Der Berliner Wohnungsmarkt ist hart umkämpft. Mara und ihr Mitbewohner Linus erleben seit Monaten die Abgründe: Verdrängung, Einschüchterung und rechtliche Grauzonen. Ihre Geschichte steht stellvertretend für den Kampf vieler Mieter:innen und ermutigt, Unterstützung zu suchen und für die eigenen Rechte einzutreten.
2018 zieht Mara in eine WG in Prenzlauer Berg. Alles scheint perfekt: ein unbefristeter Mietvertrag für ein Zimmer in einer Dreier-WG, 400 Euro warm, eine Hausverwaltung, die sich sozial und fortschrittlich zeigt und deren Geschäftsführer beim Abschluss des Mietvertrags betont, wie wichtig ihm gerechtes Wohnen sei. Rückblickend sagt Mara, sie hätte damals schon ahnen können, dass die schöne Fassade bröckeln würde. Dass es sich lediglich um einen Untermietvertrag handelte, fiel ihr damals nicht auf – das Verwaltungsunternehmen war nicht Eigentümer der Wohnung, sondern selbst nur gewerblicher Mieter. Mara wurde beauftragt, die schriftliche Zustimmung zum Einzug künftiger Mitbewohner:innen einzuholen.
1. Kapitel: Vom Ideal zum Geschäft
Anfangs läuft alles gut. Mara und ihre beiden Mitbewohner genießen das WG-Leben. Doch dann ändert sich erst der Name der Verwaltung, dann auch das Geschäftsmodell: Statt dauerhafter Zimmerüberlassung setzt das Unternehmen nun auf kurzfristige Hostel-Vermietung. Mit einem neuen Geschäftsführer, der zuvor Mitarbeiter in der ehemaligen Verwaltung war, übernimmt die Verwaltung die Rolle des gewerblichen Zwischenmieters.
Ein lukratives Geschäftsmodell: Mehrere Einzeleigentümer:innen der Wohnungen im Haus im beliebten Stadtteil Prenzlauer Berg haben laut Nachbar:innen diese Verwaltung beauftragt, um maximale Profite zu erzielen. Viele der Eigentümer:innen, darunter auch bekannte Persönlichkeiten, wohnen nicht selbst in den Wohnungen, wie Mieter:innen berichten. So gehört die Wohnung von Mara und Linus einem Herrn aus München. Bemerkenswert ist, dass dieselbe Anwaltskanzlei sowohl für die Interessen des Eigentümers als auch des gewerblichen Zwischenmieters (Verwaltung) in der Beratungspraxis des BMV auftritt.
Maras WG bleibt von den Entwicklungen zunächst unberührt. Erst als ihr bester Freund Anfang 2024 aus der Wohnung auszieht und sie mit ihrem verbleibenden Mitbewohner und Partner das leerstehende Zimmer in der Wohnung anmieten möchte, beginnt das Drama. Linus, der erst 2023 eingezogen ist, hat lediglich einen befristeten Mietvertrag bis Oktober 2024. Die beiden bitten die Verwaltung mehrfach, die Wohnung dauerhaft zu zweit mieten zu dürfen. Doch die Antworten bleiben vage: Mal heißt es, das Zimmer solle leer bleiben, mal wird angedeutet, dass die neue Verwaltung aus dem Vertrag aussteige und der Eigentümer darüber entscheide, ob er sie als langfristige Mieter:innen übernimmt. Die Unsicherheit wächst.
2. Kapitel: Ein Eigentümer mit unklaren Absichten
Im Mai 2024 meldet sich der Eigentümer überraschend und kündigt eine Wohnungsbesichtigung an. Mara und Linus hoffen auf ein klärendes Gespräch und stimmen zu. Doch der Termin verläuft anders als erwartet: Auf die Frage, ob die Wohnung verkauft werden solle, weicht der Eigentümer aus, deutet es jedoch an. Wenig später erscheint an einem Sonntag ein kurz zuvor angekündigter Fotograf, um die Wohnung für Verkaufszwecke abzulichten.
Daraufhin meldet sich eine Maklerfirma bei den beiden. Zeitgleich erfahren sie, dass eine benachbarte Wohnung desselben Eigentümers bereits zum Verkauf steht. Dort hatten alle Mieter:innen befristete Verträge und waren zum Auszug gedrängt worden. Die Wohnung steht inzwischen leer.
3. Kapitel: Einschüchterung und Druck
Im Herbst 2024 spitzt sich die Lage zu. Der Geschäftsführer der Verwaltung bittet Mara und Linus um ein Gespräch. Die beiden Mieter:innen stimmen zu und bringen einen Freund als Zeugen mit. Im Gespräch zeigt sich der Geschäftsführer erstaunt über Maras unbefristeten Mietvertrag, bleibt aber dabei: Sie könnten dort nicht dauerhaft wohnen. Er bietet ihnen sechs Monate mietfreies Wohnen an, wenn sie danach ausziehen. Mara und Linus lehnen ab, woraufhin er andeutet, dass dann eben Menschen in das leerstehende Zimmer einziehen, die „Ärger machen“.
Der Verwalter lässt nicht locker. In den folgenden Wochen drängt er per E-Mail wiederholt auf einen Auszug und unterbreitet verschiedene Angebote – ohne Erfolg, da alle Angebote den Auszug von Mara und Linus als Voraussetzung haben.
Kurz darauf stehen drei Männer unangekündigt vor der Tür, begleitet von einem Handwerker, der Zugang zur Wohnung verlangt. Mara weigert sich, ohne Vorankündigung die Tür zu öffnen. Die Situation erscheint ihr sehr bedrohlich, zumal der Handwerker erklärt, er habe einen Schlüssel und könne sich selbst Zutritt verschaffen. Erst als eine Nachbarin zu Hilfe kommt und Mara per Videoaufnahme den Männern einen Blick in das ungenutzte Zimmer ermöglicht, zieht die Gruppe ab. Später erfahren Mara und Linus, dass die drei Männer als Zwischenmieter in das Zimmer einziehen sollten.
4. Kapitel: Ein Spiel mit rechtlichen Grauzonen
Wenig später drängen die Verwaltung und der Eigentümer darauf, das Zimmer freizugeben und gewähren ohne weitere Absprache drei anderen – Mara und Linus unbekannten – Männern mit einem Schlüssel Zugang zu dem Zimmer. Die neuen Mitbewohner, zwei aus der Ukraine und einer aus Polen, erweisen sich als freundlich. Doch Sprachbarrieren und die nun beengte Wohnsituation belasten alle. Die Wohnung hat nur eine Küche und ein Bad, was das Zusammenleben zusätzlich erschwert. Der Eigentümer drängt weiterhin auf die Zustimmung der Mieter:innen: Um Schadensersatzforderungen zu vermeiden, stimmen Mara und Linus schließlich dem Einzug dieser drei Männer zu. Rund um Weihnachten ziehen sie jedoch wieder aus und teilen mit, nicht zurückzukehren. Seitdem steht das Zimmer erneut leer.
In der Zwischenzeit erhalten Mara und Linus eine Eigenbedarfskündigung. Der Eigentümer gibt an, er und seine Tochter wollten dort ihren Lebensmittelpunkt einrichten. Ansonsten haben Mara und Linus weder von der Verwaltung noch vom Eigentümer etwas gehört. Die Unsicherheit bleibt: Wer hat inzwischen alles einen Schlüssel zur Wohnung? Was plant der Eigentümer als Nächstes? Wie lange können sie dort noch wohnen?
5. Kapitel: Rechte kennen und durchsetzen
Mara und Linus lassen sich nicht entmutigen. Sie werden im Mieterverein beraten, von einem Anwalt vertreten und vernetzen sich mit ihren Nachbar:innen. Durch ihre Kontakte erfahren sie von ähnlichen Fällen im Gebäude und in den Nachbarhäusern.
Ihr Rechtsanwalt, Georg Fähle, ist mit solchen Fällen häufig konfrontiert. Er betont, dass das Mietrecht solche neuen Umgehungsstrategien zwar nicht direkt vor Augen hat, dass es sich aber häufig lohnt, sich rechtlich zu wehren. Für befristete Mietverhältnisse, wie das von Linus, gilt beispielsweise in jedem Fall, dass die Befristung einen nachvollziehbaren Grund haben und formale Anforderungen erfüllen muss – andernfalls ist sie ungültig. Solche Informationen sind für Mieter:innen entscheidend, um sich gegen unrechtmäßige Forderungen zur Wehr zu setzen.
Ein Appell an alle Mieter:innen
Mara und Linus ermutigen alle, sich bei Problemen rechtzeitig Hilfe zu holen, etwa bei Mietrechtsorganisationen. Nur wer seine Rechte kennt, kann sie auch durchsetzen und sein Zuhause schützen. Ihr Fall zeigt, wie wichtig Solidarität, rechtlicher Beistand und ein starkes Netzwerk sind. Wer informiert ist und Unterstützung hat, kann selbst in scheinbar aussichtslosen Situationen etwas bewirken.
Wir wünschen Mara und Linus weiterhin viel Kraft auf ihrem Weg und hoffen, dass sie bald dauerhaft sicher und stressfrei wohnen können. Wir werden weiter berichten und unser Bestes tun, damit sie und andere Mieter:innen die Unterstützung erhalten, die sie brauchen.
vc
22.01.2025