Bei der Frage, ob die ungestörte Nachtruhe oder das Vergnügungsbedürfnis in Berlin höheres Gewicht haben, sorgt eine Gerichtsentscheidung für Aufsehen. Schluss mit der Außengastronomie um 22 Uhr muss nicht mehr sein – zumindest nicht überall.

Illustration: Lisa Smith
Ein aktueller Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin (Aktenzeichen VG 4 L 66/25 vom 8. Juli 2025) hat die Diskussion um die nächtliche Außengastronomie neu entfacht. In einem Eilverfahren entschied das Gericht, dass sie nach 22 Uhr in sogenannten Ausgehvierteln zulässig sein kann. Einzelne Beschwerden oder abstrakte Lärmprognosen genügen demnach nicht, um pauschale Sperrzeiten durchzusetzen: Die Eigenart eines Quartiers ist entscheidend. Wo seit langem ein dichtes Nebeneinander von Gastronomie und Wohnen besteht, ist der Aufenthalt von Gästen im Freien nach 22 Uhr Teil des städtischen Lebens und nicht automatisch ein unzulässiger Störfaktor. Die Folgen sind weitreichend. Eine starre Regel, wonach Außengastronomie grundsätzlich um 22 Uhr endet, könnte künftig rechtlich kaum haltbar sein.
Für Mieter:innen ergibt sich daraus eine zweigeteilte Perspektive: Einerseits könnten Kieze an Attraktivität gewinnen, andererseits steigt die Gefahr dauerhafter Lärmbelastung in genau jenen Vierteln, die offiziell als Ausgehmeilen eingestuft werden. Doch nicht alle Anwohner sehen die Außengastro kritisch. So kritisierte Tilmann Häußler vom „Bündnis Rosenthaler Vorstadt“ im Tagesspiegel, dass vor allem Zugezogene sich beschweren würden. Er begrüßt das Gerichtsurteil: „Es fühlt sich an wie: Das echte Berlin schlägt zurück, ihr Dorfkinder!“ Für die Bezirksämter bringt die Entscheidung allerdings Unsicherheit. Bislang basieren Genehmigungen auf Lärmprognosen, die individuell erstellt werden. Das führt zu einem Flickenteppich aus unterschiedlichen Regelungen in der Stadt. Mit der aktuellen Rechtsprechung wächst der Druck, einheitliche gesetzliche Leitlinien zu schaffen, die sowohl für Verwaltung als auch für Betroffene verbindlich sind. Auch für die Gastronomie ist das Urteil von großer Bedeutung. Der Außenbetrieb ist insbesondere in den Sommermonaten eine zentrale Einnahmequelle, die durch frühe Sperrzeiten erheblich eingeschränkt wird.
Problemlösung nach Berliner Art
Manche Gastronomen sehen die Situation auf Berliner Art entspannt: „Wir schauen immer, wie lange der Späti neben uns offen hat. Solange der keinen Ärger bekommt, kriegen wir auch keinen“, sagt der Wirt Oliver vom „Kleinod“ in Neukölln. Gleichzeitig bleibt für Anwohner:innen die Frage bestehen, wie ihr Anspruch auf erholsamen Schlaf gewahrt werden kann. Der Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen und Wohnqualität wird damit nicht aufgehoben, sondern auf eine neue Ebene verlagert.
Im anstehenden Hauptverfahren wird sich entscheiden, ob die im Eilverfahren getroffenen Feststellungen langfristig Bestand haben. Sollte das Gericht die Linie bestätigen, könnten weitere Betriebe in Ausgehvierteln längere Außenzeiten durchsetzen. Eine klare Definition, welche Quartiere tatsächlich als Ausgehviertel gelten, wäre daher dringend erforderlich, um Rechtssicherheit zu schaffen und das Risiko willkürlicher Entscheidungen zu verringern.
Stefan Klein
Zellermayers Coup
Dass Berlin keine Sperrstunde hat, hat die Stadt Heinz Zellermayer zu verdanken. Zellermayer war 1949 „Obermeister“ des Berliner Gastronomie- und Hotelierverbandes. Er besuchte mit einer Flasche Whisky im Gepäck den amerikanischen Stadtkommandanten Frank L. Howley und überzeugte ihn, die Sperrstunde für West-Berlin komplett aufzuheben. Vorangegangen war ein Wettrennen mit dem Ostteil der Stadt, bei dem die Sperrstunde in beiden Teilen nach und nach bis auf 24 Uhr verschoben wurde. Die Trinkfreudigen strömten immer in den Teil, in dem die Sperrstunde später war. Lange war dies der Osten, aber schließlich gelang es mit Zellermayers Coup und der Aufhebung, den endgültigen Ruf von West-Berlin als Metropole der Nachtschwärmer bis heute zu begründen.
stk
24.11.2025




