Mit außergewöhnlichen Entwürfen hat der Architekt Rainer Oefelein in den 1970er und 80er Jahren die Wettbewerbe für die Highdeck-, die Rollberg- und die Pfarrlandsiedlung gewonnen. Für die Umsetzung musste er aber aus den strengen Richtlinien für den Sozialen Wohnungsbau ausbrechen und bei den Wohnungsbaugesellschaften Widerstände überwinden.

Foto: raineroefelein.de
In West-Berlin waren größere Mietwohnanlagen ohne Fördergelder nicht finanzierbar. Wenn Architekt:innen keine 08/15-Sozialwohnungen entwerfen wollten, mussten sie bei der Wohnungsbaukreditanstalt (WBK) und beim Bauherrn viel Überzeugungsarbeit leisten und oft empfindliche Abstriche hinnehmen. Rainer Oefelein musste vor allem bei der Highdeck-Siedlung erleben, dass dadurch das neuartige Wohnkonzept nicht wie gewünscht aufging.
Rainer Oefelein, am 23. August 1935 in Dresden geboren, studierte Architektur in München und Berlin und arbeitete ab 1965 als wissenschaftlicher Assistent und Lehrbeauftragter an der Technischen Universität Berlin. Mit seinem Kollegen Bernhard Freund bildete er ab 1968 eine Architektengemeinschaft. Zwei Jahr später gewann das Duo den Wettbewerb für eine Großsiedlung am Ende der Sonnenallee mit einem revolutionären Konzept: den Highdecks.
Fußgänger- und Autoverkehr wurden konsequent auf verschiedenen Ebenen abgewickelt. Alle Häuser sind für Fußgänger auf einer aufgeständerten Hochebene erschlossen und über Brücken miteinander verbunden. Auf diesen begrünten Highdecks sollten sich nachbarschaftliche Begegnungen ergeben – ungestört von Autos, die ebenerdig fahren und unter den Decks parken. So wurden platzraubende Garagenanlagen oder teure Tiefgaragen eingespart. In den nur vier- bis sechsgeschossigen Häusern sollten rund 2000 Wohnungen entstehen. Das war ungewöhnlich, denn damals galten Hochhäuser noch als das Nonplusultra des Wohnungsbaus. „Uns lag daran, etwas anderes zu machen. Die Zeit war überreif dafür“, erklärte Rainer Oefelein rückblickend. Er habe mit Bernhard Freund „Pamphlete gegen die Hochhäuser verfasst“.
Bezahlt wurde nur, was der Bauherr schon kannte
Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften – hier die Stadt und Land und die WBK – galten nicht als experimentierfreudig, deshalb ist es erstaunlich, dass sie das neuartige Highdeck-Konzept umgesetzt haben. Allerdings mussten die Architekten empfindliche Einschnitte hinnehmen. Die vorgesehene Terrassierung der Häuser wurde gestrichen – nur das zurückgesetzte oberste Geschoss erinnert an den eigentlichen Plan. Grund dafür war das Fertigteil-Bausystem, das zum Einsatz kommen sollte. Die Fassaden-Bauteile waren auch nur in Waschbeton oder gekachelt verfügbar. „Es war schon ein ziemlicher Hammer, aufgrund dieser Einschränkungen die Fassaden einer so großen Siedlung nur mit Waschbeton zu gestalten“, erinnerte sich Oefelein später. Auch die Idee, die Wohnungsgrundrisse so zu gestalten, dass die Raumnutzung nicht vorbestimmt ist, sondern individuell gestaltet werden kann, wurde durch das Konstruktionssystem und die Förderbestimmungen verhindert. „Bezahlt wurde eben nur das, was der Bauherr schon kannte, wo er keine Risiken eingehen musste und was den wirtschaftlichen, politischen und technischen Vorgaben des Bauprojektes entsprach“, so Oefelein.

Foto: Sabine Mittermeier
Die Highdeck-Siedlung kostete schließlich 400 Millionen Mark und ist von 1975 bis 1981 gebaut worden. Die ersten Sozialmieter:innen konnten schon 1976 für 4,50 Mark pro Quadratmeter einziehen und haben sich wohlgefühlt. Für ihren Architekten ist die Siedlung trotz der vielen Abstriche „zufriedenstellend“ und „nicht unbedingt etwas, für das ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben muss“, so Oefelein 1987 in einem Interview.

Foto: Sabine Mittermeier
Beinahe zeitgleich, 1976 bis 1982, entstand nach den Plänen von Oefelein und Freund die Rollbergsiedlung. Es ist das Produkt einer radikalen Kahlschlagsanierung. Die Altbauten waren schlecht ausgestattet gewesen und galten nicht als erhaltungswürdig. Der Entwurf von Oefelein/Freund ließ nicht nur die Altbauten, sondern auch die Briesestraße und ein Teil der Kienitzer Straße aus dem Stadtplan verschwinden, griff aber die seinerzeit abgelehnte Blockstruktur wieder auf. Er sah fünf geschlossene Blöcke mit 700 Wohnungen vor. Die großen Innenhöfe sollten Ruhe bieten, die Straßenräume wurden zu Fußgängerzonen.
Ein Klingeltableau wie ein elektrischer Schaltplan
Auch in der Rollbergsiedlung war die Erschließung der Wohnhäuser ungewöhnlich. Zu den Wohnungen kommt man über umlaufende Gänge im ersten und vierten Stock. So gehen alle Wohnungen sowohl zur Straßen- als auch zur Hofseite. Für ortsfremde Besucher:innen ist das allerdings unübersichtlich: Das Klingeltableau gleicht einem komplizierten elektrischen Schaltplan. Das Wohnungsangebot ist für den sozialen Wohnungsbau vielfältig: Es gibt 28 verschiedene Typen, darunter viele Maisonetten.

Foto: Sabine Mittermeier
Einen ganz anderen Charakter hat die 1983 bis 1985 gebaute Pfarrlandsiedlung in Rudow. In freistehenden dreigeschossigen Häusern sind 476 Wohnungen entstanden. „Wir überlegten uns eine Form, wie man im Mietwohnungsbau an möglichst viele Wohnungen Gärten anbinden könnte“, erklärt Rainer Oefelein. Nicht nur die ebenerdigen Wohnungen bekamen einen Garten. Über eine Außentreppe an den Gebäudeecken erhielten auch die Apartments im ersten Stock einen Zugang zu einem eigenen Gärtchen. Auch hier gab es also eine ungewöhnliche Lösung unter den Bedingungen des sozialen Wohnungsbaus.
Mit einem Eigentums-Reihenhaus in der Lützowstraße leistete Oefelein schließlich auch einen Beitrag zur Internationalen Bauausstellung IBA 1987. In den 90er Jahren entstanden nach seinen Entwürfen Wohnhäuser am Nelly-Sachs-Park und an der Kastanienallee in Rosenthal. 1993 erhielt er eine Professur für Baukonstruktion an der Technischen Fachhochschule Berlin. Im Ruhestand widmete er sich der Erforschung des alten Pilgerwegs von Berlin nach Wilsnack. „Es gibt keinen Kirchturm in Brandenburg, den er nicht bestiegen hätte“, hieß es in einem Nachruf. Rainer Oefelein ist am 19. Januar 2011 in Kremmen gestorben.
Jens Sethmann
Was ist geblieben?

Die Rollberg- und die Highdeck-Siedlung gelten als soziale Problemviertel und haben deshalb seit 1999 ein Quartiersmanagement. Während die Rollbergsiedlung nach wie vor der Stadt und Land gehört, hat die Highdeck-Siedlung eine Privatisierungsodyssee hinter sich. Sie wurde 2002 an einen privaten Heuschreckenfonds verkauft und 2013 von der österreichischen Buwog erworben, die wiederum fünf Jahre später vom Konzern Vonovia geschluckt wurde. Um beim Senat Schönwetter für die geplante Fusion von Vonovia und Deutsche Wohnen zu machen, bot man 2021 dem Land Berlin die Highdeck-Siedlung zum Kauf an. Die landeseigene Howoge übernahm die Bestände, die im Laufe der Jahre einen großen Sanierungsbedarf angesammelt hatten. Wegen ihrer Beton-Optik wird die Siedlung als brutalistisch geschmäht, steht aber seit 2020 unter Denkmalschutz und wird auch gern als Filmkulisse verwendet. Zudem wird sie nach den Silvesterausschreitungen 2022 überregional als Symbol einer angeblich gescheiterten Berliner Integrationspolitik dämonisiert.
js
27.06.2025




