
Der Runde Tisch Liegenschaftspolitik gilt bundesweit als Vorbild für transparente, gemeinwohlorientierte Grundstücksvergabe. Doch gekürzte Mittel und politisches Desinteresse bedrohen das Modell. Im Interview erklären der Architekt und strategische Entwicklungsberater Jürgen Zschornack und BMV-Geschäftsführerin Dr. Ulrike Hamann-Onnertz, warum Beteiligung kein Luxus ist – sondern das Fundament einer erfolgreichen Stadtentwicklung.
Warum gibt es den Runden Tisch Liegenschaftspolitik?
J. Zschornak: Der Runde Tisch Liegenschaftspolitik ist ein Ort, an dem politische und zivilgesellschaftliche Akteure zusammenkommen, um kontroverse Themen der Berliner Liegenschaftspolitik zu diskutieren. Gegründet wurde er Ende 2012 von der Initiative „StadtNeudenken“. Damals ging es darum, die bis dato vorherrschende Praxis der Grundstücksvergabe an den Höchstbietenden zu hinterfragen und gemeinwohlorientierte Alternativen zu entwickeln.
U. Hamann-Onnertz: Die Gründung war die zivilgesellschaftliche Reaktion auf die Verschleuderung öffentlicher Grundstücke. Statt Verkauf sollte die Grundstücksvergabe per Erbbaupacht zur Regel werden – damit Berlin seine Flächen behält und sozialverträglich entwickeln kann. Ziel ist es, bedarfsorientierten Wohnungsbau und soziale Infrastruktur wie Kitas oder Nachbarschaftszentren zu ermöglichen.
Die inhaltlichen Entscheidungen bei der Vergabe landeseigener Grundstücke trifft der Steuerungsausschuss Konzeptverfahren. Nach welchen Kriterien handelt der Ausschuss und wie bringt sich der Runde Tisch ein?
JZ: Der Steuerungsausschuss Konzeptverfahren ist ein staatliches, monatlich tagendes Gremium. Eine Bewertungsmatrix legt fest, welche sozialen, ökologischen oder städtebaulichen Kriterien bei der Ausschreibung zum Tragen kommen – etwa ob eine Kita entstehen soll oder wie wichtig vor Ort Grünflächen sind. Und es geht ausschließlich um die kleineren Grundstücke des Landes, nicht um große Flächen, auf denen ganze Quartiere neu entwickelt werden.
UHO: Um Transparenz herzustellen und zivilgesellschaftliche Expertise einzubringen, haben die Mitglieder des Runden Tischs Liegenschaftspolitik einen zivilgesellschaftlichen Beirat gegründet. Wir nehmen monatlich an den Sitzungen des Steuerungsausschusses teil und beraten aus unserer jeweiligen Expertise heraus bei der Vergabe kleinerer Liegenschaften. Unsere Aufgabe ist es, die Arbeit des Ausschusses gegenüber dem Runden Tisch zu vermitteln, transparent zu machen und mitzugestalten. Beispielsweise konnten wir in den letzten zwei Jahren an den Kriterien für die Bewertung der Konzepte mitarbeiten, die die Bewertungsmatrix bestimmen. Die Matrix selbst erstellt der Steuerungsausschuss, da gibt es im Nachhinein nur die Möglichkeit, Fragen zu stellen, warum welche Kriterien gewählt wurden.
Wie funktioniert die Bewertungsmatrix im Konzeptverfahren?
Die Bewertungsmatrix bildet das Herzstück des Konzeptverfahrens. Mit ihr soll der Steuerungsausschuss transparent und nachvollziehbar entscheiden, welches Nutzungskonzept für eine Liegenschaft den Zuschlag erhält. Sie funktioniert wie ein Baukastensystem: Für jedes Grundstück definiert die Verwaltung individuelle Kriterien – etwa soziale Infrastruktur, Familienfreundlichkeit oder klimafreundliche Bauweise.
Bieter:innen reichen ein Nutzungskonzept und ein Nachhaltigkeitskonzept ein. Die Jury bewertet jedes Kriterium, vergibt Punkte, multipliziert diese mit der festgelegten Gewichtung und addiert sie zur Gesamtpunktzahl. Das Konzept mit der höchsten Punktzahl gilt als „wirtschaftlichstes Angebot“ und erhält den Zuschlag – nicht etwa das mit dem höchsten finanziellen Gebot, wie früher üblich.
Auf diese Weise vergibt Berlin öffentliche Grundstücke gezielt nach dem lokalen Bedarf statt nach Marktlogik – ein klarer Paradigmenwechsel in der Liegenschaftspolitik.
Welche Bedeutung messen Sie dem Runden Tisch Liegenschaftspolitik bei?
UHO: Der Runde Tisch Liegenschaftspolitik ist zwar keine Institution, aber ein etablierter Ort für partizipative Stadtentwicklung. Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft sitzen dort gleichberechtigt zusammen. Der Beirat wird vom Runden Tisch gewählt und ist das verbindende Element zum Steuerungsausschuss Konzeptverfahren.
JZ: Wir nennen uns manchmal den „Link“ zwischen Steuerungsausschuss und Rundem Tisch. Es gibt am Runden Tisch keine formalen Abstimmungen mit bindender Wirkung, aber die Diskussionen haben Einfluss. In anderen Städten gibt es ähnliche Verfahren – aber Berlin ist mit diesem Modell Vorreiter. Es gilt bundesweit als Beispiel für progressive Governance.
Der Senat hat die Finanzierung der Koordinierungsstelle für die Jahre 2026 und 2027 gestrichen. Welche Auswirkungen hat diese Entscheidung auf den Runden Tisch Liegenschaftspolitik?
UHO: Die Auswirkungen sind immens. Ohne die Personalstelle kann der Runde Tisch nicht koordiniert und organisiert werden – keine Einladungen, keine Protokolle, keine Treffen, keine Vor- und Nachbereitung. Das ist ein direkter Angriff auf die zivilgesellschaftliche Beteiligung. Der Runde Tisch hat all die Jahre im Abgeordnetenhaus getagt, inzwischen bekommen wir dort keine Räume mehr. Zudem zeigt sich ein deutliches Desinteresse seitens der Politik. Immer seltener haben an den vergangenen Runden Tischen die Fachpolitiker:innen beider Koalitionsparteien teilgenommen – das wirkt wenig vertrauenserweckend auf die ehrenamtlichen Teilnehmenden.
JZ: Es ist ein Signal, dass partizipative Stadtentwicklung nicht gewollt ist. Wenn so ein Verhalten den Runden Tisch und den Beirat entmachtet, verliert Berlin ein wichtiges Steuerungsinstrument – und das Vertrauen vieler engagierter Akteure.
Wie erleben Sie die Arbeit im Beirat?
UHO: Wir sind keine zufällig zusammengesetzte Gruppe, sondern Fachleute: Architekt:innen, Stadtplaner:innen, Soziolog:innen. Ich bringe die Perspektive der Mieter:innen ein, vor allem derer mit geringem Einkommen. Zu Beginn galt es zwar, ein paar Hürden zu überwinden, etwa bei der Vertraulichkeitsklausel, die wir unterzeichnen sollten. Schließlich ist es Aufgabe des Beirats, für Transparenz zu sorgen. Inzwischen haben wir aber eine Lösung gefunden, die Einblick ermöglicht, ohne vertrauliche Details zu gefährden. Wir haben gute Arbeitsstrukturen aufgebaut, von denen nachfolgende Beiratsmitglieder profitieren können.
JZ: Mein Fokus liegt auf der Qualität des Vergabeverfahrens. Kleine Genossenschaften brauchen schnelle, verlässliche Planungsprozesse. Wenn Verfahren zu lange dauern oder politisch blockiert werden, geben einige Bieter:innen auf, weil die Kosten und der personelle Einsatz zu hoch werden – das ist mehrfach passiert. Der Beirat hilft, solche Risiken frühzeitig zu erkennen und zu benennen.
Was fordern Sie von der Politik, damit der Runde Tisch und der Beirat auch zukünftig ihre Aufgaben erfüllen können?
UHO: Gemeinwohlorientierte Liegenschaftspolitik darf nicht zur Randnotiz werden. Wir brauchen feste Strukturen, transparente Verfahren und eine gesicherte Finanzierung für die Koordination. Sonst droht das Ende eines erfolgreichen Modells.
JZ: Es ist höchste Zeit, dass die Politik versteht: Beteiligung ist kein Luxus, sondern ein Erfolgsfaktor. Der Runde Tisch und der Beirat sind keine Störfaktoren – sie sind das Rückgrat einer gemeinwohlorientierten Liegenschaftspolitik. Unsere Forderungen haben wir in einem Schreiben an den Finanzsenator formuliert und werden sie auch weiterhin mit Nachdruck vertreten.
Das Interview führte Franziska Schul
18.08.2025




