Der sogenannte Bau-Turbo ist Teil der Baugesetzbuch-Novelle und wird als das entscheidende Instrument gegen Wohnungsnot und Mietenkrise präsentiert. Es soll Genehmigungen beschleunigen und neues Wohnungsangebot schaffen – doch aus Sicht des Berliner Mietervereins ohne wirksame, nachhaltige und sozialverträgliche Wirkung.
Der Bau-Turbo ist im Kern eine Deregulierungsmaßnahme. Doch wer profitiert eigentlich vom beschleunigten Neubau? Ohne bezahlbare Mietobergrenzen oder verbindliche Quoten für Sozialwohnungen entstehen vor allem teure Wohnungen für einkommensstarke Haushalte – und nicht dringend benötigter Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten. Das verschärft soziale Ungleichheit.
Hinzu kommt: Wohnungskrise und Mietenkrise sind zwei unterschiedliche Probleme. Massenhafter und schneller Neubau senkt nicht automatisch die Mieten. Historisch gibt es dafür keinen Beleg. Dennoch verkauft die Bundesregierung den Bau-Turbo als zentrales Instrument gegen hohe Mieten. Dies lenkt den Blick von wirksameren Maßnahmen ab – etwa einem stärkeren Mietrecht, dauerhaften Preisbindungen für Sozialwohnungen oder einer aktiven Bodenpolitik.
Die Folge: Trotz hoher Bautätigkeit steigen die Mieten weiter. Neubauprojekte tragen zur Aufwertung der Quartiere und zu steigenden Verkehrswerten bei. Gleichzeitig sinkt dadurch der Anteil an bezahlbarem Wohnraum, und kleinere Handwerksbetriebe, soziale Einrichtungen, Läden sowie kulturelle Angebote geraten zunehmend unter Druck. Der Bau-Turbo beschleunigt also die Dynamik der Verdrängung.
Türöffner für Bodenspekulation?
Besonders problematisch am Bau-Turbo ist, dass er grundlegende Schutzmechanismen im Bau- und Planungsrecht aufweicht. Beteiligung der Öffentlichkeit, Abwägungen durch die Kommunen und Bezirke, Milieuschutzgebiete beziehungsweise Erhaltungssatzungen und wichtige Prüfungen zu Umwelt- und Klimafolgen verlieren an Gewicht. Das heißt im Umkehrschluss: Es wird einfacher für Investor:innen, schnell zu bauen – aber schwieriger für Kommunen, Bürger:innen oder Umweltverbände, Einfluss zu nehmen und Schutzrechte geltend zu machen.
Damit verschärft sich der Wettbewerb um Baurechte ohne soziale Leitplanken. Das Risiko ist groß, dass Grundstücke verstärkt zum Objekt spekulativer Geschäfte werden. Ihr Wert steigt bereits mit dem schnellen Baurecht, oft ohne dass gebaut wird. Investoren profitieren vom Weiterverkauf, während Bodenpreise einen immer größeren Teil der Baukosten ausmachen. Boden ist eine endliche Ressource – und darf nicht allein dem Markt überlassen werden.
Ökologische Risiken: Zersiedelung und Verlust grüner Flächen
Neben den sozialen Fragen wirft der Bau-Turbo auch erhebliche ökologische Probleme auf. Durch erleichterte Bauvorhaben an den Siedlungsrändern und auf bisher unbebauten Flächen droht eine neue Welle der Zersiedelung – mit Verlust wertvoller Grün- und Agrarflächen. Der NABU warnt vor gravierenden Folgen für Natur, Artenvielfalt und Landwirtschaft, die Deutsche Umwelthilfe gar vor einem „Boden- und Naturzerstörungsturbo“. Damit stehen zentrale Klimaziele auf dem Spiel: Deutschland will bis 2030 den Flächenverbrauch auf höchstens 30 Hektar pro Tag begrenzen und bis 2050 auf Netto-Null senken. Das heißt, die Flächeninanspruchnahme muss durch die Rückgewinnung gleich großer, entsiegelter Flächen ausgeglichen werden. Wenn der Bau-Turbo die von der Bundesregierung gewünschte Wirkung entfaltet, dass ein massenhafter Wohnungsbau in Gang kommt, rücken diese Zielmarken in weite Ferne.
Alternative: Umbau- und Innenentwicklung statt Neubau-Turbo
Statt immer mehr Neubauten auf der grünen Wiese freizugeben, braucht es eine klare Strategie für eine gemeinwohlorientierte Innenentwicklung: behutsame Nachverdichtung, Umbau von bestehenden Gebäuden und die Sanierung des Bestands. Architects for Future und die Bundesarchitektenkammer betonen, dass der Erhalt und Umbau bestehender Gebäude nicht nur Ressourcen schont, sondern auch die im Bestand gespeicherte graue Energie sichert. So lässt sich Klimaschutz verwirklichen, ohne soziale Verdrängung oder massive Infrastrukturkosten für die Kommunen.
Wir brauchen einen Umbau- und Sanierungsturbo!
Der Bau-Turbo löst die Wohnungsnot vermutlich nicht. Er verstärkt vielmehr die Risiken von Bodenspekulation, steigenden Mieten, sozialer Verdrängung und ökologischen Schäden. Gefragt ist eine Wohnungspolitik, die auf aktiver Bodenpolitik, klaren sozialen Vorgaben und einer konsequenten Förderung von Umbau und Innenentwicklung basiert. Boden muss dem Markt entzogen und kommunale Bodenfonds gestärkt werden – nur so bleibt Wohnen bezahlbar und das Menschenrecht auf Wohnen gesichert.
fs
KOMMENTAR
Wege aus der Abwärtsspirale
Seit Jahren wiederholen wir immer und immer dieselben Forderungen – und doch bleiben die städtischen Wohnungsmärkte hoch angespannt, heute sogar noch deutlich stärker als vor zehn Jahren, als die ersten krisenhaften Auswirkungen in Berlin spürbar wurden. Zwar hat sich seither einiges bewegt, doch von echten Reformen, geschweige denn einer ‚Zeitenwende‘ kann in der Wohnungspolitik nicht die Rede sein. Stattdessen debattiert die Koalition über Deregulierung beim Bauen. Es ist absurd, dass Forderungen inzwischen bescheidener ausfallen als früher – als hätte die Politik in den vergangenen Jahren nicht nur untätig verharrt, sondern offenkundig auch den Mut zu wirksamen Reformen verloren. Dabei liegen die Lösungen längst auf dem Tisch.
Wir rufen sie erneut in Erinnerung – für all jene, die seit Jahren mit uns für eine gerechtere
Wohnraumpolitik eintreten:
1. Notbremse für Bodenpreise und Mieten
Ein echter Neustart braucht zunächst ein rasch wirksames, auf mindestens sechs Jahre befristetes Instrument – etwa ein Gesetz zur Bodenpreisdämpfung und einen bundesweiten Mietendeckel –, um angespannten Märkten kurzfristig den Druck zu nehmen. Konzepte liegen bereits vor.
2. Mehr bezahlbares Bauland durch konsequente Innenentwicklung
Statt Neubau auf der grünen Wiese braucht es konsequente Innenentwicklung. Das Bündnis „Wohnen ist Menschenrecht“, ein Zusammenschluss aus Akademien, Kammern und Verbänden aus Architektur, Stadtplanung, Wohnungspolitik sowie Umwelt- und Naturschutz, hat auf dem Alternativen Wohnungsgipfel 2018 folgende Maßnahmen für eine soziale Wohnraumpolitik vorgeschlagen:
- Innenentwicklungsmaßnahme (IEM): Baugebot für ungenutzte innerstädtische Flächen, um Spekulation zu verhindern
- Reaktiviertes und erweitertes Vorkaufsrecht: Kommunen sollen Flächen zum sozial gebundenen Ertragswert erwerben können. Bodenfonds müssen gestärkt werden.
- Gerechte Besteuerung: Bodenwertgewinne ohne Ausnahmen wie Spekulationsfristen oder Share Deals besteuern
- Transparenz: öffentliches Bodenkataster gegen Spekulation, Geldwäsche und leistungslosen Wertzuwachs
Darüber hinaus soll der Bund nicht benötigte Grundstücke kostenfrei an kommunale oder regionale Bodenfonds für die Daseinsvorsorge übertragen, um die Schaffung bezahlbaren Wohnraums direkt zu unterstützen.
3. Reform der Wohnungsbauförderung
Geförderte Wohnungen dürfen nicht länger nach 15, 20 oder 30 Jahren aus der Bindung fallen. Stattdessen braucht es dauerhaft gesicherte Bestände – wie das Wiener Modell seit über 100 Jahren erfolgreich zeigt. Eine zentrale Maßnahme wäre die Unterfütterung der neuen Wohngemeinnützigkeit mit ausreichend finanziellen Mitteln. Doch trotz zugesagter Milliarden aus Bund und Ländern für den sozialen Wohnungsbau setzt die Bundesregierung nicht auf Nachhaltigkeit, also die dauerhafte Sicherung bezahlbarer Wohnungsbestände in der Wohngemeinnützigkeit. Wohnungen, die einmal gefördert und bezuschusst wurden, müssen langfristig für die Wohnraumversorgung zur Verfügung stehen. Neubau allein kann das Defizit von rund einer Million bezahlbarer Mietwohnungen nicht kurzfristig beheben. Auch Mietendeckel und ein Umwandlungsverbot reichen nicht aus. Nötig ist die Überführung möglichst vieler Bestandswohnungen in eine gemeinnützige Bewirtschaftung mit Renditebeschränkung und Mieter:innenmitbestimmung.
18.09.2025




