Seit vier Jahren kämpft die Mietinitiative Bülow-Ost gegen undurchsichtige Nebenkostenabrechnungen und ein strukturelles Versagen im landeseigenen Wohnungsbestand. Im Interview erzählt die langjährige Mieterin Conny Voester von den alarmierenden Anfängen, dem fragwürdigen Geschäftsmodell der Gewobag und die Widerstände, auf die die Initiative trifft.
Frau Voester, was passiert im Quartier Bülow-Ost – und warum haben Sie sich als Initiative organisiert?
Alles fing Ende 2021 an, als wir eine Heizkostenabrechnung erhalten haben, die uns schockiert hat. Auf einmal stiegen die Kosten erheblich – ohne erkennbare Erklärung. Wir waren zunächst nur ein paar Einzelpersonen aus vier Häusern, die einfach wissen wollten, was dahinter steckt. Dass sich daraus eine Initiative entwickeln würde, die inzwischen über vier Jahre andauert – damit haben wir nicht gerechnet.
Ihr Verdacht richtet sich vor allem gegen die Tochterfirma Gewobag ED. Warum?
Hier liegt ein klassischer Fall von Insourcing vor. Die Gewobag lagert die Wärmelieferung an ihre eigene Tochter, die Gewobag Energie- und Dienstleistungsgesellschaft (ED), aus – und kauft sie dann per Contracting wieder zurück. Das erzeugt eine Blackbox.
Abgesehen davon, dass die Wärmerechnung ohnehin schon sehr unübersichtlich ist, sehen wir nur den Endpreis, den die Gewobag ED der Gewobag WB in Rechnung stellt. Tatsächliche Kosten: Fehlanzeige. Wenn dann plötzlich die Preise explodieren, entsteht der Eindruck, dass hier nicht wirtschaftlich, sondern strategisch kalkuliert wird.
Solche Praktiken kennt man eigentlich von Konzernen wie Vonovia & Co. Dieses Verhalten der Gewobag wirft einen Schatten auf die Gemeinwohlverpflichtung der landeseigenen Wohnungsunternehmen. Der Verdacht drängt sich auf: Finanziert Berlin seine Neubauten über unsere überhöhten Heizkosten?
Wann wurde klar, dass hier mehr im Argen liegt als eine fehlerhafte Abrechnung?
Aus den vier Häusern wurden schnell mehr. Als zu unserer ersten Mieter:innenversammlung im Februar 2023 rund 120 Menschen kamen – aus dem Kiez, aus Mieterbeiräten, sogar Abgeordnete –, da war allen klar: Das ist kein Einzelfall, sondern ein strukturelles Problem.
Heute sind wir eine gut organisierte Initiative mit einem festen Kern und einer Mailingliste mit etwa 120 Adressen. Wir arbeiten sachlich, dokumentieren Zustände, führen Zufriedenheitsbefragungen durch und vernetzen uns mit ähnlichen Gruppen in anderen Bezirken.
Viele würden sagen: Dafür gibt es doch Mieterbeiräte.
In der Theorie ja, in der Praxis gibt es strukturelle Grenzen: Mieterbeiräte unterliegen einer strengen Vertraulichkeitspflicht, die so weit geht, dass sie teils bereits öffentlich bekannte Informationen nicht weitergeben dürfen. Eine wirklich kritische Auseinandersetzung mit dem Geschäftsmodell des Unternehmens ist so kaum möglich.
Viele Beiratsmitglieder leisten großartige ehrenamtliche Arbeit, um im unmittelbaren Umfeld kleine Verbesserungen zu bewirken oder das nachbarschaftliche Miteinander zu gestalten. Ihre Aufgabe und oft auch ihr Selbstverständnis besteht darin, das nachbarschaftliche Miteinander zu gestalten – nicht die Finanzkonstrukte der Gewobag zu durchleuchten.
Wie haben Gewobag und Senat auf euren Druck reagiert?
Bei der ersten großen Mieter:innenversammlung hat die Gewobag zunächst versucht, Distanz aufzubauen. In einigen Hausfluren hingen danach Aushänge, in denen die Gewobag sich von der Mieter:innenversammlung distanzierte. Gleichzeitig wurde der Mieterbeirat unter Druck gesetzt. Die Botschaft: Bitte alles nur über offizielle Wege, Initiativen unerwünscht. Das klingt erst einmal formal richtig, aber in der Praxis bedeutet es: Wirkliche Kritik und Transparenz sollen klein gehalten werden.
Allen Hindernissen zum Trotz haben wir mehrere Gesprächsrunden mit Staatssekretär Stephan Machulik und der Gewobag erreicht. Anfangs sah es so aus, als würde der Senat sich wirklich um Aufklärung bemühen. Doch ein paar Monate später hieß es plötzlich: keine weiteren Gespräche, wenden Sie sich an die Mieterbeiräte – also genau jene Gremien, die weder Einblick in die Preisbildung der Gewobag noch Durchsetzungsmöglichkeiten haben.
Konnten Sie trotzdem mehr Einblick in die Abläufe bekommen?
Was das Thema Transparenz angeht, ist die Situation ehrlich gesagt skandalös. Die Gewobag behauptet zwar immer wieder, alles sei nachvollziehbar, verweigert aber jede wirkliche Offenlegung: Kein Einblick in die Bilanzen der Tochterfirma Gewobag ED. Keine Weitergabe energetischer Kennzahlen wie der Jahresnutzungsgrade der Heizungsanlagen. Keine Veröffentlichung der Ergebnisse ihrer eigenen Mieter:innenbefragung zur Zufriedenheit. Selbst im Abgeordnetenhaus hat der Senat auf konkrete Nachfragen teils ausweichend oder fehlerhaft geantwortet. Es wurde etwa behauptet, die ED-Jahresabschlüsse seien im Bundesanzeiger veröffentlicht – was zu diesem Zeitpunkt schlicht falsch war. Erst Wochen später wurden die Bilanzen 2023 und 2024 nicht im Bundesanzeiger, sondern im Unternehmensregister publiziert. Auch 2013 bis 2017 sind dort zu finden, es fehlen 2018 bis 2022.
Haben Sie rechtliche Schritte eingeleitet?
Ja. Ein Mieter, selbst Steuerberater, hat nach monatelanger erfolgloser Anwaltssuche die Klage eigenhändig verfasst und eingereicht – 17 Seiten. Noch bevor es zur Verhandlung kam, lenkte die Gewobag ein. Es hieß, der Rechtsstreit sei zu teuer und zu aufwendig. Der Mieter bekam exakt das erstattet, was er gefordert hatte – allerdings ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung.
Das zeigt: Sobald man das Konstrukt unabhängig prüfen lassen will, gerät es ins Wanken. Aber nicht alle von uns haben die Ressourcen, selbst zu klagen. Gerade deshalb brauchen wir strukturelle Kontrolle, nicht individuelle Einzelkämpfer.
Was muss jetzt passieren?
Unsere Forderungen sind klar:
Wir brauchen endlich transparente Heizkosten, das heißt eine vollständige Offenlegung der Preisbildung, aller Bilanzen der Gewobag ED und der energetischen Kennzahlen der Heizungsanlagen. Dazu gehört für uns auch die Rückerstattung überhöhter Kosten, insbesondere der Grundpreiserhöhung von 2020, die nach unserer Einschätzung nicht vertragskonform war. Ebenso fordern wir ein verlässliches Mängelmanagement mit festen Ansprechpartner:innen, klaren Reaktionszeiten und einer schnellen Beseitigung der teils gravierenden Schäden im Bestand.
Außerdem brauchen wir echte Beteiligung: keine Auslagerung an Beiräte ohne Durchsetzungsmöglichkeiten, sondern Gespräche und Entscheidungen auf Verwaltungsebene. So, wie es die eigene Beteiligungsleitlinie des Senats eigentlich vorsieht. Und schließlich setzen wir uns für einen verbindlichen Sanierungs- und Effizienzfahrplan ein, der die Veröffentlichung der Jahresnutzungsgrade und relevanter energetischer Daten umfasst.
Die Initiative geht also in die Verlängerung.
Ja, wir machen weiter und bleiben hartnäckig. Denn das Problem betrifft nicht nur die 1.500 Mieter:innen bei uns im Quartier Bülow-Ost, sondern steht exemplarisch für ein strukturelles Versagen im landeseigenen Wohnungsbestand. Genau hier muss die Politik Farbe bekennen, wie ernst sie Transparenz und Gemeinwohl tatsächlich meint. Wenn nicht hier, wo dann?
Danke für Ihre Zeit und viel Erfolg!
Das Interview führte Moritz Lang
18.12.2025




