Anfang September hat die Bundesregierung angesichts dramatisch steigender Energiepreise ein neues – das mittlerweile dritte – Entlastungspaket beschlossen. Maßnahmen in Höhe von mehr als 65 Milliarden Euro sollen die Belastungen für Bürger:innen abfedern. Wer bekommt welche Unterstützung? Ein Überblick über die geplanten Maßnahmen.
Arbeitnehmer:innen und Selbstständige
Steuerentlastungen zur Bekämpfung der kalten Progression: Zum 1. Januar 2023 will die Bundesregierung die Tarifeckwerte für die steuerliche Berechnung anpassen, um die Auswirkungen der sogenannten kalten Progression als Folge der starken Inflation abzufedern. Zur Erklärung: Dadurch, dass das Steuersystem in der Bundesrepublik progressiv angelegt ist, steigt mit höherem Einkommen auch die Steuerlast. Das kann dazu führen, dass Gehaltserhöhungen zum Inflationsausgleich die gegenteilige Wirkung haben: Trotz eines höheren Bruttogehalts bleibt netto weniger übrig. Die Anpassung der Tarifeckwerte soll das verhindern und wird alle Einkommensgruppen etwas entlasten. Vermutlich profitieren von dieser Maßnahme jedoch insbesondere die höheren Einkommen.
Auch der Grundfreibetrag, bis zu dem keine Steuern gezahlt werden müssen, wird zum 1. Januar 2023 von derzeit 10.347 um 285 Euro auf 10.632 Euro erhöht. Der Schritt entlastet insbesondere Geringverdiener:innen und führt auch dazu, dass insgesamt weniger Personen Einkommensteuer zahlen müssen. Die genauen Werte will die Regierung im Herbst festlegen, wenn der Progressions- und Existenzminimumbericht vorliegt. Die beiden Gesetzesentwürfe aus dem Bundesfinanzministerium (Inflationsausgleichsgesetz und Jahressteuergesetz 2022) hat das Bundeskabinett am 14. September verabschiedet.
Steuerliche Entlastung bei Rentenbeiträgen: Bereits ab 2023 sollen Steuerzahler:innen ihre Rentenbeiträge vollständig als Sonderausgaben absetzen können, so dass künftige Renten erst in der Auszahlungsphase im Alter besteuert werden. Ursprünglich sollte diese Reform erst 2025 stattfinden.
Zusätzlich wird der Sparer-Pauschbetrag von 801 Euro auf 1.000 Euro erhöht.
Home-Office-Pauschale: Zunächst temporär für die Corona-Pandemie eingeführt, soll die Home-Office-Pauschale jetzt entfristet und erweitert werden. Bei der Einkommensteuer können Arbeitnehmer:innen fünf Euro Werbungskostenabzug pro Home-Office-Tag geltend machen (maximal 600 Euro jährlich). Auch Familien mit kleineren Wohnungen, die nicht über ein separates Arbeitszimmer verfügen, sollen entlastet werden.
Midi-Jobber:innen
Um Menschen mit Jobs im Übergangsbereich, sogenannten Midi-Jobs, zu entlasten, steigt die Grenze, ab der sie Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen. Dadurch bleibt ihnen mehr vom Einkommen übrig. Zum 1. Oktober 2022 wird die Grenze von 1.300 Euro auf 1.600 Euro erhöht, zum 1. Januar 2023 auf 2.000 Euro.
ALG-1-Empfänger:innen
Während ALG-1-Empfänger:innen im zweiten Entlastungspaket eine Einmalzahlung von 100 Euro erhalten haben, gehen sie im dritten Entlastungspaket leer aus.
Studierende
Alle Studierenden an Fachhochschulen und Universitäten sowie Fachschüler:innen in schulischen Ausbildungen sollen eine Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro erhalten. Derzeit ist noch unklar, wann und auf welchem Weg der Betrag ausgezahlt wird. Das Ziel: Es soll unbürokratisch und schnell gehen.
Für Auszubildende ist im aktuellen Entlastungspaket keine Einmalzahlung vorgesehen. Sie profitieren allerdings von den Neuregelungen für Midi-Jobs und ebenso wie andere Arbeitnehmer:innen von den oben angeführten steuerlichen Entlastungen sowie den Neuerungen zur Home-Office-Pauschale.
Wohngeldempfänger:innen
Wer Wohngeld bezieht, soll als Heizkostenzuschuss II für die Monate September bis Dezember 2022 einmalig 415 Euro (Ein-Personen-Haushalt) beziehungsweise 540 Euro (Zwei-Personen-Haushalt) erhalten. Für jede weitere Person gibt es 100 Euro zusätzlich.
Dieser Beitrag soll künftig als dauerhafte Heizkomponente ins Wohngeld integriert werden.
Zudem plant die Bundesregierung, die Voraussetzungen für den Bezug von Wohngeld zu senken. Aktuell erhalten rund 600.000 der insgesamt mehr als 41 Millionen Haushalte in Deutschland Wohngeld – das sind circa 700.000 Personen. Nach der geplanten Reform sollen es zwei Millionen Menschen sein. Die genaue Ausgestaltung der Wohngeldreform ist noch unklar. Sie soll zum 1. Januar 2023 stehen, allerdings liegt bisher weder ein Eckpunktepapier noch ein Gesetzesentwurf vor.
Rentner:innen
Während Renter:innen beim Entlastungspaket II keine explizite Anspruchsgruppe waren, werden sie beim Entlastungspaket III ebenfalls berücksichtigt. Rentner:innen sollen zum 1. Dezember 2022 eine einmalige Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro direkt von der Rentenversicherung erhalten. Die Pauschale ist einkommensteuerpflichtig.
Rentner:innen profitieren darüber hinaus ebenso von den steuerlichen Entlastungen (siehe Arbeitnehmer:innen und Selbstständige).
Bezieher:innen von Transfer- oder Entgeltersatzleistungen
Ab dem 1. Januar 2023 löst das Bürgergeld das bisherige Arbeitslosengeld II (Hartz IV) und das Sozialgeld ab. Mit 502 Euro liegt der monatliche Regelsatz rund 50 Euro über dem bisherigen Hartz-IV-Regelsatz von 449 Euro (Alleinstehende ohne Kinder). Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf am 14. September verabschiedet, nun muss dieser noch Bundestag und Bundesrat passieren.
Familien
Zum 1. Januar 2023 steigt der Kindergeldsatz für die ersten drei Kinder auf 237 Euro. Für das erste und zweite Kind bedeutet das eine Erhöhung um je 18 Euro monatlich, für das dritte Kind um 12 Euro monatlich..
Zudem erhöht sich der Kinderzuschlag für Familien mit niedrigem Einkommen von 229 Euro auf 250 Euro pro Monat und Kind. Der Betrag soll bis zur Einführung der Kindergrundsicherung gelten, deren Umsetzung für das kommende Jahr geplant ist. Die Kindergrundsicherung soll die vielen verschiedenen familienpolitischen Leistungen bündeln, die es in Deutschland gibt.
Weitere übergreifende Maßnahmen
Strompreisbremse
Zentrales Instrument des aktuellen Entlastungspaketes ist die Deckelung des Strompreises für den Basisverbrauch. Nach Plänen der Bundesregierung soll für einen Teil des Stromverbrauchs ein gedeckelter Preis gelten. Wer mehr verbraucht, muss den dann geltenden Strompreis bezahlen. Laut Bundesfinanzminister Marco Buschmann sollen Endkund:innen maximal 30 Cent pro Kilowattstunde Strom bezahlen, solange sie maximal 75 Prozent dessen verbrauchen, was ein durchschnittlicher Haushalt verbraucht.
Wie genau die Regelung gestaltet und wann sie in Kraft treten wird, ist noch unklar.
Finanzieren will die Bundesregierung die Strompreisbremse durch die Abschöpfung von Zufallsgewinnen der Energiefirmen. Dadurch, dass der teuerste Anbieter den Preis auf dem europäischen Strommarkt bestimmt, nehmen auch jene Energieanbieter hohe Zufallsgewinne mit, deren Produktionskosten niedrig sind. Die Bundesregierung setzt auf eine entsprechende Regelung auf europäischer Ebene, würde eine derartige Steuer aber auch national zügig umsetzen, falls es nicht zu einer europäischen Einigung kommt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am 14. September einen Gesetzesvorschlag zur Abschöpfung von Übergewinnen bei Stromproduzenten an. Auch für Gas- und Ölkonzerne plant sie eine Solidaritätsabgabe.
Umsatzsteuer auf Gas
Zum 1. Oktober 2022 wird die Umsatzsteuer auf den gesamten Gasverbrauch von 19 auf sieben Prozent gesenkt. Die Absenkung soll bis Ende März 2024 gelten.
Nationale Mindestbesteuerung
Vor knapp einem Jahr haben sich 137 OECD-Staaten auf die Einführung einer globalen Mindeststeuer in Höhe von 15 Prozent auf Gewinne von großen international tätigen Konzernen geeinigt. Die neue Regelung soll dazu führen, dass vor allem große Digitalkonzerne wie Google oder Amazon auch in jenen Ländern Steuern zahlen müssen, in denen sie zwar keine oder wenig Standorte haben, aber hohe Umsätze erzielen. Auf EU-Ebene stockt die Umsetzung aktuell aufgrund des Vetos Ungarns. Die Bundesregierung will die Vereinbarung jetzt notfalls national umsetzen und so langfristig Mehreinnahmen in Milliardenhöhe generieren.
Nahverkehrsticket
Als Nachfolger des 9-Euro-Tickets ist ein vergünstigtes bundesweites Nahverkehrsticket in Planung. Die Ausgestaltung und Umsetzung sind aber noch sehr vage. Die Verkehrsminister:innen von Bund und Ländern sollen „zeitnah“ ein gemeinsames Konzept ausarbeiten. Die Bundesregierung würde 1,5 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stellen, sofern die Länder einen mindestens ebenso hohen Betrag beitragen. Der Ticketpreis wird voraussichtlich deutlich über den im Sommer geltenden neun Euro liegen – 49 bis 69 Euro pro Monat sind im Gespräch.
Berlin hat bereits eine Übergangsregelung für die Monate Oktober bis Dezember 2022 vereinbart: Für den Tarifbereich AB gibt es das Monatsticket für 29 Euro. Der Aufsichtsrat der Verkehrsbetriebe Berlin-Brandenburg (VBB) hat dem Vorschlag des Berliner Senats am 15. September 2022 zugestimmt. Brandenburg wird sich an dem Ticket allerdings nicht beteiligen. Gefordert wird zudem eine deutliche Absenkung der Kosten für das Sozialticket, das derzeit die Anspruchsberechtigten 27,50 Euro im Monat kostet.
Entlastung CO2-Preis
Eigentlich sollte zum 1. Januar 2023 der CO2-Preis um fünf Euro pro Tonne steigen. Diese Erhöhung soll jetzt um ein Jahr nach hinten geschoben werden. Auch die Folgeerhöhungen 2024 und 2025 verschieben sich dadurch um ein Jahr.
Umsatzsteuer in der Gastronomie
Der infolge der Corona-Pandemie geltende herabgesetzte Umsatzsteuersatz für Speisen in der Gastronomie wird über den September hinaus verlängert.
Kurzarbeitergeld
Auch die seit der Corona-Pandemie geltenden Sonderregelungen zur Kurzarbeit werden über den 30. September hinaus verlängert.
Förderung des Ausbaus von Photovoltaikanlagen
Mit Wirkung zum 1. Januar 2023 sollen steuerliche und bürokratische Hürden bei der Installation und dem Betrieb von Photovoltaikanlagen abgebaut werden. Das könnte auch Vermieter:innen und Mieter:innen helfen, kleinere Anlagen unbürokratisch in Betrieb zu nehmen und damit eigenen Strom zu produzieren.
Entlastung für Unternehmen
Unternehmen des produzierenden Gewerbes benötigen und verbrauchen besonders viel Energie. Mit dem sogenannten Spitzenausgleich für energieintensive Unternehmen erhalten sie Vergünstigungen bei Strom- und Energiesteuern. Ursprünglich galt die Regelung nur bis Ende 2022. Jetzt verlängert sich der Spitzenausgleich um ein weiteres Jahr.
Eine Zusammenfassung der Hilfen aus den ersten beiden Entlastungspaketen finden Sie in diesem Service-Tipp.
21.09.2022