Etwa 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in Berlin entstehen im Gebäudesektor. Um die Klimaziele zu erreichen, muss dieser Wert drastisch sinken. Die kommunale Wärmewende ist ein wichtiger Hebel dafür. Sie setzt auf Energiekonzepte, die das Land und die Bezirke umsetzen können. Eine erste Übersicht über Begriffe, Lösungsansätze und bezirksbezogene Maßnahmen in Berlin.
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Der Umstieg von fossilen Energieträgern auf alternative und erneuerbare Energien beim Heizen – in der Fachwelt als Wärmewende bezeichnet – spielt eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels. Ziel im Gebäudesektor ist nicht nur die Herabsenkung des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen, sondern auch die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen wie Öl und Gas. In den Großstädten wird dieses Thema immer wichtiger, denn die Uhr tickt: Berlin hat den Anspruch, bis 2045 klimaneutral zu sein. Aus der Initiative für den Klimavolksentscheid kommt die Forderung, dieses Ziel bereits bis 2030 verpflichtend festzuschreiben.
Viele Mieter:innen begrüßen die Ziele der Wärmewende, sehen ihr dennoch skeptisch entgegen. Mit einem einfachen Anschluss der Gebäude an ein neues dekarbonisiertes Wärmenetz ist es meist nicht getan. Oft ist der Austausch der kompletten Heizungsanlage erforderlich. Eine solche Maßnahme zählt derzeit zu den Modernisierungsmaßnahmen – Eigentümer:innen können acht Prozent der Investition pro Jahr auf die Mieter:innen umlegen. Für letztere sind weitere Mietsteigerungen auf dem ohnehin angespannten Mietwohnungsmarkt allerdings nicht mehr tragbar.
Welche Möglichkeiten gibt es, um die Wärmewende sozialverträglich zu gestalten? Die Weiterentwicklung technologischer Lösungen ist ebenso unabdingbar wie politische Maßnahmen, die sicherstellen, dass die Wärmewende für alle Beteiligten dauerhaft sozialverträglich bleibt. Auf dieser Seite tragen wir in den kommenden Monaten fortlaufend aktuelle Entwicklungen zur Wärmewende zusammen und stellen Informationen für Mieter:innen bereit.
Für den Klimaschutz erlassene Gesetze
Es gibt Gesetze, Maßnahmen und Strategien, die das Land Berlin direkt erlassen oder realisiert hat, darüber hinaus bestimmen auch Gesetze und Richtlinien auf Bundes- oder EU-Ebene maßgeblich mit über den Klimaschutz im Gebäudesektor. Ein erster Überblick:
Berliner Ebene
Das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz (EWG Bln)
Im November 2020 hat der Berliner Senat das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz (EWG Bln) verabschiedet, das im September 2021 in Kraft getreten ist. Berlin hat sich darin selbst das Ziel gesetzt, bis 2045 klimaneutral zu werden und damit dem Pariser Klimaschutzabkommen Rechnung zu tragen. Das Gesetz sieht eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um mindestens 90 Prozent bis zum Jahr 2040 im Vergleich zum Jahr 1990 vor. Zu den geplanten Maßnahmen zählen
- die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien in der Stromversorgung,
- die Reduktion des Energieverbrauchs in Gebäuden durch energetische Sanierungsmaßnahmen,
- der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs,
- die Förderung der Elektromobilität sowie von klimafreundlichen Konsum- und Produktionsweisen,
- die Schaffung von Grünflächen
- und der Erhalt der Biodiversität in der Stadt.
Alle fünf Jahre will der Senat einen neuen Maßnahmenplan erstellen. Das Gesetz sieht auch die Einrichtung eines unabhängigen Klimabeirats vor, der die Umsetzung begleitet und regelmäßig Berichte erstellt.
Der Klima-Volksentscheid
Am 26. März 2023 findet der „Volksentscheid über ein klimaneutrales Berlin ab 2030“ statt. Initiator ist die Bürger:inneninitiative „Klimaneustart Berlin“. Die Initiative will das oben genannte Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz (EWG Bln) anpassen, weil es in der derzeitigen Fassung der Dringlichkeit nicht gerecht werde. Die Hauptforderung: Berlin soll nicht erst 2045, sondern bereits bis 2030 klimaneutral werden. Mit dieser Änderung bezieht sich die Initiative auch auf das Pariser Klimaschutzabkommen, das eine Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius vorsieht. Diese Marke hat bereits verheerende Auswirkungen auf das Klima, die Umwelt und letztlich alle Lebewesen auf der Erde. Laut dem Weltklimarat IPCC wird der kritische Wert von 1,5 Grad bei den derzeitigen Entwicklungen sehr wahrscheinlich schon um das Jahr 2030 erreicht – und damit zehn Jahre eher als frühere Berechnungen ergaben.
Die Initiative will dem rasanten Fortschreiten der Erderwärmung entschlossener entgegenwirken und verlangt unter anderem eine Verpflichtung zu notwendigen Modernisierungen im gesamten Berliner Gebäudebestand. Der Volksentscheid hat dabei die Sozialverträglichkeit im Blick: Um hohe Mietsteigerungen durch Modernisierungsumlagen zu vermeiden, sieht der Vorschlag zur Gesetzesreform eine Kompensation der Kosten durch den Landeshaushalt vor. Zudem soll die energetische Sanierung mit Maßnahmen gelingen, die warmmietenneutral wirken. Das heißt, Mieter:innen sollen möglichst nicht viel mehr zahlen, als sie künftig bei den Energiekosten einsparen.
Bundesebene
Das neue Berliner Gebäudeenergiegesetz (GEG)
Seit dem 1. November 2020 gibt es zudem ein neues Gesetz für die Energieeffizienz von Gebäuden. Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) ersetzt drei ältere Gesetze: das Energieeinsparungsgesetz (EnEG), die Energieeinsparverordnung (EnEV) und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG).
Das GEG legt ein einheitliches Regelwerk für alle Gebäude fest – egal ob neu oder alt. Es regelt die Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden, die Erstellung und Verwendung von Energieausweisen sowie an den Einsatz erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteversorgung.
GEG-Gesetzentwurf April 2023
Der Anfang April von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) sieht vor, dass ab 2024 neu eingebaute Heizungen zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssen. Diese Pflicht gilt nur für die Neuinstallation von Heizungsanlagen, Ausnahmen sind zum Beispiel bei Härtefällen möglich. Allerdings dürfen bestehende Öl- und Gasheizungen auch bisher schon nicht länger als 30 Jahre in Betrieb sein. Hinzu kommt eine neue zeitliche Obergrenze für das Heizen mit fossilen Brennstoffen: Nach dem 31. Dezember 2044 ist Heizen mit fossilem Erdgas nicht mehr zulässig.
Als Alternativen zu fossilen Energieträgern gelten laut Gesetzentwurf Wärmepumpen, Fernwärme, Pelletheizungen sowie Gasheizungen mit 65 Prozent Biogas. Das Wirtschaftsressort rechnet mit Verweis auf wissenschaftliche Gutachten über unsanierte Gebäude in Deutschland mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 45 Milliarden Euro bis 2028. Demgegenüber stünden Einsparungen bei den Brennstoffkosten in Höhe von 55 Milliarden Euro.
Eine Bewertung der Machbarkeit und der sozialen Auswirkungen ist aktuell noch nicht möglich, da Förderumfang und -berechtigungen erst in einer separaten Förderrichtlinie festgeschrieben werden sollen. Diese will die Bundesregierung laut Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) binnen zwei Wochen nachreichen.
EU-Ebene
EU-Gebäuderichtlinie
Seit 2021 arbeitet die Europäische Union an einer Neuerung der EU-Gebäuderichtlinie (EPBD). Das Ziel ist eine höhere Energieeffizienz und Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor, um die EU-Klimaziele für 2030 zu erreichen und zugleich Energiekosten und -abhängigkeit zu reduzieren. Zu einem Vorschlag der Kommission aus dem Jahr 2021 hatte der Rat der Europäischen Union im Oktober 2022 eine abgeschwächte Position formuliert. Im März 2023 verabschiedete das Europäische Parlament einen wiederum recht ambitionierten Vorschlag. Dieser gilt als Grundlage für die weiteren Verhandlungen zwischen Rat und Parlament im Trilog mit der Kommission.
Der Beschluss des Parlaments sieht unter anderem vor, dass ab 2028 alle Neubauten emissionsfrei sein müssen. Soweit technisch möglich und wirtschaftlich sowie finanziell machbar, sollen bis Ende 2028 alle neuen Wohngebäude mit Solaranlagen ausgestattet sein. Darüber hinaus soll die Installation von Solaranlagen bis Ende 2032 Bestandteil jeder größeren Gebäuderenovierung sein. Für die Gebäude in den schlechtesten Energieeffizienzklassen schreibt der Plan eine kontinuierliche Renovierung zur Effizienzsteigerung vor: Bis zum Jahr 2030 sollen alle Wohnhäuser mindestens die Energieeffizienzklasse E und bis 2033 mindestens die mittlere Energieeffizienzklasse D erreichen. Die konkreten Maßnahmen legen die Mitgliedsstaaten in nationalen Sanierungsplänen fest. Förderprogramme sollen die Kostenneutralität garantieren, finanzielle Anreize zur Renovierung besonders ineffizienter Gebäude schaffen und bedürftige Haushalte unterstützen.
Derzeitige Strategien und mögliche Erweiterungen
Neben den bereits erlassenen Gesetzen hat der Berliner Senat zahlreiche Strategien entwickelt und erste Maßnahmen umgesetzt, die Treibhausgasemissionen reduzieren und den Ausbau erneuerbarer Energien fördern sollen. Doch es gibt noch viel zu tun, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Wir werfen einen Blick auf den Status quo und mögliche Verbesserungsansätze.
Die Berliner Wärmewende-Strategie
Die Berliner Wärmewende-Strategie ist das Handlungskonzept des Berliner Senats, das hinter dem Energie- und Klimaschutzgesetz steht. Die bereits 2017 formulierte Strategie legt konkrete Maßnahmen fest, um den Anteil erneuerbarer Energien in der Wärmeversorgung Berlins zu erhöhen und den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Dazu zählen:
Quartierslösungen
In Berlin gibt es verschiedene Quartierslösungen zur kommunalen Wärmewende. Eine dieser Lösungen ist die Einführung von Quartierskonzepten, die die Energieversorgung und den Gebäudebestand pro Quartier berücksichtigen. Diese nutzen die Potenziale erneuerbarer Energien wie Photovoltaik, Solarthermie oder Geothermie, um das Quartier flächendeckend mit Wärme und Strom zu versorgen. Auch Effizienzmaßnahmen wie die Dämmung von Gebäuden oder die Installation von energieeffizienten Heizsystemen sind bereits in der Umsetzung.
Das Projekt „Vernetzte Energie im Quartier“ der Technologie Stiftung Berlin will vorbildliche Projekte stärker in die Fachöffentlichkeit tragen und ihren Beitrag zum Erreichen der Berliner Klimaziele verdeutlichen. Der 2020 veröffentlichte Bericht der Jahre 2017 bis 2019 hebt den positiven Wert der Bündelung einzelner Projekte durch Quartierslösungen hervor. In ihrer Analyse weisen die Verfasser:innen auch auf Faktoren hin, die die Umsetzung in den Berliner Bezirken hemmen, allen voran der starke Mangel an Fachkräften und Dienstleister:innen sowie die problematischen Rahmenbedingungen.
Förderprogramme
Berlin hat verschiedene Förderprogramme aufgelegt, um energetische Sanierungen und den Einsatz erneuerbarer Energien im Wärmesektor voranzutreiben und zu unterstützen. Hierzu zählt unter anderem das Programm „Energetische Stadtsanierung“. Es richtet sich an Wohnungsbauunternehmen, Immobilieneigentümer:innen und Wohnungseigentümergemeinschaften. Der „Klimaschutzfonds Berlin“ unterstützt Projekte und Maßnahmen, die zur Reduktion von CO2-Emissionen beitragen. Diese Förderung können private Haushalte, Unternehmen und Vereine beantragen. Dazu kommen Förderprogramme auf Bundesebene durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), die Antragsteller:innen mit den Landesförderungen kombinieren können. Theoretisch sind in Kombination Förderhöhen für ganzheitliche Sanierungen von maximal 60 Prozent möglich, was von Vorteil für Mieter:innen ist.
Es bleibt jedoch eine Herausforderung, die bestehenden Förderprogramme voll auszuschöpfen und sie den Bedürfnissen der unterschiedlichen Akteure entsprechend und fair zu gestalten.
Bürger:innenbeteiligung
Die Teilhabe der Bewohner:innen einer Stadt ist ein zentraler Bestandteil der kommunalen Wärmewende. Bürger:innen- und Stadtteilinitiativen bringen unterschiedlichste Perspektiven in die Diskussion ein und formulieren neue Lösungsansätze. Sie sind die Expert:innen vor Ort. Auch die Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen kann dazu beitragen, die Wärmewende voranzubringen und beispielsweise einem Fachkräftemangel aktiv entgegenzuwirken. Das hat auch die Politik erkannt, die Umsetzung ist aber noch stark ausbaufähig. Um Beteiligung zu ermöglichen, braucht es Räume, die möglichst viele Menschen erreichen. Dazu gehören niedrigschwellige Angebote direkt in den Kiezen, umgesetzt zum Beispiel durch kreative Ansätze wie Community Organizing.
Es gibt bereits einige Partizipationsangebote, darunter das Beteiligungsportal „meinBerlin“. Bürger:innen können hier an Online-Dialogen, Bürgerwerkstätten und öffentlichen Veranstaltungen zur Wärmewende teilnehmen und ihre Ideen einbringen. Dies nutzen jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit nur besonders interessierte Bürger:innen, da eine flächendeckende Bewerbung fehlt. Sprachbarrieren und technische Anforderungen erschweren den Zugang zusätzlich. Ein anderes Beispiel ist das Bürgerenergie-Netzwerk Berlin, das sich für die Förderung der Bürgerenergie und die Beteiligung von Bürger:innen an der Energiewende einsetzt. Es organisiert regelmäßig Workshops und Informationsveranstaltungen.
Öffentliche Gebäude als Vorreiter
Die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz hat erkannt, dass die öffentliche Hand und insbesondere der öffentliche Gebäudebestand eine wichtige Rolle für das Erreichen der Klimaziele spielen. Öffentliche Gebäude sollten Vorreiter sein und zeigen, wie eine klimafreundliche Wärmeversorgung umgesetzt werden muss. Die Senatsverwaltung hat zusammen mit den Bezirken und der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) ein Gesamtkonzept für Sanierungsziele festgelegt, das auch Kriterien für in Frage kommende Objekte umfasst und ein durch die BIM erstelltes Gebäudeportfolio hervorgebracht hat. Die anhand dessen erarbeiteten Sanierungsfahrpläne können Sie online abrufen.
Weitere und schnell umsetzbare Instrumente finden bislang wenig Beachtung. Die flächendeckende Installation von Solaranlagen auf den Dächern des kommunalen Gebäudebestandes oder die Dachbegrünung wären dafür Möglichkeiten.
Sozialverträgliches klimaneutrales Bauen
Ausbau von Wärmenetzen
Verstärkter Einsatz von Geothermie
Effizienzsteigerung in Gebäuden
Energieeffizienz-Netzwerke
Die größten Hemmnisse der Kommunen für die Umsetzung der kommunalen Wärmewende
Der Erfolg der bundesweiten Wärmewende-Strategien hängt in hohem Maße von den Umsetzungsmöglichkeiten der Kommunen – in Berlin Land und Bezirke – ab. Politik und Verwaltung müssen deshalb bestehende Hindernisse zügig erkennen und abbauen.
Laut einem Kurzgutachten des Umweltbundesamtes ist die fehlende Wirtschaftlichkeit eines der drei größten Hemmnisse bei der Umsetzung einer kommunalen Wärmewende. Als Gründe führt das Amt die mangelnde CO2-Bepreisung, die unsichere Ölpreisentwicklung sowie fehlende Finanzmittel und Zuschüsse an – ein weiterer Hinweis darauf, dass Förderprogramme angepasst werden müssen. Die unzureichende Förderung zählt neben knappen Etats und einer geringen Akzeptanz bei der Bevölkerung und den Entscheidungsträger:innen ebenfalls zu den drei größten Hemmnissen. Kommunen, die bereits Schritte in Richtung kommunaler Wärmewende gegangen sind, nannten als eines der drei größten Hindernisse die fehlende Akzeptanz der Verwaltung.
Eine Übersicht von Vera Colditz
19.04.2023