuchte, ihre Aussagen zu beeinflussen – obwohl er während der Befragung zu schweigen hätte. Erst nach einer Beschwerde der Verteidigung griff die Richterin ein. Als er erneut gegen die Regeln verstieß, stellte er eine Suggestivfrage an seine Frau, um diese dann gleich selbst zu beantworten.
Keine Klarheit für Familie Smolarek
Für die Zuschauer:innen blieb unklar, ob die Klägerseite schlecht vorbereitet war, die Zeugin unter Druck stand oder womöglich nicht einmal von ihren Eigentumswohnungen wusste. Der Anwalt zeigte sich verärgert über die Anwesenheit des Berliner Mietervereins. Auch in Richtung der anderen Unterstützer:innen im Publikum schimpfte er, man würde ihn provozieren. Gegen die Berichterstattung im Mietermagazin mit Nennung seines Namens hatte er eine einstweilige Verfügung eingereicht. Doch vergangene Urteile zeigen: Über öffentliche Verhandlungen darf berichtet werden, und Anwälte können namentlich genannt werden.
Monika Smolarek bedauert, dass ein weiterer Gerichtstermin nötig ist: „Ich dachte, wir können das heute hier abschließen. Es belastet mich und meine Tochter sehr.“ Sie dankte den zahlreichen Unterstützer:innen und betonte, wie viel Kraft ihr der Zuspruch gebe. Um für mehr Öffentlichkeit zu sorgen, hat sie eine Petition gestartet. Auch beim nächsten Verhandlungstermin am 13. Mai 2025 um 11 Uhr vor dem Amtsgericht Charlottenburg hofft sie auf solidarische Prozessbegleitung. Wie viel diese bewirken kann, zeigt nicht zuletzt die Aufregung des Anwalts: Er kann eben nicht einfach eine Familie vor die Tür setzen, ohne dafür mit seinem Namen stehen zu müssen.
ml
16.04.2025