
Airbnb & Co. entziehen unseren Städten Wohnraum. Eine neue Studie zeigt: Die Algorithmen im digitalen Raum begünstigen vor allem professionelle Anbietende von Ferienwohnungen. Nur mit strenger Regulierung und digitaler Kontrolle lässt sich der Ausverkauf unserer Städte stoppen.
In Berlin, Barcelona, Lissabon oder London zeigt sich ein alarmierendes Muster: Wohnungen verschwinden vom regulären Mietmarkt und werden in gewinnbringende Ferienunterkünfte umgewandelt. Plattformen wie Airbnb und Booking.com agieren längst als digitale Immobilienmärkte – jenseits des Mietrechts. Das wirkt sich auf die soziale Struktur ganzer Kieze aus: Aus Nachbarschaften und Kiezkultur werden Hotspots für Tourismus, die Mieten im Umfeld steigen.
Was einst als Idee der Sharing Economy begann – das gelegentliche Vermieten eines freien Zimmers oder der eigenen Wohnung während des Urlaubs – ist heute hochprofessionell organisiert. In Berlin waren im Dezember 2023 in Berlin knapp 10.000 Airbnb-Angebote online, fast 50 Prozent davon von Anbietenden mit mehreren dauerhaft inserierten Objekten auf verschiedenen Plattformen. Laut der Studie „Selling out the city?“ der Autoren Stefan Kirchner (FAU Erlangen-Nürnberg) und Simon Pohl (TU Berlin) liegt dieser Anteil in London bereits bei über 60 Prozent, in San Francisco bei mehr als 64 Prozent.
In einer weiteren Untersuchung zeigen die beiden Autoren, dass professionelle Multi-Vermietende von den Plattform-Algorithmen profitieren. Die Studie „Algorithmic regulation across physical and digital spaces“ hat hierfür Daten aus den Jahren 2015 bis 2024 ausgewertet. Mehr Angebote bedeuten mehr Sichtbarkeit, höhere Buchungsraten – und damit auch steigende Einnahmen und Provisionen für die Plattformen. Für die Städte fatal: Digitale Algorithmen fördern systematisch die Kommerzialisierung und sind Teil des Geschäftsmodells.
| Stadt | Inserate gesamt (2023) | Anteil Amateure | Anteil Profis (Multi) | Kommentar |
| Amsterdam | 6.543 | 57,70% | 21,50% | Amateure dominieren – Kooperationsvereinbarung, strenge Regulierung und eigene Software wirken |
| Berlin | 9.657 | 28,10% | 49,70% | Professionelle Anbietende dominieren, besonders in Hotspots – Regulierung restriktiv, bislang Konfrontation mit Plattformen, keine eigene Scraping Software |
| London | 65.651 | 20,20% | 60,40% | Extrem kommerzialisiert – sehr schwache Regulierung |
| San Francisco | 7.351 | 15,00% | 64,30% | Fast ausschließlich professionelle Anbietende – keine Regulierung |
Amsterdam zeigt, wie Regulierung wirkt
Amsterdam stemmt sich erfolgreich gegen diese Entwicklung – hier stellen Amateurvermietende die Mehrheit. Die Stadt reguliert streng: Ganze Wohnungen dürfen maximal 30 Übernachtungen pro Jahr vermietet werden. Jede Vermietung muss den Behörden gemeldet und jedes Inserat mit einer Registrierungsnummer versehen werden. Wird das Limit überschritten oder fehlt die Nummer, löscht die Plattform das Inserat automatisch.
Während in Berlin nur Nebenwohnungen – also klassische Zweit- oder Eigentumswohnungen – mit einem Übernachtungslimit von 90 Tagen pro Jahr genehmigungsfähig sind, gibt es bei der Kurzzeitvermietung der Hauptwohnung lediglich die Beschränkung, maximal 49 Prozent der Wohnfläche zu vermieten. Ein Übernachtungslimit besteht nicht; die Vermietung ist lediglich anzeigepflichtig. Alle Inserate müssen über eine Registrierungsnummer verfügen, die die Bezirksämter auf Antrag beziehungsweise nach Anzeige vergeben.
Die Regelungen in Amsterdam basierten zunächst auf einer Kooperationsvereinbarung zwischen der Stadt und Airbnb. Heute überprüft eine städtische Scraping-Software über eine Schnittstelle zu den Registrierungsbehörden alle Angebote automatisch und identifiziert Verstöße. Plattformen, die ihre Pflichten missachten, riskieren hohe Bußgelder oder sogar ein Verbot. Grundlage sind nationale Gesetze, die Städte und Kommunen ermächtigen, Rechtsverordnungen zu erlassen und so ihre digitale Kontrolle zu stützen.
Auch in Berlin können die Bezirke hohe Bußgelder verhängen: Laut einer parlamentarischen Anfrage haben die Ämter seit 2022 mehr als 11 Millionen Euro festgesetzt, von denen sie bislang rund vier Millionen eingetrieben haben.
Berlin: Teilweise Entlastung, große Lücken
Die Untersuchungen von Kichner und Pohl zeigen, dass es Berlin gelungen ist, mit dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz die räumliche Konzentration von Airbnb-Angeboten in stark belasteten Vierteln wie dem Arkonakiez und Mauerpark, rund um den Boxhagener Platz sowie in Kreuzberg-Neukölln zu verringern. Gleichzeitig zeigt ihre Analyse, dass sich das Angebot zunehmend in andere innerstädtische Bereiche verlagert – etwa in den südlichen Ringbereich und die City West.
Während Amateuranbietende zunehmend aus dem Markt gedrängt werden, expandieren professionelle Anbietende verstärkt in (ehemalige) Wohnräume, die zuletzt einer gewerblichen Nutzung unterlagen. Der Umgang mit dieser Art von Räumen und ihrer (teil-)gewerblichen Nutzung ist problematisch, da sie aktuell nicht unter das Zweckentfremdungsverbot fallen. Laut Kirchner und Pohl betrifft dies ehemalige Arztpraxen, Ladengeschäfte aber auch Wohnungen, die als Büroräume genutzt wurden. Auf Plattformen wie Immobilienscout24 werden solche Objekte teilweise sogar explizit als potenziell über Airbnb vermietbar beworben.
Schon die rechtliche Möglichkeit, digitale Marktplätze mittels Scraping zu überwachen, sowie der absehbare EU-weit gesicherte Zugriff auf vollständige Plattformdaten haben dazu geführt, dass Airbnb zahlreiche Angebote entfernt hat.
In Berlin bleibt die Wirkung jedoch begrenzt: Es fehlt an ausreichend Personal in den Bezirksämtern, obwohl einige Bezirke sehr bemüht sind, Kurzzeitvermietungen genau zu beobachten. Der Anteil professioneller Anbietender bleibt hoch. Unklar ist zudem, ob Objekte mit gewerblicher Nutzung bei touristischer Nutzung der Status entzogen und die Wohnnutzung wiederhergestellt werden kann.
Die neue EU-Verordnung – personelle und finanzielle Ressourcen aus dem Bund?
Vieles spricht dafür, dass die positiven Erfahrungen aus Amsterdam das Konzept einer neuen europaweiten Regelung inspiriert haben. Die EU-Verordnung zur „Erhebung und den Austausch von Daten im Zusammenhang mit Dienstleistungen der kurzfristigen Vermietung von Unterkünften“ verpflichtet Plattformen, künftig relevante Daten wie Buchungsdauer, Profile der Anbietenden und Adressen bereitzustellen. Nationale und lokale Behörden könnten so illegale Vermietungen besser aufdecken. Die Umsetzung in nationales Recht muss bis zum Mai 2026 erfolgt sein. Das gelingt jedoch nur, wenn der Bund die finanziellen und personellen Ressourcen für eine digitale Infrastruktur bereitstellt. Das gilt auch für den Zugriff durch Bezirke, Kommunen und Landesbehörden. Dabei sollte das System auch über automatisierte Schnittstellen und Scraping-Funktionen verfügen, um die Inserate auf einschlägigen Plattformen fortlaufend und zuverlässig auszuwerten.
Auch Berlin soll erst 2026 eine EU-konforme Software erhalten, die anzeigt, wo und von welchen Anbietenden Ferienwohnungen vermietet werden. Bausenator Christian Gaebler (SPD) erklärte im April, man warte bewusst auf eine bundeseinheitliche Regelung: „Deshalb macht es auch wenig Sinn, vorher noch selbst irgendwelche Lösungen zu entwickeln.“
Fazit: Regulierung wird kommen
Die Debatte um Plattformen wie Airbnb, Booking.com und Expedia. sowie die Dominanz professioneller Anbietender trotz umfangreicher Maßnahmen zeigt: Ohne digitale Kontrolle, die Nachschärfung von Gesetzesgrundlagen und politischem Willen bleibt der Schutz von Wohnraum eine Illusion. Städte wie Amsterdam beweisen, was möglich ist. 2023 lag der Anteil professioneller Multi-Vermieter:innen in Amsterdam bei nur 21 Prozent, in Berlin waren es knapp 50 Prozent.
Simon Pohl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Technischen Universität Berlin, betont: „Die algorithmische Regulierung wird kommen, ob Berlin eigene Regeln in Bezug auf Lizenzquoten und Übernachtungslimits für eine Entlastung innerstädtischer Nachbarschaften auch für professionelle Anbietende fassen wird, ist allerdings offen. Ich persönlich finde es wichtig, strengere Regeln und mehr Anreize für langfristige Vermietungen zu schaffen“, sagt er. „Entscheidend ist, dass wir als Stadtgesellschaft aktiv gestalten, welche Nutzungsarten wir fördern oder begrenzen wollen.“
fs
„Selling out the City“
Die Studie „Selling out the city?“ von Kirchner & Pohl bietet erstmals eine systematische Auswertung von 45 Städten weltweit über acht Jahre (2016 bis 2023) zum Wandel der Airbnb-Vermietungen – mit Fokus auf die Kommerzialisierung (professionelle Anbieter:innen) vs. Sharing Economy (Amateure). Besonders untersuchte Städte: Amsterdam, Berlin, London und San Francisco.
19.08.2025




