Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ hat Ende September das bundesweit erste Vergesellschaftungsgesetz vorgestellt. Vier Jahre nach dem Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne markiert dies den überfälligen Schritt, um bezahlbaren Wohnraum dauerhaft in öffentlicher Hand zu sichern.
Der Volksentscheid von 2021 war eindeutig: Rund 59 Prozent der wahlberechtigten Berliner:innen stimmten für die Überführung der Wohnungsbestände großer Konzerne in Gemeineigentum – betroffen wären mehr als 200.000 Wohnungen. Doch weder die frühere rot-grün-rote Koalition noch der aktuelle schwarz-rote Senat unternahmen ernsthafte Schritte, um das demokratische Votum umzusetzen. Zwar bestätigte eine Expert:innenkommission die rechtliche Machbarkeit nach Artikel 15 Grundgesetz, doch über unverbindliche Eckpunkte für ein sogenanntes Vergesellschaftungsrahmengesetz ist der Senat bisher nicht hinausgekommen.
Mit der Vorstellung der ersten Fassung eines vollständigen Vergesellschaftungsgesetzes setzt die Initiative „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ (DWE) nun ein deutliches Zeichen – gegen die wachsende Frustration in der Stadtgesellschaft, den Vertrauensverlust in die Politik, den anhaltenden Wohnungsmangel und die überhöhten Mieten.
„Heute ist ein guter Tag für Berlin. Endlich liegt ein fundierter Gesetzesentwurf vor, mit dem über die rechtlichen Schritte zur Vergesellschaftung von Wohnraum diskutiert werden kann“, erklärte Ulrike Hamann-Onnertz, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins, bei der Pressekonferenz der Initiative am Freitag, dem 26. September 2025.
Artikel 15 Grundgesetz als rechtliche Grundlage
Der Gesetzentwurf ist das Ergebnis von zwei Jahren intensiver Arbeit der Initiative DWE. Beteiligt waren unter anderem Armin Rothemann, Jurist und Sprecher der Initiative, sowie Remo Klinger, Fachanwalt für Verwaltungs- und öffentliches Recht und Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Klinger verantwortete die juristische Struktur des Entwurfs und betont dessen Rechtskonformität: „Der Gesetzentwurf ist rechtlich zulässig: Artikel 15 des Grundgesetzes ist geltendes Recht. Die Volksinitiative wendet in zulässiger Weise das an, was im Grundgesetz steht.“
Isabel Feichtner, Professorin für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Private Immobilienwirtschaft an der Universität Bremen und seit 2024 Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Initiative, leitete die wissenschaftliche Aufbereitung des Entwurfs – insbesondere die Gestaltung der Entschädigungsmechanismen und praktische Umsetzbarkeit. Sie erläutert: „Der Entwurf operationalisiert die Erkenntnisse der Expert:innenkommission und ist ein Meilenstein in der juristischen Debatte über Vergesellschaftung. Durch meine langjährige Forschung zu Immobilienrecht und Wirtschaftsrecht konnte sichergestellt werden, dass Entschädigung und Umsetzung praktisch tragfähig und rechtssicher gestaltet sind.“
Ergänzt wurde das Team durch Isabella Rogner, Sprecherin der Initiative. Die Gruppe stützte sich seit Beginn der Kampagne „Deutschen Wohnen & Co. enteignen“ auch bei der Ausarbeitung auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der Vergesellschaftungen ausdrücklich vorsieht, sowie auf bestehende bundesrechtliche Regelungen zur Immobilienbewertung.
Was regelt das Vergesellschaftungsgesetz?
Der Entwurf regelt die Überführung von Wohnungen großer, profitorientierter Unternehmen mit mehr als 3.000 Einheiten – darunter Deutsche Wohnen, Vonovia, Adler, Grand City und Heimstaden – in eine neu zu gründende Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) unter dem Namen „Gemeingut Wohnen“. Konkret bedeutet das: 3.000 Wohnungen verbleiben im Eigentum der Unternehmen, alle darüber hinausgehenden Einheiten werden in die AöR überführt.
Ausgenommen von der Vergesellschaftung sind Genossenschaften, kirchliche Träger und landeseigene Wohnungsbaugesellschaften. Ziel ist es, rund 200.000 Wohnungen dauerhaft in Gemeineigentum zu überführen und so bezahlbaren Wohnraum langfristig zu sichern.
Die Entschädigung für die vergesellschafteten Immobilien erfolgt in Form übertragbarer Schuldverschreibungen – also langfristiger Wertpapiere des Landes Berlin. Diese werden mit 3,5 Prozent Zinsen pro Jahr verzinst und über 100 Jahre in gleichbleibenden Jahresraten zurückgezahlt. Die Papiere sollen auf einem regulierten Markt handelbar sein, sodass die Eigentümer:innen diese bei Bedarf verkaufen können.
Die Höhe der Entschädigung wird nach einem Sachwertverfahren bestimmt: Grundlage ist das Bewertungsgesetz (BewG), das Regelungen zur Ermittlung von Gebäude- und Bodenwerten vorgibt. Der Gebäudesachwert und der Bodenwert ergeben zusammen den vorläufigen Sachwert, der zur endgültigen Entschädigung weitergerechnet wird. Besonders wertvolle Außenanlagen werden gesondert berücksichtigt. Auch wenn Artikel 15 GG für Vergesellschaftungen bisher keine Anwendung fand, greift der Gesetzentwurf damit auf etablierte Bewertungsstandards zurück, wie sie etwa bei der Enteignung nach Artikel 14 GG angewendet werden.
Während einer Übergangsphase von 18 Monaten bleibt die Bewirtschaftung zunächst bei den bisherigen Eigentümer:innen. In dieser Zeit gelten ein Mieterhöhungsstopp, die Senkung unzulässiger Mieten sowie ein Kündigungs- und Räumungsschutz. Die Vergabe von Wohnraum soll diskriminierungsfrei erfolgen und insbesondere Obdachlose und Schutzsuchende berücksichtigen. Zudem werden Räume für Kleingewerbe, Kultur- und Jugendarbeit langfristig gesichert.
Diskussion und Kritik
Der Vorstoß der Initiative DWE stößt auf breite Zustimmung, aber auch heftigen Widerstand. Vertreter:innen der Immobilienwirtschaft warnen vor einem Rückgang von Investitionen, während Kritiker:innen bemängeln, dass durch die Vergesellschaftung keine neuen Wohnungen geschaffen werden.
Der Berliner Mieterverein (BMV) widerspricht dieser Kritik: Zwar entstehen keine Neubauwohnungen, doch werde bezahlbarer Wohnraum erhalten und zurückgewonnen. Durch die Absenkung überhöhter Mieten würde Berlin de facto neue Wohnungen im preisgünstigen Segment gewinnen. Die Vergesellschaftung würde der Bevölkerung auf einen Schlag eine große Anzahl an bezahlbaren Wohnungen verschaffen. Investitionsanreize und Wohnungsbau sind weder Ziel noch Zweck der Vergesellschaftung.
Zusammen mit den Beständen der landeseigenen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften würden zukünftig fast 50 Prozent aller Berliner Mietwohnungen gemeinwohlorientiert bewirtschaftet. Das ist ein sattes Pfund in der Hand der Berliner:innen und ein starkes Instrument zur Dämpfung der Mietspiegelmieten. Ulrike Hamann-Onnertz bringt es auf den Punkt: „Das Schreckgespenst der untragbaren Kosten für Berlin kann dann nicht mehr herumgeistern. Das dürftige Rahmengesetz der SPD kann damit in der Schublade verschwinden.“
Wie geht es weiter?
Die Debatte um die Vergesellschaftung ist mehr als ein Streit um Immobilien. Sie berührt die grundlegende Frage, welche Rolle Wohnen in unserer Gesellschaft spielt: Renditeobjekt für Investor:innen oder Grundrecht auf Wohnen im Interesse der Menschen? Der neue Gesetzesentwurf liefert darauf eine konkrete Antwort und bringt die Entscheidung der Berliner:innen von 2021 zurück auf die politische Agenda.
Die Initiative plant, den Gesetzesentwurf 2026 in ein Volksbegehren einzubringen und einen Gesetzesvolksentscheid anzustreben. Kommt es zu einer Zustimmung durch die Mehrheit, tritt das Gesetz sofort bindend in Kraft. Ulrike Hamann-Onnertz begrüßt diesen Schritt: „Die Initiative zeigt, wie kreativ und klug mit den Wohnungsmarktproblemen umgegangen werden kann. Wir nehmen die Einladung an, den Entwurf fachlich zu diskutieren.“
fs
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16.10.2025




