Die geplante Bürgergeldreform wird weitreichende Auswirkungen haben – für die Betroffenen, aber auch für den Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt. Ausgerechnet in einer Zeit, wo immer mehr Menschen finanziell zu kämpfen haben, will die schwarz-rote Koalition im Bund den Ärmsten der Armen in die Tasche greifen. Von einem Frontalangriff auf den Sozialstaat sprechen Armutsforscher. Seit Wochen wird Stimmung gemacht mit Berichten über Leistungsbeziehende, die keine Lust zum Arbeiten hätten und denen angeblich die Villa am Starnberger See vom Amt bezahlt wird. Solidarität, etwa mit den Geflüchteten aus der Ukraine, wird offenbar zu einem Luxus, den man sich nicht mehr leisten will.

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Fakt ist: Die Kosten für das Bürgergeld sind 2024 auf einen Höchststand von 46,9 Milliarden Euro geklettert. Das sind 4 Milliarden mehr als im Vorjahr. Das hat verschiedene Gründe, vor allem eine Anhebung des Regelsatzes – der aber nach Berechnungen des Paritätischen Gesamtverbandes immer noch fast 300 Euro unter dem Existenzminimum liegt und auch vom Bundesverfassungsgericht mehrfach als zu niedrig gerügt wurde. Zudem ist nach Einführung des Bürgergeldes 2023 die Anzahl der Haushalte gestiegen. Knapp 20 Milliarden Euro – also fast die Hälfte der Leistungen – entfallen auf die Kosten der Unterkunft, sprich Miete und Heizung. Hier liegen die Gründe für den Anstieg auf der Hand: Mieten und Energiekosten sind regelrecht explodiert. Die sogenannten Angemessenheitsgrenzen, also die Mietsätze, die das Jobcenter maximal übernimmt, unterscheiden sich je nach Kommune. In Berlin werden für einen Single-Haushalt derzeit maximal 449 Euro übernommen, bei einem Zweipersonenhaushalt sind es bis zu 543 Euro, jeweils bruttokalt.
Harte Sanktionen, mehr Pflichten
Das Bürgergeld, dass in der Zeit der Ampel-Koalition die Hartz-IV-Gesetzgebung aus der Ära Schröder ablöste, stand von Anfang an in der Kritik. Es sei zu großzügig und setze zu wenig Anreize, eine Arbeit aufzunehmen, sagt Kanzler Friedrich Merz. Die schwarz-rote Koalition will die Leistung nun zu einer „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umbauen. Die Eckpfeiler wurden im Koalitionsvertrag vereinbart: harte Sanktionen und stärkere Mitwirkungspflichten. „Wenn jemand nachweislich wiederholt einen zumutbaren Job nicht annimmt, obwohl er offenkundig arbeiten kann, dann bekommt er auch kein Bürgergeld mehr“, stellte Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär, klar. Was das an Einsparungen bringt, ist umstritten.

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Zum einen gibt es nur eine kleine Gruppe von „Totalverweigerern“, also Menschen, die nicht zu Terminen erscheinen und Jobangebote ablehnen. Schon jetzt ist in diesen Fällen eine Kürzung der Leistungen möglich. Zudem – und das wird in der Debatte oft vergessen – stehen von den insgesamt 5,4 Millionen Menschen mit Bürgergeldbezug viele dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung. Kinder, Kranke und Behinderte machen 1,5 Millionen aus. Von den verbleibenden 3,9 Millionen theoretisch Erwerbsfähigen sind 20 Prozent Aufstocker, das heißt, sie haben einen Job, bekommen aber ergänzend Bürgergeld, weil das, was sie verdienen, nicht zum Leben reicht. Weitere 30 Prozent stehen dem Arbeitsmarkt vorübergehend nicht zur Verfügung, weil sie an Weiterbildungen teilnehmen oder in 1-Euro-Jobs beschäftigt sind. Und selbst von den dann noch verbleibenden 1,9 Millionen Menschen hat ein großer Teil sogenannte Vermittlungshemmnisse, etwa hohes Alter, unzureichende Sprachkenntnisse oder muss ein Kind unter drei Jahren betreuen. Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach entschieden, dass eine komplette Streichung aller Leistungen verfassungswidrig ist. Das Recht auf eine menschenwürdige Grundsicherung gilt auch für Totalverweigerer.
Wie viele sind vermittelbar und arbeitsfähig?
Unbestritten ist: Es gibt Missbrauch. Doch mit schärferen Sanktionen trifft man nicht diejenigen, die sich durch das System mogeln, sondern alle. Also auch die Alleinerziehende, die ihr krankes Kind zum Arzt bringen musste und darüber vergessen hat, den Termin im Jobcenter abzusagen. Weitere Einsparungen verspricht sich die Regierung, indem sie die Geflüchteten aus der Ukraine vom Bürgergeld ausschließt. Kanzler Merz wollte ihnen ursprünglich sämtliche Leistungen streichen, was allerdings einen Aufschrei der Empörung ausgelöst hat, auch in den Reihen der SPD. Nun steht zur Diskussion, dass neu (seit dem 1. April) Eingereiste die (wesentlich niedrigeren) Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.

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Als zweite große Einsparmöglichkeit hat Merz die Kosten der Unterkunft im Visier, wie er in einem Interview äußerte: Es gebe Fälle, wo „Luxusmieten“ von bis zu 20 Euro pro Quadratmeter vom Staat bezahlt würden. Anfang August holte er zu einem neuen Paukenschlag aus und brachte bundesweit einheitliche Pauschalen für die Übernahme der Wohnkosten ins Spiel. Das würde bedeuten, dass in München oder Hamburg die gleiche Höchstmiete gilt wie in einem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern. Außerdem soll die bislang geltende einjährige Karenzzeit entfallen: Bisher wird im ersten Jahr des Leistungsbezugs die tatsächliche Miete (ohne Heizkosten) übernommen, auch wenn sie die Angemessenheitsgrenze überschreitet. Das soll den Betroffenen zum einen die Möglichkeit geben, sich auf die Jobsuche zu konzentrieren, zum anderen weiß man, dass es unrealistisch ist, von einem Monat zum anderen eine günstigere Wohnung zu finden. Ein Teil der derzeit durch die Medien geisternden Geschichten von Singles, die auf Kosten des Amts in einer 100 Quadratmeter großen Wohnung leben, ist mit dieser Ausnahme zu erklären. Ansonsten nennt das Gesetz klar definierte Härtefälle, bei denen eine Überschreitung der Höchstsätze um 10 oder 20 Prozent akzeptiert wird – etwa bei über 60-Jährigen, bei schwerer Krankheit oder bei Familien, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Schließlich macht es keinen Sinn, die verwitwete Rentnerin zum Umzug zu zwingen, wenn die neue, kleinere Wohnung genauso viel kosten würde wie die langjährige Familienwohnung.

Julian Hölzel, Rechtsanwalt
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Von einer zu großzügigen Handhabung dieser Regelung kann nach Erfahrung von Beratungsstellen keine Rede sein. Im Gegenteil: Häufig würden die Härtegründe nicht ausreichend geprüft, so Michael Breitkopf von der Sozialberatung Friedrichshain. Wer sich vor dem Sozialgericht dagegen wehrt, bekommt nicht selten recht, erklärt Rechtsanwalt Julian Hölzel, der im Auftrag des Berliner Mietervereins eine Sozialrechtsberatung durchführt. Häufig wird dann entschieden, dass die tatsächlichen Wohnkosten übernommen werden müssen. Die abstrakten Richtwerte der AV (Ausführungsvorschrift) Wohnen in Berlin werden vom Gericht ohnehin als unbeachtlich eingestuft. Die AV Wohnen sei kein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen, urteilten mehrere Instanzen, zuletzt das Bundessozialgericht (BSG vom 3. September 2020 – B 14 37/19). Seitdem werden die (höheren) Werte der Wohngeld-Tabelle plus ein Aufschlag von zehn Prozent als Grundlage genommen. So kommt man zum Beispiel bei einem Einpersonen-Haushalt auf eine Obergrenze von 562 Euro bruttokalt. Das Problem, so Hölzel: Viele Bürgergeld-Beziehende haben nicht die Kraft oder die Ressourcen, vor Gericht zu ziehen.
Die „Wohnkosten-Lücke“ wird größer
Die Folge: Immer mehr Menschen müssen einen Teil der Miete aus eigener Tasche zahlen. 2024 waren das 12,6 Prozent aller Bürgergeld-Haushalte – durchschnittlich 116,17 Euro mussten sie dafür aufbringen. Bei der Gruppe der Alleinerziehenden waren es sogar 13,6 Prozent mit durchschnittlich 130,95 Euro. Diese „Wohnkostenlücke“ wird von Jahr zu Jahr größer. „Die Menschen werden damit systematisch in die Verschuldung bis hin zur Zwangsräumung getrieben“, sagt Breitkopf. Wenn es nun künftig auch noch möglich sein soll, die Kosten der Unterkunft komplett zu streichen, werden von staatlicher Seite Obdachlose produziert – die dann oft zu Tagessätzen von 70 Euro und mehr, wegen fehlender anderer Möglichkeiten in Pensionen untergebracht werden müssen. Denn die Kommunen sind verpflichtet, Wohnungslosen eine Unterkunft zu stellen.

Bärbel Bas, Bundesarbeitsministerin
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Die SPD-Vorsitzende und Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) machte Mitte Mai klar, dass dies keine Lösung ist. Denn neben deren wirtschaftlicher Unsinnigkeit – man streicht die Kosten der Unterkunft und finanziert den wesentlich teureren Pensions-Aufenthalt – gibt es auch einen klaren juristischen Vorbehalt. Bärbel Bas: „Das Existenzminimum muss gesichert werden – das sagen die Gerichte.“
Was folgt daraus? Gibt es andere Möglichkeiten, Kosten einzusparen? Der Berliner Mieterverein (BMV) fordert seit langem mietpreisrechtliche Regularien, um den ungebremsten Höhenflug der Mieten zu stoppen.
Mietpreisregulierung statt Subjektförderung
Es sei absurd, so Ulrike Hamann-Onnertz von der BMV-Geschäftsführung, dass der Staat immense Summen ausgibt, um die hohen Mieten der Immobilienunternehmen zu zahlen, statt endlich für wirksame Regularien zu sorgen und bezahlbare Wohnungen zu bauen. Eine Schärfung der Mietpreisbremse, ein bundesweiter Mietendeckel, eine Senkung der Kappungsgrenze bei Mieterhöhungen – all das würde allen Mietenden zugute kommen. „Solange der Wohnungsmarkt so unreguliert ist und solange man weiter auf die Subjektförderung setzt, werden die Kosten weiter steigen“, sagt Ulrike Hamann-Onnertz.

Ulrike Hamann-Onnertz, BMV-Geschäftsführung
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Ganz ähnlich sieht es der Deutsche Mieterbund (DMB). „Der Staat sollte Vermieter:innen endlich wirksame Grenzen setzen und für ausreichend bezahlbaren Wohnraum und angemessene Mieten sorgen“, so DMB-Präsidentin Melanie Weber-Moritz. Es sei keine Lösung, denjenigen die Gelder zu kürzen, die ohne staatliche Hilfe keine Bleibe finden. „Was wir brauchen, sind Investitionen in die Schaffung und den Erhalt bezahlbarer Wohnungen sowie eine scharfe Mietpreisbremse inklusive empfindlicher Geldbußen bei Verstößen, die Ahndung des Mietwuchers sowie einen Mietenstopp im Bestand.“

Melanie Weber-Moritz, DMB-Präsidentin
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Das Pferd werde von hinten aufgezäumt, sagt auch Matthias Bernt vom Leibniz-Institut für raumbezogene Sozialforschung. „Die Wohnkosten sind ja nicht deswegen gestiegen, weil alle dank wirtschaftlicher Entwicklung in Saus und Braus leben, sondern weil Investoren mit hohen Renditeerwartungen auf den Markt drängen und es gleichzeitig nicht genügend Sozialwohnungen gibt.“ Hier sei auch die Lösung des Problems zu suchen, betont der Wohnungsmarktforscher: „Auf Spargel kann ich verzichten, wenn er zu teuer geworden ist, auf die Wohnung nicht.“

Matthias Bernt, Leibniz-Institut
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Über Subjektförderung finanziere man hohe Mieten und unterstütze das Modell der Finanzinvestoren. Auch die Privatisierung hat nach Bernts Überzeugung wesentlich zu den Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt beigetragen. Unternehmen wie Adler und Vonovia haben vor Jahren billige Bestände aufgekauft und sie gezielt an Hartz-IV-Beziehende vermietet – exakt zum Höchstsatz der KdU. Damit, so Matthias Bernt, ließ sich eine auskömmliche Rendite erzielen: „Man hat eine Mieterschaft, die nicht aufmuckt und das Geld kommt – sozusagen mit Sicherheitsgarantie – vom Amt.“ „In dem Moment, wo der Markt anzog und die Wohnungen plötzlich heiß begehrt waren, hat man sie energetisch saniert und entsprechend teurer vermietet. „Hartz-IV-Geschäftsmodell“ nennt Bernt diese Praxis. Beispiel: die Otto-Suhr-Siedlung in Kreuzberg. Einst im kommunalen Bestand wurde Berlins ärmste Siedlung 2016 an die Deutsche Wohnen verkauft. Es bedurfte harter Auseinandersetzungen der dort Wohnenden mit ihrem Vermieter, um für die teure Modernisierung wenigstens eine teilweise Deckelung der Kosten zu erzielen.
Kommunen gezwungen, „Mondpreise“ zu zahlen
Nicht nur die Kosten der Unterkunft beim Bürgergeld, auch die Ausgaben zur Unterbringung Wohnungsloser oder Geflüchteter sind in die Höhe geschossen. Auch hier nutzen private Vermieter:innen die Notlage der Kommunen gnadenlos aus, kritisiert sogar der Ring Deutscher Makler (RDM) und gibt damit zu erkennen, dass auch das Wohnungsvermittlungsgewerbe die zunehmende Abzocke auf Kosten der Steuerzahler nicht länger hinnehmen will.

Axel Lipinski-Mießner, Geschäftsführer des Rings Deutscher Makler
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In einem Beitrag für „Das Grundeigentum“, Zeitschrift des Bundes der Berliner Haus- und Grundbesitzervereine e.V. und des RDM fordert Axel Lipinski-Mießner, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des RDM, eine Reform zur Anwendung der Mietpreisbremse auf Flüchtlingsunterkünfte. Bisher sind diese ausdrücklich von der Bremse ausgenommen. Das birgt das Risiko, so schreibt Lipinski-Mießner, dass „private Vermieter – insbesondere Immobilienfirmen, darunter auch ausländische Investmentgesellschaften – überhöhte Mieten verlangen“. So habe ein Immobilienmakler in einem Fall aus Elmshorn in Schleswig-Holstein dem Sozialamt eine Dreizimmerwohnung für 2100 Euro angeboten. Die ortsübliche Vergleichsmiete betrage etwa 600 Euro. Durch eine einfache Ergänzung im Gesetzestext, so schlägt Lipinski-Mießner vor, könne man diese enormen Kosten senken und „mehr Transparenz und Fairness auf dem Wohnungsmarkt“ gewährleisten.“ Sebastian Bartels von der BMV-Geschäftsführung kommentiert: „Ein sehr guter Vorschlag.“ Immer häufiger würden „Mondpreise“ verlangt. Die Kommunen sind mangels Alternative in der Zwangslage, diese auch bezahlen zu müssen.

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Die Bürgergeldreform soll noch im Herbst beschlossen werden, zumindest was den Part mit den schärferen Sanktionen betrifft. Die geplanten Änderungen bei den Kosten der Unterkunft sollen erst 2026 kommen, denn hier muss der Bundesrat zustimmen. Bleibt abzuwarten, inwieweit die SPD das Schlimmste verhindern kann – und welche Maßnahmen ohnehin von den Gerichten kassiert werden. „Man bekämpft die Armen, nicht die Armut“ – besser als mit diesem Kommentar vom Armutsforscher Christoph Butterwegge kann man den beabsichtigten dramatischen Kahlschlag nicht beschreiben.
Birgit Leiß
Hartz IV? Grundsicherung? Sozialhilfe?
Dass es einen Rechtsanspruch auf Hilfe in Notlagen gab, wurde erstmals 1969 mit der Einführung des Bundessozialhilfegesetzes unter der sozialliberalen Koalition festgeschrieben. Lange Zeit galt: Wer arbeitslos wurde und vorher sozialpflichtig beschäftigt war, bekommt Arbeitslosengeld, alle anderen Sozialhilfe. Mit der Hartz-IV-Reform 2005 wurde beides zusammengelegt. Wer seine Arbeit verlor, rutschte nach einem Jahr in das sogenannte Arbeitslosengeld II, umgangssprachlich auch Hartz IV genannt. Die Reform war zentraler Bestandteil der von dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) initiierten „Agenda 2010“. Der Namenspate des Gesetzes war Peter Hartz, ein Ex-Volkswagen-Manager, unter dessen Leitung eine Kommission die neuen Regelungen erarbeitete. Mit Hartz IV – die IV bezeichnet die vierte Stufe des Reformgesetzes – wurde der Druck auf Arbeitslose erheblich erhöht.
„Fordern und Fördern“ war die Devise. Wer sich nicht nachweislich um Arbeit bemühte, konnte mit Sanktionen, sprich Kürzung der Leistungen, bestraft werden. Die Miete wurde erstmals bis zu einer definierten Angemessenheitsgrenze übernommen. Vorher gab es eine Pauschale für den gesamten Lebensunterhalt. Voraussetzung für den Bezug von Hartz IV war die körperliche Leistungsfähigkeit, mindestens drei Stunden am Tag arbeiten zu können.

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Als zweites Novum gab es die Grundsicherung im Alter. Sie ist für diejenigen bestimmt, deren Altersrente nicht reicht oder die eine Erwerbsminderung haben. Wer weder Hartz IV noch die Grundsicherung im Alter bekommt und seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen bestreiten kann, hat Anspruch auf Sozialhilfe („Hilfe zum Lebensunterhalt“). Für die Wohnkosten gelten bei Grundsicherung und Sozialhilfe ebenfalls die AV („Ausführungsvorschriften“) Wohnen mit ihren Angemessenheitsgrenzen.
Der Wechsel von Hartz IV hin zum Bürgergeld gilt als eine der größten Sozialreformen der letzten Jahrzehnte. Eingeführt wurde es von der Ampel-Koalition unter Bundeskanzler Olaf Scholz zum 1. Januar 2023. Die wesentlichen Änderungen: eine Anhebung der Regelsätze, einen höheren Freibetrag für das Vermögen und die Einführung einer einjährigen Karenzzeit für die Mietübernahme. Neuen Bürgergeld-Beziehenden wird damit zwölf Monate lang ohne weitere Prüfung die tatsächliche Miete bezahlt. Erst danach fordert das Jobcenter zur Kostensenkung auf, wenn die Miete den Höchstsatz überschreitet.
Ursprünglich sollte es außerdem weniger Druck auf Arbeitssuchende geben. Doch nach anhaltender Kritik wurden die Sanktionsmöglichkeiten verschärft. Seit März 2024 gilt: Wenn jemand die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit verweigert, kann das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett gestrichen werden.
Bürgergeld ist beim Jobcenter zu beantragen, Sozialhilfe sowie die Grundsicherung im Alter beim Sozialamt.
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Verschuldung und finanzielle Not gehören zum Alltag
„Wie geht es den Menschen im Bürgergeldbezug?“ Dieser Frage geht eine Studie des Vereins „Sanktionsfrei e.V.“ nach und lässt dabei die Betroffenen selber zu Wort kommen. 1014 Personen wurden für die im Juni 2025 veröffentlichte Studie befragt – mit zum Teil erschreckenden Ergebnissen. Die öffentliche Debatte mit den vielen Klischees und Stigmatisierungen geht an den Betroffenen nicht spurlos vorüber, so Autorin Gesine Höltmann. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Sanktionsfrei und Gastwissenschaftlerin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). So schämen sich 42 Prozent der Befragten dafür, dass sie Bürgergeld beziehen. Nur 12 Prozent fühlen sich zur Gesellschaft zugehörig. 72 Prozent sagen, dass der monatliche Regelsatz von 563 Euro nicht ausreicht, um ein würdevolles Leben zu führen. Schon eine hohe Stromnachzahlung bringt die Menschen in existenzielle Nöte. 28 Prozent geben an, sich verschulden zu müssen, um das tägliche Leben bewältigen zu können. 72 Prozent haben Angst vor weiteren Verschärfungen, insbesondere der Möglichkeit eines vollständigen Leistungsentzugs. 28 Prozent machen sich Sorgen, obdachlos zu werden.
Und so würden denn auch gerne drei Viertel vom Bürgergeld unabhängig werden. Allerdings: Nur 26 Prozent sind zuversichtlich, dass das gelingen kann.
Eine Zahl sollte uns allen zu denken geben: 82 Prozent sagen: Vielen Menschen ist gar nicht klar, wie schnell sie selbst ins Bürgergeld rutschen und auf Leistungen angewiesen sein können.
bl
sanktionsfrei.de/studie25
27.08.2025




