Die Nahversorgung steckt in der Krise. Was für den Einzelhandel Umsatzrückgang und am Ende mitunter Geschäftsaufgabe heißt, bedeutet für die Anwohnerschaft immer weitere Wege zum Supermarkt, zur Buchhandlung oder zur Arztpraxis. Hilft da „mehr „Erlebnischarakter in den Einkaufsstraßen“, wie von der IHK vorgeschlagen?

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„Wir brauchen dringend kreative Nutzungskonzepte gegen Leerstand“, erklärt Manja Schreiner, Ex-Verkehrssenatorin und jetzige Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin. Sicherheit, Sauberkeit und einen hohen „Kultur- und Eventanteil“ hält Uwe Timm, Vorstandsvorsitzender der AG City, für den Schlüssel auf dem Weg zu einer lebendigen Innenstadt.

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Die beiden stützen sich auf die Ergebnisse der kürzlich vorgelegten bundesweiten Studie „Vitale Innenstädte 2024“, die im Auftrag der IHK Berlin und anderer Wirtschafts-Akteure durchgeführt wurde. In Berlin wurden drei Einzelhandelszentren untersucht: die Schloßstraße, der Kurfürstendamm und die Hackeschen Höfe. Es handele sich nicht um eine Auswahl nach Problemlage, sondern diese Standorte wollten freiwillig teilnehmen, erklärt die Pressesprecherin der IHK. Die Studie beruht auf der Befragung von Passant:innen, insgesamt 3000 waren es in Berlin. Erstes, durchaus erstaunliches Ergebnis: in der Schloßstraße sowie in den Hackeschen Höfen und Umgebung gehen zu über 90 Prozent Berliner:innen einkaufen. Nur am Ku’damm sind die Auswärtigen in der Mehrzahl. Viele der Befragten nannten Leerstand und Ladensterben als Problem. 51 Prozent sprachen sich für Maßnahmen gegen Leerstand und für Aufwertung aus. 42 Prozent wünschen sich mehr Toiletten. Mit dem Handels- und Erlebnisangebot an den drei Berliner Standorten sind die Befragten überwiegend zufrieden.

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Nichtsdestotrotz lautet das Fazit der Studie, man müsse die Aufenthaltsqualität verbessern und den Erlebnischarakter stärken. Eine ganze Palette von innovativen Maßnahmen wird da genannt, von Lichtinstallationen über Kunstobjekte im Schaufenster bis hin zur Köpfhörerdisco. Einige Ideen sind durchaus im Sinne der Anwohnerschaft, etwa Repair-Cafés oder die Ansiedlung kleiner Manufakturen. Aber diese sind nur als temporäre Nutzung gedacht. Dem Kleingewerbe, das unter extrem hohen Mieten leidet, hilft das langfristig nicht. Dabei sind es gerade die kleinen Läden, die einen Kiez lebenswert machen.
Das Kleingewerbe fällt hinten runter
Das Thema Miethöhe wird in der IHK-Studie komplett ausgespart. Von „neoliberalem Stuss“ und der IHK als „Lobby für Besserverdienende“ spricht daher Katalin Gennburg, Sprecherin für Stadtentwicklung der Berliner Linksfraktion. Gründe für die Verödung des Einzelhandels sind aus ihrer Sicht zu hohe Mietforderungen und die Tatsache, dass Leerstände auch noch steuerlich abgesetzt werden können. „Die Versorgungskrise hat fatale Folgen für das Leben in den Nachbarschaften, das kann man nicht dem Markt überlassen“, sagt sie. „Die Mieten müssen radikal runter, wir brauchen einen Mietendeckel auch für das Gewerbe“, so Gennburg.
Birgit Leiß
Mehr Schutz für Schuster, Schneiderin & Co
Der Berliner Mieterverein (BMV) fordert seit Langem mietpreisregulierende Vorschriften auch für Gewerbemieter. Denn um das Kleingewerbe zu schützen, braucht es vor allem bezahlbare Mieten. Neben einem verbindlichen Gewerbemietspiegel sind nach Überzeugung des BMV Verbesserungen im Gewerbemietrecht erforderlich, etwa ein Kündigungsschutz. Bisher sind Gewerbemieter:innen ungleich schlechter rechtlich geschützt als Wohnungsmieter:innen.
bl
07.05.2025